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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Proselyten. Affen gibt eS freilich allenthalben. Nie und nirgends
aber erstanden reformatorische, die Menschheit wirklich weiter bildende
Genien an der Hand der bloßen Negation, der bloßen Leidenschaft¬
lichkeit des Zerstörens. Nie zwar hat in ihnen das "Eiferartige",
wie eS Plato nannte, gefehlt, selbst Christus wußte die Käufer und
Verkäufer aus dem Tempel zu werfen, aber bei allen bekundete die
Ruhe, Sicherheit und Stetigkeit, welche ihre Erscheinung, ihre Tha¬
ten und Worte charakterisieren, daß ein wirklicher, in sich beschlosse¬
ner, ihnen gegenständlich gewordener Gehalt ihre Brust erfüllte, ver¬
möge dessen sie mehr gaben, als sie nahmen, und darum das Jahr¬
hundert und die Welt bezwangen.

Ich wollte wünschen, Feuerbach könnte recht viele wirkliche An¬
hänger um sich sammeln, mir wäre nicht bange um Himmel und
Erde, um Religion und Sitte, beide müßten am Ende nur gewin¬
nen. Aber "Gottlob", wo nicht "leider" gibt es wenige Feuerbachs
heute, zu dieser unserer schlappen, naturlosen, verkrüppelten und ver-
zwergten Zeit der Fräcke und Maschinen. Wer seine Ansichten thei¬
len wollte, müßte auch so gesund, lebenskräftig, sinnlichfrisch, geistes¬
freudig sein, wie er. Mit vollem Rechte mag er von sich sagen:
se^Jo c't-se l'Kommv ahme; wie viel erst die Methode!" Ist
er selbst seine Methode, so kann sie auch nur von ihm getrieben
werden. Lesen ihn Viele, so verstehen ihn Wenige und stimmt mit
ihm im Herzensgrunde Keiner überein. Weil aber sein Denken und
Lehren so durchaus subjectiv und individuell ist, so wird er wohl
schwerlich anders, denn als ein glänzendes Meteor vorüberziehen.

Ich kann nicht denken, daß dieser Vulkan so leicht ausbrenne,
von Zeit zu Zeit wird er die Glutbäche seines Innern unter Blitz
und Wetterleuchten ausströmen, auf der Lava, wenn sie erkaltet,
wird einst noch manches Korn und manche Rebe sich bauen lassen,
aber unmittelbar zum Heile des Jahrhunderts wirken wird er nie,
dazu fehlt es ihm an Objektivität, an einem Inhalt, der ihm Ruhe
und Stetigkeit abgewänne.

Wenn aber Feuerbach der Mann des objectiven, positiven In¬
haltes wäre, so würde sicherlich seine Arbeit eine andere als philo¬
sophische sein. Er ist philosophisch nur um das, was Philosophie
ist und sein will, zu negiren. Und er negirt es nicht schrittweise
mit der Widerlegung der Dialektik, sondern sprungweise mit der


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Proselyten. Affen gibt eS freilich allenthalben. Nie und nirgends
aber erstanden reformatorische, die Menschheit wirklich weiter bildende
Genien an der Hand der bloßen Negation, der bloßen Leidenschaft¬
lichkeit des Zerstörens. Nie zwar hat in ihnen das „Eiferartige",
wie eS Plato nannte, gefehlt, selbst Christus wußte die Käufer und
Verkäufer aus dem Tempel zu werfen, aber bei allen bekundete die
Ruhe, Sicherheit und Stetigkeit, welche ihre Erscheinung, ihre Tha¬
ten und Worte charakterisieren, daß ein wirklicher, in sich beschlosse¬
ner, ihnen gegenständlich gewordener Gehalt ihre Brust erfüllte, ver¬
möge dessen sie mehr gaben, als sie nahmen, und darum das Jahr¬
hundert und die Welt bezwangen.

