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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Burschen und hinter ihnen Väter und Mütter in würdigem Sonn¬
tagsstaat, das Gesangbuch unterm Arm, durch ihre beblumten Felder
zur Kirche wallen, wenn hinter uns noch weithin der Gesang der
Gemeinde auf den Tönen der Orgel sich durch die reinen, ruhigen
Lüfte schwingt, wenn weiterhin aus dem Giebel einer alten Kirchen¬
ruine durch die leeren spitzbogigen Fenster blauer Himmel und grüne
Blätter schauen, so muß es in uns Sonntag sein, und alle Gedan¬
ken und alle Sinne drängen sich zu stillem, seligem Gottesdienst.

Kann hier in solcher Wald- und Wieseneinsamkeit, so fragen
wir, kann in solcher einfach den Gott im stillen Säuseln der Blät¬
ter, im Blühen und Duften der Blüthen, im Schmettern der Lerche,
im Gesumse der Biene, im Gezirpe der Eleate predigenden Umge¬
bung ein Geist der Hölle, ein Geist des Gottlosen und Widergött¬
lichen Hausen? Unmöglich! Ein solcher geht heute nicht mehr in die
Wüste der Einöde, er geht in die Wüste der rauschenden Städte,
in die Wüste der um Geld und Gut, um Namen und Ehre in
Neid und Haß, um die Götter des Bauches und um Mammon,
und leider auch um Theologie und Religion in Erbärmlichkeiten sich
verzehrenden, ihre hoffnungsvollsten Kinder dem Moloch der Zeit in
die von Gierde und Leidenschaft brennenden Arme werfenden Gesell¬
schaft. Wer aber in die Einöde fliehet, das ist ein Geist der Wahr¬
heit und Freiheit, der die Lüge, die allherrschende, und die Knecht¬
schaft, die allduldende, flieht, das ist ein Geist, der frische Luft, hel¬
len Sinn, klares Auge ohne Brille und Opernglas verlangt, der
den falschen Aufputz, die gleißnerische Schminke einer sich selbst um
ihre theuersten Interessen belügenden Zeit haßt, der diesen Affengeist
verachtet, der heute von dem Franzosen sein Leben und seinen Geist,
morgen von dem Engländer sein Geld, seine Maschinen borgen
will, mit einem Worte, es ist ein Geist, der von dem blos super-
naturellen Oeus ox macliioa nichts betteln und dem materiellen
plus in in-teliillll nichts opfern will.

Mittag ist nahe herangekommen, indem wir so sinnen und
wandern, die Hitze will drückend werden, wir sehnen uns nach dem
Ziele der Wanderung, da erscheint durch Bäume und Holz hindurch
links auf einer kleinen Anhöhe, durch den Bach von den Hütten
und Häusern zu seinen Füßen geschieden, das alte Jagdschloß, der
Markgrafen von Anspach, daS dem Weiler Bruckberg Namen und


Burschen und hinter ihnen Väter und Mütter in würdigem Sonn¬
tagsstaat, das Gesangbuch unterm Arm, durch ihre beblumten Felder
zur Kirche wallen, wenn hinter uns noch weithin der Gesang der
Gemeinde auf den Tönen der Orgel sich durch die reinen, ruhigen
Lüfte schwingt, wenn weiterhin aus dem Giebel einer alten Kirchen¬
ruine durch die leeren spitzbogigen Fenster blauer Himmel und grüne
Blätter schauen, so muß es in uns Sonntag sein, und alle Gedan¬
ken und alle Sinne drängen sich zu stillem, seligem Gottesdienst.

