Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht zerfetzt und abgethan wie Hieronymus in der Wüste, daS ver¬
haltene, nur stoßweise sich Lust und Bahn machende Feuer, daS in
dem Vulkan seines Innern glüht, hat die Lebenskraft ihm nicht ver¬
zehrt, der Groll gegen eine in blasser Gottseligkeit und unnatürlicher
Gottlosigkeit verdorbene Well hat seinen Blick nicht verwildert, seine
heitre Stirne nicht zerwühlt; aber in dieser untersetzten, nichts we¬
niger als beleibten Figur, in diesem scharf gebildeten Kopfe, in der
entschiedenen Stirn, in diesen tiefen blauen Augen, in diesem brau¬
nen, straffen Schnurrbart, der die Oberlippe deckt, und sammt dem
leicht um den Hals geschlungenen Tuche, dem leichten, kurzen Röck¬
chen, was eher einen Kriegs- oder Jägersmann, als einen Philo¬
sophen in dem Inhaber vermuthen ließe, zumal aber in dem ent¬
schiedenen, lebendig, obgleich selten hervorgestoßenen Wort erkennen
wir wohl den Feuerbach, den Mann des Gedankens, der Entschie¬
denheit, des Ungestüms, wenn es einmal daran geht, des innern Gäh-
rens und Lebens, der gesunden, compacten, von einem überlegenen
Geiste gefaßten und beseelten Natur, welche in sich gefestet jeden
Augenblick zum Geben und Nehmen, zum zweischneidigen Worte
und zum frischen, scharfen Genuß der Sinne sich entbinden kann.

Und nun zum gastfreundlichen Willkomm ein Krug guten
bairischen Vieres aus dem frischen Fasse im kühlen Keller -- oder
beliebt eine Flasche edlen Main- oder Tauber-Weins eher? -- nun
lassen wir die Sonne draußen brennen, lassen den Berlinern ihr
Weißbier und ihren Fusel, und stoßen fröhlich an Ms das Leben
aller Schurken dort draußen in der Welt. Was sonst in Feld und
Garten Frisches, scharfes und Pikantes, Ganzes und Einlappiges
grünt und blüht, ein holdes Maienblümchen erst, dann ein tüchtiger
Rettig, ein saftiger Spargel, der mag in Salz und Essig und Pfef¬
fer sich guter Kundschaft freuen . . . dort aber liegen auf dem offe¬
nen Klaviere heitere und ernste Noten, wie der finstere Dämon oder
der lichte Engel, der des Denkers Stirn umflattert, eS eben ver¬
langt: vielleicht das "Freut Euch des Lebens" neben dem "60 pro-
lllllSis" . . . Und dann ein Gang in den nahen Wald unter die
Lieblingsbuche oder auf das weiche Moosbette unter der hohen Fichte;
nach der Rückkehr schlürfen wir in der Gartenlaube -- wir wissen
schon aus einem kleinen schmucken Täßchen, wenn'S uns Freude
macht, den gewürzigen Trank . . . Zum Schluß, wenn'S gefällig


nicht zerfetzt und abgethan wie Hieronymus in der Wüste, daS ver¬
haltene, nur stoßweise sich Lust und Bahn machende Feuer, daS in
dem Vulkan seines Innern glüht, hat die Lebenskraft ihm nicht ver¬
zehrt, der Groll gegen eine in blasser Gottseligkeit und unnatürlicher
Gottlosigkeit verdorbene Well hat seinen Blick nicht verwildert, seine
heitre Stirne nicht zerwühlt; aber in dieser untersetzten, nichts we¬
niger als beleibten Figur, in diesem scharf gebildeten Kopfe, in der
entschiedenen Stirn, in diesen tiefen blauen Augen, in diesem brau¬
nen, straffen Schnurrbart, der die Oberlippe deckt, und sammt dem
leicht um den Hals geschlungenen Tuche, dem leichten, kurzen Röck¬
chen, was eher einen Kriegs- oder Jägersmann, als einen Philo¬
sophen in dem Inhaber vermuthen ließe, zumal aber in dem ent¬
schiedenen, lebendig, obgleich selten hervorgestoßenen Wort erkennen
wir wohl den Feuerbach, den Mann des Gedankens, der Entschie¬
denheit, des Ungestüms, wenn es einmal daran geht, des innern Gäh-
rens und Lebens, der gesunden, compacten, von einem überlegenen
Geiste gefaßten und beseelten Natur, welche in sich gefestet jeden
Augenblick zum Geben und Nehmen, zum zweischneidigen Worte
und zum frischen, scharfen Genuß der Sinne sich entbinden kann.