Ich wollte wünschen, Feuerbach könnte recht viele wirkliche An¬
hänger um sich sammeln, mir wäre nicht bange um Himmel und
Erde, um Religion und Sitte, beide müßten am Ende nur gewin¬
nen. Aber „Gottlob", wo nicht „leider" gibt es wenige Feuerbachs
heute, zu dieser unserer schlappen, naturlosen, verkrüppelten und ver-
zwergten Zeit der Fräcke und Maschinen. Wer seine Ansichten thei¬
len wollte, müßte auch so gesund, lebenskräftig, sinnlichfrisch, geistes¬
freudig sein, wie er. Mit vollem Rechte mag er von sich sagen:
se^Jo c't-se l'Kommv ahme; wie viel erst die Methode!" Ist
er selbst seine Methode, so kann sie auch nur von ihm getrieben
werden. Lesen ihn Viele, so verstehen ihn Wenige und stimmt mit
ihm im Herzensgrunde Keiner überein. Weil aber sein Denken und
Lehren so durchaus subjectiv und individuell ist, so wird er wohl
schwerlich anders, denn als ein glänzendes Meteor vorüberziehen.

Ich kann nicht denken, daß dieser Vulkan so leicht ausbrenne,
von Zeit zu Zeit wird er die Glutbäche seines Innern unter Blitz
und Wetterleuchten ausströmen, auf der Lava, wenn sie erkaltet,
wird einst noch manches Korn und manche Rebe sich bauen lassen,
aber unmittelbar zum Heile des Jahrhunderts wirken wird er nie,
dazu fehlt es ihm an Objektivität, an einem Inhalt, der ihm Ruhe
und Stetigkeit abgewänne.

Wenn aber Feuerbach der Mann des objectiven, positiven In¬
haltes wäre, so würde sicherlich seine Arbeit eine andere als philo¬
sophische sein. Er ist philosophisch nur um das, was Philosophie
ist und sein will, zu negiren. Und er negirt es nicht schrittweise
mit der Widerlegung der Dialektik, sondern sprungweise mit der


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[0027] Proselyten. Affen gibt eS freilich allenthalben. Nie und nirgends aber erstanden reformatorische, die Menschheit wirklich weiter bildende Genien an der Hand der bloßen Negation, der bloßen Leidenschaft¬ lichkeit des Zerstörens. Nie zwar hat in ihnen das „Eiferartige", wie eS Plato nannte, gefehlt, selbst Christus wußte die Käufer und Verkäufer aus dem Tempel zu werfen, aber bei allen bekundete die Ruhe, Sicherheit und Stetigkeit, welche ihre Erscheinung, ihre Tha¬ ten und Worte charakterisieren, daß ein wirklicher, in sich beschlosse¬ ner, ihnen gegenständlich gewordener Gehalt ihre Brust erfüllte, ver¬ möge dessen sie mehr gaben, als sie nahmen, und darum das Jahr¬ hundert und die Welt bezwangen. Ich wollte wünschen, Feuerbach könnte recht viele wirkliche An¬ hänger um sich sammeln, mir wäre nicht bange um Himmel und Erde, um Religion und Sitte, beide müßten am Ende nur gewin¬ nen. Aber „Gottlob", wo nicht „leider" gibt es wenige Feuerbachs heute, zu dieser unserer schlappen, naturlosen, verkrüppelten und ver- zwergten Zeit der Fräcke und Maschinen. Wer seine Ansichten thei¬ len wollte, müßte auch so gesund, lebenskräftig, sinnlichfrisch, geistes¬ freudig sein, wie er. Mit vollem Rechte mag er von sich sagen: se^Jo c't-se l'Kommv ahme; wie viel erst die Methode!" Ist er selbst seine Methode, so kann sie auch nur von ihm getrieben werden. Lesen ihn Viele, so verstehen ihn Wenige und stimmt mit ihm im Herzensgrunde Keiner überein. Weil aber sein Denken und Lehren so durchaus subjectiv und individuell ist, so wird er wohl schwerlich anders, denn als ein glänzendes Meteor vorüberziehen. Ich kann nicht denken, daß dieser Vulkan so leicht ausbrenne, von Zeit zu Zeit wird er die Glutbäche seines Innern unter Blitz und Wetterleuchten ausströmen, auf der Lava, wenn sie erkaltet, wird einst noch manches Korn und manche Rebe sich bauen lassen, aber unmittelbar zum Heile des Jahrhunderts wirken wird er nie, dazu fehlt es ihm an Objektivität, an einem Inhalt, der ihm Ruhe und Stetigkeit abgewänne. Wenn aber Feuerbach der Mann des objectiven, positiven In¬ haltes wäre, so würde sicherlich seine Arbeit eine andere als philo¬ sophische sein. Er ist philosophisch nur um das, was Philosophie ist und sein will, zu negiren. Und er negirt es nicht schrittweise mit der Widerlegung der Dialektik, sondern sprungweise mit der 2»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/27>, abgerufen am 23.07.2024.