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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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mündlichen Ueberlieferung, so wie die Waaren auf unwegsamen
Straßen durch Wälder und über Felsen, durch Wüsten und Steppen
auf dem Rücken des Menschen, höchstens des Kameeles getragen
wurden. Jetzt verbreiten die Druckerpressen und die Eisenbahnen,
Dampfschiffe und Telegraphen die Kenntnisse der Menschen eben so
rasch und eben so leicht, wie die Waaren mit Vogelflügels Schnellig¬
keit auf eisernen Wegen und im dampfgetriebenen Kiel durch Land
und über Strom und Meer fliegen.

Der hartnäckigste Rubner des Alterthums muß es doch wohl
eingestehen, daß Alles, was die Alten auf den Gipfelpunkten ihres
Ruhmes vollbracht, auch wir gethan, und daß, wenn wirklich der
Fortschritt einen Zenithpunkt hätte, wir ihn wohl schon erreicht haben
müßten. Aber wir haben noch mehr gethan, als nur den Alten
in Maler- und Bildhauer- und Dichtkunst, in Philosophie und in
Architectur uns gleichzustellen, und jeden Tag noch schreiten wir
weiter vorwärts.

Man denke sich einen Augenblick, um das zu begreisen, wie
weit wir den Alten vorgeschritten sind, es fehlte oder ginge
plötzlich verloren unsrem jetzigen Leben nur eins oder das an¬
dere der folgenden Elemente, welche der alten Welt unbekannt
waren; das Gefühl der fast unerträglichen Armuth eines solchen
gesellschaftlichen Zustandes würde den besten Beweis für un¬
sere Behauptung geben. Was wären wir also ohne Entdeckung
von Amerika und ohne Erfindung der Buchdruckerkunst, ohne Pul¬
ver und ohne Dampf, ohne Eisenbahnen und ohne Gasbeleuchtung,
ohne Pofteinrichtung und ohne Compaß, ohne Chemie und ohne
Anatomie, ohne Decimalsystem, Algebra und angewandte Geometrie,
ohne Spinnmaschinen und ohne Schleusensystem,. ohne Chirurgie
und ohne Wechselbriefe, ohne Mikroskop und ohne Teleskop, ohne
Spiegelglas und ohne Steinkohlen und ohne tausend andere Dinge,
die wir in und auf der Erde, seit der Entdeckung ihrer runden Ge¬
stalt und ihrer Bewegung, gefunden und erfunden haben? Wollte
mancher von uns wohl ohne diese Dinge noch fortleben? Nun denke
man sich aber dagegen, welche Resultate aus der Combination dieser
Elemente, die erst das Alphabet unserer Kenntnisse, die bloßen Grö¬
ßen einer unermeßlichen Gleichung sind, entstehen können!

So lange die Civilisation aus ein Fleckchen der Erde oder in


mündlichen Ueberlieferung, so wie die Waaren auf unwegsamen
Straßen durch Wälder und über Felsen, durch Wüsten und Steppen
auf dem Rücken des Menschen, höchstens des Kameeles getragen
wurden. Jetzt verbreiten die Druckerpressen und die Eisenbahnen,
Dampfschiffe und Telegraphen die Kenntnisse der Menschen eben so
rasch und eben so leicht, wie die Waaren mit Vogelflügels Schnellig¬
keit auf eisernen Wegen und im dampfgetriebenen Kiel durch Land
und über Strom und Meer fliegen.

Der hartnäckigste Rubner des Alterthums muß es doch wohl
eingestehen, daß Alles, was die Alten auf den Gipfelpunkten ihres
Ruhmes vollbracht, auch wir gethan, und daß, wenn wirklich der
Fortschritt einen Zenithpunkt hätte, wir ihn wohl schon erreicht haben
müßten. Aber wir haben noch mehr gethan, als nur den Alten
in Maler- und Bildhauer- und Dichtkunst, in Philosophie und in
Architectur uns gleichzustellen, und jeden Tag noch schreiten wir
weiter vorwärts.

