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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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im Kreise und es habe die Bildung, gleich den Bahnen der^ Plane¬
ten, eine Erdferne und eine Erdnähe und es erreiche ein jedes Volk,
wenn auch ein jedes in einer andern Weise und auf anderem Wege,
den Kulminationspunkt dieser Bahn, von da ab denn das Sinken
und Herabsteigen unvermeidlich sei. Jetzt aber, da wir des Alter¬
thums Höhe erreicht haben, in dem, worin es groß und erhaben
war und doch daneben auch auf anderen Bahnen einem andern ho¬
hen Ziele uns nähern, jetzt mag man wohl eher sagen, daß die
Bahn, welche der Menschengeist in seiner geschichtlichen Entfaltung
beschreibt, einer Spirale gleicht, die, obgleich scheinbar stets in den¬
selben Schwingungen sich bewegend, doch fortwährend sich erweitert
und von dem Punkte, von dem sie ausgelaufen, sich immer mehr
entfernt.

So oft auch bisher die Menschheit gesunken oder von einer
Höhe herabgestürzt zu sein scheint, so waren dies doch immer nur
die ersten Versuche eines Kindes, das, während es gehen lernt, sällt
und sich wieder aufrichtet und noch oftmals fällt, bis es endlich fest
stehen und gehen gelernt hat. Jetzt nun ist auch die Menschheit so
weit: sie ist kein Kind mehr, sie hat ihre Windeln und Gängelbande
abgeschüttelt, sie steht und geht allein; aber jung ist sie noch. Denn
weil der Geist der Menschheit kein anderer ist als der belebende
Hauch der Gottheit, der in der Geschichte sich manifestirt, darum ist
der Fortschritt ein ewiger und darum sind Jahre für ihn wie Tage
und Jahrhunderte wie Monate.

So sind also alle Arbeiten der Aegyptier, der Griechen, der
Römer, überhaupt all unserer fernern und nähern Vergangenheit
nur Anhäufungen von Kräften gewesen, um den großen Schwung
der Bildung hervorzubringen, in dem die Welt sich jetzt dreht und
den Menschenhand nur unterhalten, befördern und beschleunigen
kann, aber nicht frevlerisch zu hemmen vermag; denn wer es wagen
will, mit verwegener Hand dem Rade in die Speichen zu greifen
oder es zurückzudrehen, der würde zermalmt und zerbrochen, gleich einem
Strohhalm, der unter die Fugen eines Walzwerkes gerathen wäre.

Der Gang und Fortschritt der Civilisation steht im geraden
Verhältnisse zu der Leichtigkeit der Mittheilungswege unter den
Menschen. Einst verbreiteten sich Kenntnisse nur langsam und un¬
sicher auf den wenig betretenen, mühsam sich windenden Pfaden der


im Kreise und es habe die Bildung, gleich den Bahnen der^ Plane¬
ten, eine Erdferne und eine Erdnähe und es erreiche ein jedes Volk,
wenn auch ein jedes in einer andern Weise und auf anderem Wege,
den Kulminationspunkt dieser Bahn, von da ab denn das Sinken
und Herabsteigen unvermeidlich sei. Jetzt aber, da wir des Alter¬
thums Höhe erreicht haben, in dem, worin es groß und erhaben
war und doch daneben auch auf anderen Bahnen einem andern ho¬
hen Ziele uns nähern, jetzt mag man wohl eher sagen, daß die
Bahn, welche der Menschengeist in seiner geschichtlichen Entfaltung
beschreibt, einer Spirale gleicht, die, obgleich scheinbar stets in den¬
selben Schwingungen sich bewegend, doch fortwährend sich erweitert
und von dem Punkte, von dem sie ausgelaufen, sich immer mehr
entfernt.

