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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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gegründeten industriellen Thätigkeit sich zu gestalten anfingen, als
durch die Politik der Könige die Städte den Rittern gegenüber ge¬
hoben und geschirmt wurden, und man nun glauben durste, es werde
hinter den wohnlichen festen Mauern sich ein reges, geistiges und
gewerbliches Leben aufschwingen, -- da ward man freilich eine Zeit
lang, besonders in den Ländern deutscher Zunge, nicht getäuscht.
Die Reichsstädte eiferten der Lombardei rüstig nach; unter Heinrich I V.
schwang sich Frankreich in edlem Wettstreite mit den benachbarten
Niederlanden kräftig auf. Aber die bald immer mehr um sich
greifenden religiösen Wirren zernichteten den jungen Flor allzurasch
wieder. Als nach langen blutigen Kriegen der Friede wieder seine
Segnungen über Europa ausbreitete, da heilten freilich auch diese
Wunder mehr oder minder rasch. Colbert z. B. hob Frankreich,
dessen Industrie freilich durch die wahnsinnige, frömmelnde Rechts¬
verletzung -Louis XIV., wodurch die Protestanten aus Frankreich
vertrieben wurden, einen doppelt harten Schlag erhielt im eigenen
Verlust und im Gewinn der die Vertriebenen bereitwillig aufnehmen¬
den fremden Strafen. Außerdem aber krankte Frankreichs Industrie
mit der aller anderen Staaten an einem gemeinsamen Uebel. Der
Geist der Zeit, der sich in einem starren Formelwesen gefiel, das in
den Statuten der Gewerke und Zünfte zur trockensten, mumlenarti-
gen Dürre herabsank, hemmte jeden Ausschwung, jeden Fortschritt.

Wir wollen das Gute der Korporationen durchaus nicht ver¬
kennen; sie leisteten viel Nützliches in Bezug auf die Organisation
der Arbeit; aber ihre Forderungen waren, und das meist aus klein¬
lichen, selbstischen Gründen, die in beschränkter Engsichtigkeit oft ihren
eigenen Vortheil verkannten, so übertrieben, daß sie mehr Schaden
anstifteten, als sie zu nützen vermocht hatten. ES war nämlich
dem Erfinder eines neuen Verfahrens rein unmöglich, eine Nieder^
lassung sich zu gründen, um von seiner Erfindung einen Ge¬
brauch zu machen; denn er mußte nach den bestehenden Gesetzen sich
in alle Gewerke ausnehmen lassen, mit denen seine Erfindung auch
nur durch irgend einen Punkt zusammenhing. Diese Aufnahmen
aber waren etwas so Kostspieliges, daß die Arbeit ein wahres
Regal geworden war. Dadurch aber wurden alle intelligenteren
Köpfe abgeschreckt, sich gewerklicher Thätigkeit zu widmen.

Zu diesem Allen kam nun noch, daß Praxis und Wissenschaft,


gegründeten industriellen Thätigkeit sich zu gestalten anfingen, als
durch die Politik der Könige die Städte den Rittern gegenüber ge¬
hoben und geschirmt wurden, und man nun glauben durste, es werde
hinter den wohnlichen festen Mauern sich ein reges, geistiges und
gewerbliches Leben aufschwingen, — da ward man freilich eine Zeit
lang, besonders in den Ländern deutscher Zunge, nicht getäuscht.
Die Reichsstädte eiferten der Lombardei rüstig nach; unter Heinrich I V.
schwang sich Frankreich in edlem Wettstreite mit den benachbarten
Niederlanden kräftig auf. Aber die bald immer mehr um sich
greifenden religiösen Wirren zernichteten den jungen Flor allzurasch
wieder. Als nach langen blutigen Kriegen der Friede wieder seine
Segnungen über Europa ausbreitete, da heilten freilich auch diese
Wunder mehr oder minder rasch. Colbert z. B. hob Frankreich,
dessen Industrie freilich durch die wahnsinnige, frömmelnde Rechts¬
verletzung -Louis XIV., wodurch die Protestanten aus Frankreich
vertrieben wurden, einen doppelt harten Schlag erhielt im eigenen
Verlust und im Gewinn der die Vertriebenen bereitwillig aufnehmen¬
den fremden Strafen. Außerdem aber krankte Frankreichs Industrie
mit der aller anderen Staaten an einem gemeinsamen Uebel. Der
Geist der Zeit, der sich in einem starren Formelwesen gefiel, das in
den Statuten der Gewerke und Zünfte zur trockensten, mumlenarti-
gen Dürre herabsank, hemmte jeden Ausschwung, jeden Fortschritt.