Man denke sich einen Augenblick, um das zu begreisen, wie
weit wir den Alten vorgeschritten sind, es fehlte oder ginge
plötzlich verloren unsrem jetzigen Leben nur eins oder das an¬
dere der folgenden Elemente, welche der alten Welt unbekannt
waren; das Gefühl der fast unerträglichen Armuth eines solchen
gesellschaftlichen Zustandes würde den besten Beweis für un¬
sere Behauptung geben. Was wären wir also ohne Entdeckung
von Amerika und ohne Erfindung der Buchdruckerkunst, ohne Pul¬
ver und ohne Dampf, ohne Eisenbahnen und ohne Gasbeleuchtung,
ohne Pofteinrichtung und ohne Compaß, ohne Chemie und ohne
Anatomie, ohne Decimalsystem, Algebra und angewandte Geometrie,
ohne Spinnmaschinen und ohne Schleusensystem,. ohne Chirurgie
und ohne Wechselbriefe, ohne Mikroskop und ohne Teleskop, ohne
Spiegelglas und ohne Steinkohlen und ohne tausend andere Dinge,
die wir in und auf der Erde, seit der Entdeckung ihrer runden Ge¬
stalt und ihrer Bewegung, gefunden und erfunden haben? Wollte
mancher von uns wohl ohne diese Dinge noch fortleben? Nun denke
man sich aber dagegen, welche Resultate aus der Combination dieser
Elemente, die erst das Alphabet unserer Kenntnisse, die bloßen Grö¬
ßen einer unermeßlichen Gleichung sind, entstehen können!

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[0313] mündlichen Ueberlieferung, so wie die Waaren auf unwegsamen Straßen durch Wälder und über Felsen, durch Wüsten und Steppen auf dem Rücken des Menschen, höchstens des Kameeles getragen wurden. Jetzt verbreiten die Druckerpressen und die Eisenbahnen, Dampfschiffe und Telegraphen die Kenntnisse der Menschen eben so rasch und eben so leicht, wie die Waaren mit Vogelflügels Schnellig¬ keit auf eisernen Wegen und im dampfgetriebenen Kiel durch Land und über Strom und Meer fliegen. Der hartnäckigste Rubner des Alterthums muß es doch wohl eingestehen, daß Alles, was die Alten auf den Gipfelpunkten ihres Ruhmes vollbracht, auch wir gethan, und daß, wenn wirklich der Fortschritt einen Zenithpunkt hätte, wir ihn wohl schon erreicht haben müßten. Aber wir haben noch mehr gethan, als nur den Alten in Maler- und Bildhauer- und Dichtkunst, in Philosophie und in Architectur uns gleichzustellen, und jeden Tag noch schreiten wir weiter vorwärts. Man denke sich einen Augenblick, um das zu begreisen, wie weit wir den Alten vorgeschritten sind, es fehlte oder ginge plötzlich verloren unsrem jetzigen Leben nur eins oder das an¬ dere der folgenden Elemente, welche der alten Welt unbekannt waren; das Gefühl der fast unerträglichen Armuth eines solchen gesellschaftlichen Zustandes würde den besten Beweis für un¬ sere Behauptung geben. Was wären wir also ohne Entdeckung von Amerika und ohne Erfindung der Buchdruckerkunst, ohne Pul¬ ver und ohne Dampf, ohne Eisenbahnen und ohne Gasbeleuchtung, ohne Pofteinrichtung und ohne Compaß, ohne Chemie und ohne Anatomie, ohne Decimalsystem, Algebra und angewandte Geometrie, ohne Spinnmaschinen und ohne Schleusensystem,. ohne Chirurgie und ohne Wechselbriefe, ohne Mikroskop und ohne Teleskop, ohne Spiegelglas und ohne Steinkohlen und ohne tausend andere Dinge, die wir in und auf der Erde, seit der Entdeckung ihrer runden Ge¬ stalt und ihrer Bewegung, gefunden und erfunden haben? Wollte mancher von uns wohl ohne diese Dinge noch fortleben? Nun denke man sich aber dagegen, welche Resultate aus der Combination dieser Elemente, die erst das Alphabet unserer Kenntnisse, die bloßen Grö¬ ßen einer unermeßlichen Gleichung sind, entstehen können! So lange die Civilisation aus ein Fleckchen der Erde oder in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/313>, abgerufen am 26.08.2024.