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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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nicht so naturfrischen und von leiblicher und geistiger Gesundheit
strotzenden Gustav Pfitzer, der mit seiner philosophischen Natur
ebenso in die Poesie übergreift, als Feuerbach mit selner poetischen
Natur in die Philosophie. Zum Philosophen hat Feuerbach zu
viel Lust am Unmittelbaren, zu viel Naturstnn und einfaches Lebens-
gefühl, zu wenig Kathedergeduld, zu wenig Sitzfleisch. Zum Dich-
ter hat er zu viel Lust am Zerlegen und Zerstören, er pflückt das
doive Maienblümchen am Ende doch nur, um eS zu zerpflücken, und
an ihm, dem Monocotyledonen, die Dicotyledonen zu negiren. Was
der Brutwärme eines mild ihm entgegenschlagenden Herzens bedarf,
um ein eigenes Leben zu erlangen, muß an der Glut deS Feuerbach-
schen Herzens sich versengen. Wann so der Philosoph den Dichter und
der Dichter den Philosophen in ihm aufzehrt, so bleibt am Ende
freilich wenig übrig außer dem einzigen Manne, Ludwig Feuerbach
genannt, der mit unverwüstlichem Appetite fort und fort sich jene
beiden schmecken läßt.

Und nun wir uns aus seinem geistigen Wirken das geistige
Bild deS Mannes gewonnen, soll zur Vollendung des Gemäldes
Feuerbach selbst in leibeigener Gestalt ein Stündchen sitzen. Der
schönste Sommer-Sonntagsmorgen zieht über das alte freundliche
Nürnberg herauf, wir verlassen die heimlich und traulich uns grü¬
ßenden engen, aber reinlichen und wohnlichen Straßen mit ihren
malerischen Giebeln und lieblichen Erkern zu guter Stunde, um noch
vor Mittag nach Bruckberg zu kommen. Zur rechten Seite der
Hauptstraße von Nürnberg nach dem 8 Stunden südlich entfernten
Geburtsort UzenS, der Ruhestätte Caspar Hanser's, dem alten Mark¬
grafensitze Ansbach folgen wir einem kleinen in die Rezat heranflie¬
ßenden Bache, der Biber, die sich durch ein schmales, sanftgemul-
detes Wiesenthal anspruchslos und still wie der abgelegene und
durch Wald umschlossene Thalgrund, herunterschlängelt, fleißig Müh¬
len treibend, manchem Dorf und Weiler, die Sohlen netzend und
den Wanderer mit allem, was das Aug' ergötzt, erfreuend. Auf die
großen Erinnerungen vergangener Tage der alten Kaiserstadt und
den behenden Lärm ihrer regen, gewerbsfleißigen und kaufmännischen
Gegenwart spricht es uns so traulich in diesem stillen Wiesenthale
zum Gemüthe, und wenn es wie heute Sonntag Morgen ist, und
die Glocken klingen, und die frischgeputzten Mädchen, die heitern


nicht so naturfrischen und von leiblicher und geistiger Gesundheit
strotzenden Gustav Pfitzer, der mit seiner philosophischen Natur
ebenso in die Poesie übergreift, als Feuerbach mit selner poetischen
Natur in die Philosophie. Zum Philosophen hat Feuerbach zu
viel Lust am Unmittelbaren, zu viel Naturstnn und einfaches Lebens-
gefühl, zu wenig Kathedergeduld, zu wenig Sitzfleisch. Zum Dich-
ter hat er zu viel Lust am Zerlegen und Zerstören, er pflückt das
doive Maienblümchen am Ende doch nur, um eS zu zerpflücken, und
an ihm, dem Monocotyledonen, die Dicotyledonen zu negiren. Was
der Brutwärme eines mild ihm entgegenschlagenden Herzens bedarf,
um ein eigenes Leben zu erlangen, muß an der Glut deS Feuerbach-
schen Herzens sich versengen. Wann so der Philosoph den Dichter und
der Dichter den Philosophen in ihm aufzehrt, so bleibt am Ende
freilich wenig übrig außer dem einzigen Manne, Ludwig Feuerbach
genannt, der mit unverwüstlichem Appetite fort und fort sich jene
beiden schmecken läßt.