Und nun zum gastfreundlichen Willkomm ein Krug guten
bairischen Vieres aus dem frischen Fasse im kühlen Keller — oder
beliebt eine Flasche edlen Main- oder Tauber-Weins eher? — nun
lassen wir die Sonne draußen brennen, lassen den Berlinern ihr
Weißbier und ihren Fusel, und stoßen fröhlich an Ms das Leben
aller Schurken dort draußen in der Welt. Was sonst in Feld und
Garten Frisches, scharfes und Pikantes, Ganzes und Einlappiges
grünt und blüht, ein holdes Maienblümchen erst, dann ein tüchtiger
Rettig, ein saftiger Spargel, der mag in Salz und Essig und Pfef¬
fer sich guter Kundschaft freuen . . . dort aber liegen auf dem offe¬
nen Klaviere heitere und ernste Noten, wie der finstere Dämon oder
der lichte Engel, der des Denkers Stirn umflattert, eS eben ver¬
langt: vielleicht das „Freut Euch des Lebens" neben dem „60 pro-
lllllSis" . . . Und dann ein Gang in den nahen Wald unter die
Lieblingsbuche oder auf das weiche Moosbette unter der hohen Fichte;
nach der Rückkehr schlürfen wir in der Gartenlaube — wir wissen
schon aus einem kleinen schmucken Täßchen, wenn'S uns Freude
macht, den gewürzigen Trank . . . Zum Schluß, wenn'S gefällig


