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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Worte eine weitschweifige deutsche Phrase zu ersetzen -- wieder le¬
bendig aufblühten, eben so lag auch die gewerbliche Thätigkeit in
schwerem, todtenähnlichem Schlummer, insofern wir sie nämlich von
dem heutigen, oben angegebenen Standpunkte der Theilung der Ar¬
beit und der Billigkeit und allgemeinen Zugänglichkeit der Producte
betrachten. Abdelkader, der wilde Emir der algierschen Wüsten, ist
behaglicher gekleidet und kennt mehr von des Lebens Bequemlichkeiten,
als Karl der Große, der mächtige Kaiser; tauchte doch dieser, als
er seinen Capitularien ein Jnsiegel ausdrücken wollte, zu diesem
Zwecke seine Hand in die Dinte und legte sie dann auf's Perga¬
ment ! Volk und Priester trugen damals Kleidungsstücke aus Thier¬
häuten, wie heut etwa kaum noch Baschkiren und Kirgisen; an Festta¬
gen warf man über diese Felle eine Hülle von Leinwand. Wenn man einer
Kirche zum Gebrauch sür den Messe lesenden Priester einPaar Schuhe
schenkte, so war dies eine eben so fromme, als beträchtliche Gabe.

Noch später im Mittelalter war der Gebrauch von Weißbrod,
von Schlachtfleisch, von Lichtern und von Leibwäsche etwas sehr Sel¬
tenes. Acht oder zehn Personen schliefen in einem Bette, vornehme
Leute machten ihre Reisen in einem von Ochsen gezogenen Karren.
In einem strengen Winter sah man hohe Damen in Paris, die zum
Kirchgange sich mit strohbelegten, oben eingeschlagenen Tonnen
schleppen ließen. Wahrlich die Chinesen mit ihren elastischen Trag¬
sesseln und ihren behaglich eingerichteten Wohnungen waren damals
um ein gut Theil weiter als wir. Fragen wir uns nun, worin die
Ursache dieser traurigen Zustände lag, so finden wir hier zunächst
freilich wieder die Schuld in der inneren und äußeren Gestaltung
des Staats und der Gesellschaft zu jener Zeit. An die Stelle des
wenigstens in seinem Ursprünge familienartigen römischen Sclaven-
thums war das feudale Leibeigenthum getreten, ein Tausch von Namen,
während die Sache dieselbe geblieben, also die alten, oben auseinander¬
gelegten Hindernisse für den Aufschwung gewerblicher Thätigkeit kei¬
neswegs beseitigt, im Gegentheil durch die rohere, sinnlich und gei¬
stig verwilderte Lebensweise der wilden Ritter nicht einmal so reiche
Veranlassungen zur Ausübung von Geschicklichkeit und künstlerischem
Talent Einzelner geboten wurden. Als aber später trotz der rauhen
Kriegsstürme von allen Seiten her das Städtewesen in Europa sich
zu bilden begann, und also die Elemente einer auf freien Erwerb


Worte eine weitschweifige deutsche Phrase zu ersetzen — wieder le¬
bendig aufblühten, eben so lag auch die gewerbliche Thätigkeit in
schwerem, todtenähnlichem Schlummer, insofern wir sie nämlich von
dem heutigen, oben angegebenen Standpunkte der Theilung der Ar¬
beit und der Billigkeit und allgemeinen Zugänglichkeit der Producte
betrachten. Abdelkader, der wilde Emir der algierschen Wüsten, ist
behaglicher gekleidet und kennt mehr von des Lebens Bequemlichkeiten,
als Karl der Große, der mächtige Kaiser; tauchte doch dieser, als
er seinen Capitularien ein Jnsiegel ausdrücken wollte, zu diesem
Zwecke seine Hand in die Dinte und legte sie dann auf's Perga¬
ment ! Volk und Priester trugen damals Kleidungsstücke aus Thier¬
häuten, wie heut etwa kaum noch Baschkiren und Kirgisen; an Festta¬
gen warf man über diese Felle eine Hülle von Leinwand. Wenn man einer
Kirche zum Gebrauch sür den Messe lesenden Priester einPaar Schuhe
schenkte, so war dies eine eben so fromme, als beträchtliche Gabe.