Und nun wir uns aus seinem geistigen Wirken das geistige
Bild deS Mannes gewonnen, soll zur Vollendung des Gemäldes
Feuerbach selbst in leibeigener Gestalt ein Stündchen sitzen. Der
schönste Sommer-Sonntagsmorgen zieht über das alte freundliche
Nürnberg herauf, wir verlassen die heimlich und traulich uns grü¬
ßenden engen, aber reinlichen und wohnlichen Straßen mit ihren
malerischen Giebeln und lieblichen Erkern zu guter Stunde, um noch
vor Mittag nach Bruckberg zu kommen. Zur rechten Seite der
Hauptstraße von Nürnberg nach dem 8 Stunden südlich entfernten
Geburtsort UzenS, der Ruhestätte Caspar Hanser's, dem alten Mark¬
grafensitze Ansbach folgen wir einem kleinen in die Rezat heranflie¬
ßenden Bache, der Biber, die sich durch ein schmales, sanftgemul-
detes Wiesenthal anspruchslos und still wie der abgelegene und
durch Wald umschlossene Thalgrund, herunterschlängelt, fleißig Müh¬
len treibend, manchem Dorf und Weiler, die Sohlen netzend und
den Wanderer mit allem, was das Aug' ergötzt, erfreuend. Auf die
großen Erinnerungen vergangener Tage der alten Kaiserstadt und
den behenden Lärm ihrer regen, gewerbsfleißigen und kaufmännischen
Gegenwart spricht es uns so traulich in diesem stillen Wiesenthale
zum Gemüthe, und wenn es wie heute Sonntag Morgen ist, und
die Glocken klingen, und die frischgeputzten Mädchen, die heitern


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[0029] nicht so naturfrischen und von leiblicher und geistiger Gesundheit strotzenden Gustav Pfitzer, der mit seiner philosophischen Natur ebenso in die Poesie übergreift, als Feuerbach mit selner poetischen Natur in die Philosophie. Zum Philosophen hat Feuerbach zu viel Lust am Unmittelbaren, zu viel Naturstnn und einfaches Lebens- gefühl, zu wenig Kathedergeduld, zu wenig Sitzfleisch. Zum Dich- ter hat er zu viel Lust am Zerlegen und Zerstören, er pflückt das doive Maienblümchen am Ende doch nur, um eS zu zerpflücken, und an ihm, dem Monocotyledonen, die Dicotyledonen zu negiren. Was der Brutwärme eines mild ihm entgegenschlagenden Herzens bedarf, um ein eigenes Leben zu erlangen, muß an der Glut deS Feuerbach- schen Herzens sich versengen. Wann so der Philosoph den Dichter und der Dichter den Philosophen in ihm aufzehrt, so bleibt am Ende freilich wenig übrig außer dem einzigen Manne, Ludwig Feuerbach genannt, der mit unverwüstlichem Appetite fort und fort sich jene beiden schmecken läßt. Und nun wir uns aus seinem geistigen Wirken das geistige Bild deS Mannes gewonnen, soll zur Vollendung des Gemäldes Feuerbach selbst in leibeigener Gestalt ein Stündchen sitzen. Der schönste Sommer-Sonntagsmorgen zieht über das alte freundliche Nürnberg herauf, wir verlassen die heimlich und traulich uns grü¬ ßenden engen, aber reinlichen und wohnlichen Straßen mit ihren malerischen Giebeln und lieblichen Erkern zu guter Stunde, um noch vor Mittag nach Bruckberg zu kommen. Zur rechten Seite der Hauptstraße von Nürnberg nach dem 8 Stunden südlich entfernten Geburtsort UzenS, der Ruhestätte Caspar Hanser's, dem alten Mark¬ grafensitze Ansbach folgen wir einem kleinen in die Rezat heranflie¬ ßenden Bache, der Biber, die sich durch ein schmales, sanftgemul- detes Wiesenthal anspruchslos und still wie der abgelegene und durch Wald umschlossene Thalgrund, herunterschlängelt, fleißig Müh¬ len treibend, manchem Dorf und Weiler, die Sohlen netzend und den Wanderer mit allem, was das Aug' ergötzt, erfreuend. Auf die großen Erinnerungen vergangener Tage der alten Kaiserstadt und den behenden Lärm ihrer regen, gewerbsfleißigen und kaufmännischen Gegenwart spricht es uns so traulich in diesem stillen Wiesenthale zum Gemüthe, und wenn es wie heute Sonntag Morgen ist, und die Glocken klingen, und die frischgeputzten Mädchen, die heitern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/29>, abgerufen am 23.07.2024.