Kann hier in solcher Wald- und Wieseneinsamkeit, so fragen
wir, kann in solcher einfach den Gott im stillen Säuseln der Blät¬
ter, im Blühen und Duften der Blüthen, im Schmettern der Lerche,
im Gesumse der Biene, im Gezirpe der Eleate predigenden Umge¬
bung ein Geist der Hölle, ein Geist des Gottlosen und Widergött¬
lichen Hausen? Unmöglich! Ein solcher geht heute nicht mehr in die
Wüste der Einöde, er geht in die Wüste der rauschenden Städte,
in die Wüste der um Geld und Gut, um Namen und Ehre in
Neid und Haß, um die Götter des Bauches und um Mammon,
und leider auch um Theologie und Religion in Erbärmlichkeiten sich
verzehrenden, ihre hoffnungsvollsten Kinder dem Moloch der Zeit in
die von Gierde und Leidenschaft brennenden Arme werfenden Gesell¬
schaft. Wer aber in die Einöde fliehet, das ist ein Geist der Wahr¬
heit und Freiheit, der die Lüge, die allherrschende, und die Knecht¬
schaft, die allduldende, flieht, das ist ein Geist, der frische Luft, hel¬
len Sinn, klares Auge ohne Brille und Opernglas verlangt, der
den falschen Aufputz, die gleißnerische Schminke einer sich selbst um
ihre theuersten Interessen belügenden Zeit haßt, der diesen Affengeist
verachtet, der heute von dem Franzosen sein Leben und seinen Geist,
morgen von dem Engländer sein Geld, seine Maschinen borgen
will, mit einem Worte, es ist ein Geist, der von dem blos super-
naturellen Oeus ox macliioa nichts betteln und dem materiellen
plus in in-teliillll nichts opfern will.

Mittag ist nahe herangekommen, indem wir so sinnen und
wandern, die Hitze will drückend werden, wir sehnen uns nach dem
Ziele der Wanderung, da erscheint durch Bäume und Holz hindurch
links auf einer kleinen Anhöhe, durch den Bach von den Hütten
und Häusern zu seinen Füßen geschieden, das alte Jagdschloß, der
Markgrafen von Anspach, daS dem Weiler Bruckberg Namen und


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[0030] Burschen und hinter ihnen Väter und Mütter in würdigem Sonn¬ tagsstaat, das Gesangbuch unterm Arm, durch ihre beblumten Felder zur Kirche wallen, wenn hinter uns noch weithin der Gesang der Gemeinde auf den Tönen der Orgel sich durch die reinen, ruhigen Lüfte schwingt, wenn weiterhin aus dem Giebel einer alten Kirchen¬ ruine durch die leeren spitzbogigen Fenster blauer Himmel und grüne Blätter schauen, so muß es in uns Sonntag sein, und alle Gedan¬ ken und alle Sinne drängen sich zu stillem, seligem Gottesdienst. Kann hier in solcher Wald- und Wieseneinsamkeit, so fragen wir, kann in solcher einfach den Gott im stillen Säuseln der Blät¬ ter, im Blühen und Duften der Blüthen, im Schmettern der Lerche, im Gesumse der Biene, im Gezirpe der Eleate predigenden Umge¬ bung ein Geist der Hölle, ein Geist des Gottlosen und Widergött¬ lichen Hausen? Unmöglich! Ein solcher geht heute nicht mehr in die Wüste der Einöde, er geht in die Wüste der rauschenden Städte, in die Wüste der um Geld und Gut, um Namen und Ehre in Neid und Haß, um die Götter des Bauches und um Mammon, und leider auch um Theologie und Religion in Erbärmlichkeiten sich verzehrenden, ihre hoffnungsvollsten Kinder dem Moloch der Zeit in die von Gierde und Leidenschaft brennenden Arme werfenden Gesell¬ schaft. Wer aber in die Einöde fliehet, das ist ein Geist der Wahr¬ heit und Freiheit, der die Lüge, die allherrschende, und die Knecht¬ schaft, die allduldende, flieht, das ist ein Geist, der frische Luft, hel¬ len Sinn, klares Auge ohne Brille und Opernglas verlangt, der den falschen Aufputz, die gleißnerische Schminke einer sich selbst um ihre theuersten Interessen belügenden Zeit haßt, der diesen Affengeist verachtet, der heute von dem Franzosen sein Leben und seinen Geist, morgen von dem Engländer sein Geld, seine Maschinen borgen will, mit einem Worte, es ist ein Geist, der von dem blos super- naturellen Oeus ox macliioa nichts betteln und dem materiellen plus in in-teliillll nichts opfern will. Mittag ist nahe herangekommen, indem wir so sinnen und wandern, die Hitze will drückend werden, wir sehnen uns nach dem Ziele der Wanderung, da erscheint durch Bäume und Holz hindurch links auf einer kleinen Anhöhe, durch den Bach von den Hütten und Häusern zu seinen Füßen geschieden, das alte Jagdschloß, der Markgrafen von Anspach, daS dem Weiler Bruckberg Namen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/30>, abgerufen am 23.07.2024.