So oft auch bisher die Menschheit gesunken oder von einer
Höhe herabgestürzt zu sein scheint, so waren dies doch immer nur
die ersten Versuche eines Kindes, das, während es gehen lernt, sällt
und sich wieder aufrichtet und noch oftmals fällt, bis es endlich fest
stehen und gehen gelernt hat. Jetzt nun ist auch die Menschheit so
weit: sie ist kein Kind mehr, sie hat ihre Windeln und Gängelbande
abgeschüttelt, sie steht und geht allein; aber jung ist sie noch. Denn
weil der Geist der Menschheit kein anderer ist als der belebende
Hauch der Gottheit, der in der Geschichte sich manifestirt, darum ist
der Fortschritt ein ewiger und darum sind Jahre für ihn wie Tage
und Jahrhunderte wie Monate.

So sind also alle Arbeiten der Aegyptier, der Griechen, der
Römer, überhaupt all unserer fernern und nähern Vergangenheit
nur Anhäufungen von Kräften gewesen, um den großen Schwung
der Bildung hervorzubringen, in dem die Welt sich jetzt dreht und
den Menschenhand nur unterhalten, befördern und beschleunigen
kann, aber nicht frevlerisch zu hemmen vermag; denn wer es wagen
will, mit verwegener Hand dem Rade in die Speichen zu greifen
oder es zurückzudrehen, der würde zermalmt und zerbrochen, gleich einem
Strohhalm, der unter die Fugen eines Walzwerkes gerathen wäre.

Der Gang und Fortschritt der Civilisation steht im geraden
Verhältnisse zu der Leichtigkeit der Mittheilungswege unter den
Menschen. Einst verbreiteten sich Kenntnisse nur langsam und un¬
sicher auf den wenig betretenen, mühsam sich windenden Pfaden der


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[0312] im Kreise und es habe die Bildung, gleich den Bahnen der^ Plane¬ ten, eine Erdferne und eine Erdnähe und es erreiche ein jedes Volk, wenn auch ein jedes in einer andern Weise und auf anderem Wege, den Kulminationspunkt dieser Bahn, von da ab denn das Sinken und Herabsteigen unvermeidlich sei. Jetzt aber, da wir des Alter¬ thums Höhe erreicht haben, in dem, worin es groß und erhaben war und doch daneben auch auf anderen Bahnen einem andern ho¬ hen Ziele uns nähern, jetzt mag man wohl eher sagen, daß die Bahn, welche der Menschengeist in seiner geschichtlichen Entfaltung beschreibt, einer Spirale gleicht, die, obgleich scheinbar stets in den¬ selben Schwingungen sich bewegend, doch fortwährend sich erweitert und von dem Punkte, von dem sie ausgelaufen, sich immer mehr entfernt. So oft auch bisher die Menschheit gesunken oder von einer Höhe herabgestürzt zu sein scheint, so waren dies doch immer nur die ersten Versuche eines Kindes, das, während es gehen lernt, sällt und sich wieder aufrichtet und noch oftmals fällt, bis es endlich fest stehen und gehen gelernt hat. Jetzt nun ist auch die Menschheit so weit: sie ist kein Kind mehr, sie hat ihre Windeln und Gängelbande abgeschüttelt, sie steht und geht allein; aber jung ist sie noch. Denn weil der Geist der Menschheit kein anderer ist als der belebende Hauch der Gottheit, der in der Geschichte sich manifestirt, darum ist der Fortschritt ein ewiger und darum sind Jahre für ihn wie Tage und Jahrhunderte wie Monate. So sind also alle Arbeiten der Aegyptier, der Griechen, der Römer, überhaupt all unserer fernern und nähern Vergangenheit nur Anhäufungen von Kräften gewesen, um den großen Schwung der Bildung hervorzubringen, in dem die Welt sich jetzt dreht und den Menschenhand nur unterhalten, befördern und beschleunigen kann, aber nicht frevlerisch zu hemmen vermag; denn wer es wagen will, mit verwegener Hand dem Rade in die Speichen zu greifen oder es zurückzudrehen, der würde zermalmt und zerbrochen, gleich einem Strohhalm, der unter die Fugen eines Walzwerkes gerathen wäre. Der Gang und Fortschritt der Civilisation steht im geraden Verhältnisse zu der Leichtigkeit der Mittheilungswege unter den Menschen. Einst verbreiteten sich Kenntnisse nur langsam und un¬ sicher auf den wenig betretenen, mühsam sich windenden Pfaden der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/312>, abgerufen am 26.08.2024.