Noch später im Mittelalter war der Gebrauch von Weißbrod,
von Schlachtfleisch, von Lichtern und von Leibwäsche etwas sehr Sel¬
tenes. Acht oder zehn Personen schliefen in einem Bette, vornehme
Leute machten ihre Reisen in einem von Ochsen gezogenen Karren.
In einem strengen Winter sah man hohe Damen in Paris, die zum
Kirchgange sich mit strohbelegten, oben eingeschlagenen Tonnen
schleppen ließen. Wahrlich die Chinesen mit ihren elastischen Trag¬
sesseln und ihren behaglich eingerichteten Wohnungen waren damals
um ein gut Theil weiter als wir. Fragen wir uns nun, worin die
Ursache dieser traurigen Zustände lag, so finden wir hier zunächst
freilich wieder die Schuld in der inneren und äußeren Gestaltung
des Staats und der Gesellschaft zu jener Zeit. An die Stelle des
wenigstens in seinem Ursprünge familienartigen römischen Sclaven-
thums war das feudale Leibeigenthum getreten, ein Tausch von Namen,
während die Sache dieselbe geblieben, also die alten, oben auseinander¬
gelegten Hindernisse für den Aufschwung gewerblicher Thätigkeit kei¬
neswegs beseitigt, im Gegentheil durch die rohere, sinnlich und gei¬
stig verwilderte Lebensweise der wilden Ritter nicht einmal so reiche
Veranlassungen zur Ausübung von Geschicklichkeit und künstlerischem
Talent Einzelner geboten wurden. Als aber später trotz der rauhen
Kriegsstürme von allen Seiten her das Städtewesen in Europa sich
zu bilden begann, und also die Elemente einer auf freien Erwerb


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[0315] Worte eine weitschweifige deutsche Phrase zu ersetzen — wieder le¬ bendig aufblühten, eben so lag auch die gewerbliche Thätigkeit in schwerem, todtenähnlichem Schlummer, insofern wir sie nämlich von dem heutigen, oben angegebenen Standpunkte der Theilung der Ar¬ beit und der Billigkeit und allgemeinen Zugänglichkeit der Producte betrachten. Abdelkader, der wilde Emir der algierschen Wüsten, ist behaglicher gekleidet und kennt mehr von des Lebens Bequemlichkeiten, als Karl der Große, der mächtige Kaiser; tauchte doch dieser, als er seinen Capitularien ein Jnsiegel ausdrücken wollte, zu diesem Zwecke seine Hand in die Dinte und legte sie dann auf's Perga¬ ment ! Volk und Priester trugen damals Kleidungsstücke aus Thier¬ häuten, wie heut etwa kaum noch Baschkiren und Kirgisen; an Festta¬ gen warf man über diese Felle eine Hülle von Leinwand. Wenn man einer Kirche zum Gebrauch sür den Messe lesenden Priester einPaar Schuhe schenkte, so war dies eine eben so fromme, als beträchtliche Gabe. Noch später im Mittelalter war der Gebrauch von Weißbrod, von Schlachtfleisch, von Lichtern und von Leibwäsche etwas sehr Sel¬ tenes. Acht oder zehn Personen schliefen in einem Bette, vornehme Leute machten ihre Reisen in einem von Ochsen gezogenen Karren. In einem strengen Winter sah man hohe Damen in Paris, die zum Kirchgange sich mit strohbelegten, oben eingeschlagenen Tonnen schleppen ließen. Wahrlich die Chinesen mit ihren elastischen Trag¬ sesseln und ihren behaglich eingerichteten Wohnungen waren damals um ein gut Theil weiter als wir. Fragen wir uns nun, worin die Ursache dieser traurigen Zustände lag, so finden wir hier zunächst freilich wieder die Schuld in der inneren und äußeren Gestaltung des Staats und der Gesellschaft zu jener Zeit. An die Stelle des wenigstens in seinem Ursprünge familienartigen römischen Sclaven- thums war das feudale Leibeigenthum getreten, ein Tausch von Namen, während die Sache dieselbe geblieben, also die alten, oben auseinander¬ gelegten Hindernisse für den Aufschwung gewerblicher Thätigkeit kei¬ neswegs beseitigt, im Gegentheil durch die rohere, sinnlich und gei¬ stig verwilderte Lebensweise der wilden Ritter nicht einmal so reiche Veranlassungen zur Ausübung von Geschicklichkeit und künstlerischem Talent Einzelner geboten wurden. Als aber später trotz der rauhen Kriegsstürme von allen Seiten her das Städtewesen in Europa sich zu bilden begann, und also die Elemente einer auf freien Erwerb

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/315>, abgerufen am 26.08.2024.