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0033" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266650"/>
          <p xml:id="ID_62" prev="#ID_61"> nicht zerfetzt und abgethan wie Hieronymus in der Wüste, daS ver¬<lb/>
haltene, nur stoßweise sich Lust und Bahn machende Feuer, daS in<lb/>
dem Vulkan seines Innern glüht, hat die Lebenskraft ihm nicht ver¬<lb/>
zehrt, der Groll gegen eine in blasser Gottseligkeit und unnatürlicher<lb/>
Gottlosigkeit verdorbene Well hat seinen Blick nicht verwildert, seine<lb/>
heitre Stirne nicht zerwühlt; aber in dieser untersetzten, nichts we¬<lb/>
niger als beleibten Figur, in diesem scharf gebildeten Kopfe, in der<lb/>
entschiedenen Stirn, in diesen tiefen blauen Augen, in diesem brau¬<lb/>
nen, straffen Schnurrbart, der die Oberlippe deckt, und sammt dem<lb/>
leicht um den Hals geschlungenen Tuche, dem leichten, kurzen Röck¬<lb/>
chen, was eher einen Kriegs- oder Jägersmann, als einen Philo¬<lb/>
sophen in dem Inhaber vermuthen ließe, zumal aber in dem ent¬<lb/>
schiedenen, lebendig, obgleich selten hervorgestoßenen Wort erkennen<lb/>
wir wohl den Feuerbach, den Mann des Gedankens, der Entschie¬<lb/>
denheit, des Ungestüms, wenn es einmal daran geht, des innern Gäh-<lb/>
rens und Lebens, der gesunden, compacten, von einem überlegenen<lb/>
Geiste gefaßten und beseelten Natur, welche in sich gefestet jeden<lb/>
Augenblick zum Geben und Nehmen, zum zweischneidigen Worte<lb/>
und zum frischen, scharfen Genuß der Sinne sich entbinden kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_63" next="#ID_64"> Und nun zum gastfreundlichen Willkomm ein Krug guten<lb/>
bairischen Vieres aus dem frischen Fasse im kühlen Keller &#x2014; oder<lb/>
beliebt eine Flasche edlen Main- oder Tauber-Weins eher? &#x2014; nun<lb/>
lassen wir die Sonne draußen brennen, lassen den Berlinern ihr<lb/>
Weißbier und ihren Fusel, und stoßen fröhlich an Ms das Leben<lb/>
aller Schurken dort draußen in der Welt. Was sonst in Feld und<lb/>
Garten Frisches, scharfes und Pikantes, Ganzes und Einlappiges<lb/>
grünt und blüht, ein holdes Maienblümchen erst, dann ein tüchtiger<lb/>
Rettig, ein saftiger Spargel, der mag in Salz und Essig und Pfef¬<lb/>
fer sich guter Kundschaft freuen . . . dort aber liegen auf dem offe¬<lb/>
nen Klaviere heitere und ernste Noten, wie der finstere Dämon oder<lb/>
der lichte Engel, der des Denkers Stirn umflattert, eS eben ver¬<lb/>
langt: vielleicht das &#x201E;Freut Euch des Lebens" neben dem &#x201E;60 pro-<lb/>
lllllSis" . . . Und dann ein Gang in den nahen Wald unter die<lb/>
Lieblingsbuche oder auf das weiche Moosbette unter der hohen Fichte;<lb/>
nach der Rückkehr schlürfen wir in der Gartenlaube &#x2014; wir wissen<lb/>
schon aus einem kleinen schmucken Täßchen, wenn'S uns Freude<lb/>
macht, den gewürzigen Trank . . . Zum Schluß, wenn'S gefällig</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0033] nicht zerfetzt und abgethan wie Hieronymus in der Wüste, daS ver¬ haltene, nur stoßweise sich Lust und Bahn machende Feuer, daS in dem Vulkan seines Innern glüht, hat die Lebenskraft ihm nicht ver¬ zehrt, der Groll gegen eine in blasser Gottseligkeit und unnatürlicher Gottlosigkeit verdorbene Well hat seinen Blick nicht verwildert, seine heitre Stirne nicht zerwühlt; aber in dieser untersetzten, nichts we¬ niger als beleibten Figur, in diesem scharf gebildeten Kopfe, in der entschiedenen Stirn, in diesen tiefen blauen Augen, in diesem brau¬ nen, straffen Schnurrbart, der die Oberlippe deckt, und sammt dem leicht um den Hals geschlungenen Tuche, dem leichten, kurzen Röck¬ chen, was eher einen Kriegs- oder Jägersmann, als einen Philo¬ sophen in dem Inhaber vermuthen ließe, zumal aber in dem ent¬ schiedenen, lebendig, obgleich selten hervorgestoßenen Wort erkennen wir wohl den Feuerbach, den Mann des Gedankens, der Entschie¬ denheit, des Ungestüms, wenn es einmal daran geht, des innern Gäh- rens und Lebens, der gesunden, compacten, von einem überlegenen Geiste gefaßten und beseelten Natur, welche in sich gefestet jeden Augenblick zum Geben und Nehmen, zum zweischneidigen Worte und zum frischen, scharfen Genuß der Sinne sich entbinden kann. Und nun zum gastfreundlichen Willkomm ein Krug guten bairischen Vieres aus dem frischen Fasse im kühlen Keller — oder beliebt eine Flasche edlen Main- oder Tauber-Weins eher? — nun lassen wir die Sonne draußen brennen, lassen den Berlinern ihr Weißbier und ihren Fusel, und stoßen fröhlich an Ms das Leben aller Schurken dort draußen in der Welt. Was sonst in Feld und Garten Frisches, scharfes und Pikantes, Ganzes und Einlappiges grünt und blüht, ein holdes Maienblümchen erst, dann ein tüchtiger Rettig, ein saftiger Spargel, der mag in Salz und Essig und Pfef¬ fer sich guter Kundschaft freuen . . . dort aber liegen auf dem offe¬ nen Klaviere heitere und ernste Noten, wie der finstere Dämon oder der lichte Engel, der des Denkers Stirn umflattert, eS eben ver¬ langt: vielleicht das „Freut Euch des Lebens" neben dem „60 pro- lllllSis" . . . Und dann ein Gang in den nahen Wald unter die Lieblingsbuche oder auf das weiche Moosbette unter der hohen Fichte; nach der Rückkehr schlürfen wir in der Gartenlaube — wir wissen schon aus einem kleinen schmucken Täßchen, wenn'S uns Freude macht, den gewürzigen Trank . . . Zum Schluß, wenn'S gefällig

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/33
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/33>, abgerufen am 23.07.2024.