Wir wollen das Gute der Korporationen durchaus nicht ver¬
kennen; sie leisteten viel Nützliches in Bezug auf die Organisation
der Arbeit; aber ihre Forderungen waren, und das meist aus klein¬
lichen, selbstischen Gründen, die in beschränkter Engsichtigkeit oft ihren
eigenen Vortheil verkannten, so übertrieben, daß sie mehr Schaden
anstifteten, als sie zu nützen vermocht hatten. ES war nämlich
dem Erfinder eines neuen Verfahrens rein unmöglich, eine Nieder^
lassung sich zu gründen, um von seiner Erfindung einen Ge¬
brauch zu machen; denn er mußte nach den bestehenden Gesetzen sich
in alle Gewerke ausnehmen lassen, mit denen seine Erfindung auch
nur durch irgend einen Punkt zusammenhing. Diese Aufnahmen
aber waren etwas so Kostspieliges, daß die Arbeit ein wahres
Regal geworden war. Dadurch aber wurden alle intelligenteren
Köpfe abgeschreckt, sich gewerklicher Thätigkeit zu widmen.

Zu diesem Allen kam nun noch, daß Praxis und Wissenschaft,


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[0316] gegründeten industriellen Thätigkeit sich zu gestalten anfingen, als durch die Politik der Könige die Städte den Rittern gegenüber ge¬ hoben und geschirmt wurden, und man nun glauben durste, es werde hinter den wohnlichen festen Mauern sich ein reges, geistiges und gewerbliches Leben aufschwingen, — da ward man freilich eine Zeit lang, besonders in den Ländern deutscher Zunge, nicht getäuscht. Die Reichsstädte eiferten der Lombardei rüstig nach; unter Heinrich I V. schwang sich Frankreich in edlem Wettstreite mit den benachbarten Niederlanden kräftig auf. Aber die bald immer mehr um sich greifenden religiösen Wirren zernichteten den jungen Flor allzurasch wieder. Als nach langen blutigen Kriegen der Friede wieder seine Segnungen über Europa ausbreitete, da heilten freilich auch diese Wunder mehr oder minder rasch. Colbert z. B. hob Frankreich, dessen Industrie freilich durch die wahnsinnige, frömmelnde Rechts¬ verletzung -Louis XIV., wodurch die Protestanten aus Frankreich vertrieben wurden, einen doppelt harten Schlag erhielt im eigenen Verlust und im Gewinn der die Vertriebenen bereitwillig aufnehmen¬ den fremden Strafen. Außerdem aber krankte Frankreichs Industrie mit der aller anderen Staaten an einem gemeinsamen Uebel. Der Geist der Zeit, der sich in einem starren Formelwesen gefiel, das in den Statuten der Gewerke und Zünfte zur trockensten, mumlenarti- gen Dürre herabsank, hemmte jeden Ausschwung, jeden Fortschritt. Wir wollen das Gute der Korporationen durchaus nicht ver¬ kennen; sie leisteten viel Nützliches in Bezug auf die Organisation der Arbeit; aber ihre Forderungen waren, und das meist aus klein¬ lichen, selbstischen Gründen, die in beschränkter Engsichtigkeit oft ihren eigenen Vortheil verkannten, so übertrieben, daß sie mehr Schaden anstifteten, als sie zu nützen vermocht hatten. ES war nämlich dem Erfinder eines neuen Verfahrens rein unmöglich, eine Nieder^ lassung sich zu gründen, um von seiner Erfindung einen Ge¬ brauch zu machen; denn er mußte nach den bestehenden Gesetzen sich in alle Gewerke ausnehmen lassen, mit denen seine Erfindung auch nur durch irgend einen Punkt zusammenhing. Diese Aufnahmen aber waren etwas so Kostspieliges, daß die Arbeit ein wahres Regal geworden war. Dadurch aber wurden alle intelligenteren Köpfe abgeschreckt, sich gewerklicher Thätigkeit zu widmen. Zu diesem Allen kam nun noch, daß Praxis und Wissenschaft,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/316>, abgerufen am 26.08.2024.