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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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weichlichen, kraftlosen Empfindsamkeit, der auis Mangel an ver¬
nünftiger Leitung sich in den erbärmlichsten Rührstücken im Theater
und in den flachsten, fadesten Romanen Auswege sucht, zum Besten
der Leidenden in der großen Menge ein neues, befruchtendes Bette
zu graben, so will ich hiedurch -- und dagegen verwahre ich mich hier¬
mit feierlich -- durchaus nicht etwa einem neuen tausend und ersten
System über das Volk Thür und Thor geöffnet haben. Denn
ich gehöre keinesweges zu denen, welche der Meinung sind, daß
alles Elend unter den Menschen sofort aufhören wird, sobald der
Lumpensammler und der Packenträgcr et twe Avmis omne werden
lesen und schreiben können gleich den Millionären, die nichts weiter
verstehen. Eben so wenig glaube ich, daß die untern Klassen der
Gesellschaft viel an Wohlleben werden gewonnen haben, wenn
man sie fortwährend mit Kartoffeln und Kohl und Rumford'schen
Suppen, aus Knochen, die man dem Schinder abkauft, füttern wird.
Wahrlich, es sind übergenug solcher Suppen vertheilt worden. Und
der schwäbische Pferdeflcischverein wird auch kein Messias der leiden¬
den Armen sein. Füttert Eure Hunve mit diesem Fleisch, das eigent¬
lich dem Abdecker gestohlen ist; aber, ich bitte Euch, erniedrigt arme
Geschöpfe mit Menschengesichtern und in veren Brust ein Menschen-
Herz pocht, nicht dadurch, daß Ihr ihnen diesen unverdaulichen Fraß
mit so viel prunkenden Worten als Wohlthat zuwerfe. Ich habe es
Euch schon gesagt, das Christenthum hat schon lange früher und
weit mehr, als Ihr, das Volk nicht Hungers sterben lassen; aber
es hat nicht in alleil Journalen ausgeschrieen: "Kommt zu uns, Ihr
Hungertgen, Ihr sollt gesättigt werden; kommt zu uns, Ihr Dursti¬
gen, Ihr sollt getränkt werden; kommt zu uns, Ihr alle, die Ihr
leidet am Körper und am Geist, Ihr sollt geheilt werden an Fleisch,
Leib und Seele!" Ihr thut freilich damit nichts Böses, aber Ihr
thut nur wenig Gutes und bei Weitem nicht so viel,^ als Noth thut.

Wenn dieser Frage Behandlung in meinem Bereiche läge, so
wollte ich sagen, was dem Volke Noth thut, und das ist nicht
jene armselige Nahrung, mit der man die erbärmlichen Wohnorte
des Volkes anfüllt. Das ist auch nicht jene hohle, marklose geistige
Nahrung, die man ihm angedeihen läßt und die nur dazu dient,
ihm das Bewußtsein seiner Erniedrigung zu verschaffen und ihm
sei" Elend unerträglicher zu machen. Wißt Ihr, was das Volk


weichlichen, kraftlosen Empfindsamkeit, der auis Mangel an ver¬
nünftiger Leitung sich in den erbärmlichsten Rührstücken im Theater
und in den flachsten, fadesten Romanen Auswege sucht, zum Besten
der Leidenden in der großen Menge ein neues, befruchtendes Bette
zu graben, so will ich hiedurch — und dagegen verwahre ich mich hier¬
mit feierlich — durchaus nicht etwa einem neuen tausend und ersten
System über das Volk Thür und Thor geöffnet haben. Denn
ich gehöre keinesweges zu denen, welche der Meinung sind, daß
alles Elend unter den Menschen sofort aufhören wird, sobald der
Lumpensammler und der Packenträgcr et twe Avmis omne werden
lesen und schreiben können gleich den Millionären, die nichts weiter
verstehen. Eben so wenig glaube ich, daß die untern Klassen der
Gesellschaft viel an Wohlleben werden gewonnen haben, wenn
man sie fortwährend mit Kartoffeln und Kohl und Rumford'schen
Suppen, aus Knochen, die man dem Schinder abkauft, füttern wird.
Wahrlich, es sind übergenug solcher Suppen vertheilt worden. Und
der schwäbische Pferdeflcischverein wird auch kein Messias der leiden¬
den Armen sein. Füttert Eure Hunve mit diesem Fleisch, das eigent¬
lich dem Abdecker gestohlen ist; aber, ich bitte Euch, erniedrigt arme
Geschöpfe mit Menschengesichtern und in veren Brust ein Menschen-
Herz pocht, nicht dadurch, daß Ihr ihnen diesen unverdaulichen Fraß
mit so viel prunkenden Worten als Wohlthat zuwerfe. Ich habe es
Euch schon gesagt, das Christenthum hat schon lange früher und
weit mehr, als Ihr, das Volk nicht Hungers sterben lassen; aber
es hat nicht in alleil Journalen ausgeschrieen: „Kommt zu uns, Ihr
Hungertgen, Ihr sollt gesättigt werden; kommt zu uns, Ihr Dursti¬
gen, Ihr sollt getränkt werden; kommt zu uns, Ihr alle, die Ihr
leidet am Körper und am Geist, Ihr sollt geheilt werden an Fleisch,
Leib und Seele!" Ihr thut freilich damit nichts Böses, aber Ihr
thut nur wenig Gutes und bei Weitem nicht so viel,^ als Noth thut.

Wenn dieser Frage Behandlung in meinem Bereiche läge, so
wollte ich sagen, was dem Volke Noth thut, und das ist nicht
jene armselige Nahrung, mit der man die erbärmlichen Wohnorte
des Volkes anfüllt. Das ist auch nicht jene hohle, marklose geistige
Nahrung, die man ihm angedeihen läßt und die nur dazu dient,
ihm das Bewußtsein seiner Erniedrigung zu verschaffen und ihm
sei» Elend unerträglicher zu machen. Wißt Ihr, was das Volk


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[0268] weichlichen, kraftlosen Empfindsamkeit, der auis Mangel an ver¬ nünftiger Leitung sich in den erbärmlichsten Rührstücken im Theater und in den flachsten, fadesten Romanen Auswege sucht, zum Besten der Leidenden in der großen Menge ein neues, befruchtendes Bette zu graben, so will ich hiedurch — und dagegen verwahre ich mich hier¬ mit feierlich — durchaus nicht etwa einem neuen tausend und ersten System über das Volk Thür und Thor geöffnet haben. Denn ich gehöre keinesweges zu denen, welche der Meinung sind, daß alles Elend unter den Menschen sofort aufhören wird, sobald der Lumpensammler und der Packenträgcr et twe Avmis omne werden lesen und schreiben können gleich den Millionären, die nichts weiter verstehen. Eben so wenig glaube ich, daß die untern Klassen der Gesellschaft viel an Wohlleben werden gewonnen haben, wenn man sie fortwährend mit Kartoffeln und Kohl und Rumford'schen Suppen, aus Knochen, die man dem Schinder abkauft, füttern wird. Wahrlich, es sind übergenug solcher Suppen vertheilt worden. Und der schwäbische Pferdeflcischverein wird auch kein Messias der leiden¬ den Armen sein. Füttert Eure Hunve mit diesem Fleisch, das eigent¬ lich dem Abdecker gestohlen ist; aber, ich bitte Euch, erniedrigt arme Geschöpfe mit Menschengesichtern und in veren Brust ein Menschen- Herz pocht, nicht dadurch, daß Ihr ihnen diesen unverdaulichen Fraß mit so viel prunkenden Worten als Wohlthat zuwerfe. Ich habe es Euch schon gesagt, das Christenthum hat schon lange früher und weit mehr, als Ihr, das Volk nicht Hungers sterben lassen; aber es hat nicht in alleil Journalen ausgeschrieen: „Kommt zu uns, Ihr Hungertgen, Ihr sollt gesättigt werden; kommt zu uns, Ihr Dursti¬ gen, Ihr sollt getränkt werden; kommt zu uns, Ihr alle, die Ihr leidet am Körper und am Geist, Ihr sollt geheilt werden an Fleisch, Leib und Seele!" Ihr thut freilich damit nichts Böses, aber Ihr thut nur wenig Gutes und bei Weitem nicht so viel,^ als Noth thut. Wenn dieser Frage Behandlung in meinem Bereiche läge, so wollte ich sagen, was dem Volke Noth thut, und das ist nicht jene armselige Nahrung, mit der man die erbärmlichen Wohnorte des Volkes anfüllt. Das ist auch nicht jene hohle, marklose geistige Nahrung, die man ihm angedeihen läßt und die nur dazu dient, ihm das Bewußtsein seiner Erniedrigung zu verschaffen und ihm sei» Elend unerträglicher zu machen. Wißt Ihr, was das Volk

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/268>, abgerufen am 23.07.2024.