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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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weck's Aesthetik, was schön sei und daßdas Schönenichtzu nützen brauche. Jngomae
selbst ist so hupcrnaiv, daß er nicht weiß, was ein Kranz ist. "Aus Liebe
frein ? Wie macht Ihr das?" fragt er. Doch verräth sich bald darauf die
Maskerade und er vergleicht die Liebe mit einem tiefen See, in dessen Grund
er sich versenken möchte. Offenbar hat sich der Dichter hier einen falschen
Begriff von dem Sohn eines Naturvolkes gemacht. Ich will nicht weiter
gehen. Wie gesagt, es scheint mir fast, als wäre dies die Sprache, welche der
Dichter reden mußte, um auf das Wiener Publikum Eindruck zu mache".
Das Stück ist für Wiener oder Weiber geschrieben. Süß einschmeichelnd, ge¬
müthlich und phantasiereich ist die Diction; der technische Bau verräth einen
Bühncnkcnner und einzelne Scenen sind so effectvoll und wirklich schwunghaft,
daß sie selbst den ernstem Zuschauer bewegen. Daraus und aus dem treffliche^
Spiel der Mine. Rettich erkläre ich mir die außerordentlichen Erfolge des Stückes.
Trotz oder vielleicht wegen der unwillkürlichen Komik, die das Stück bei der
Aufführung entwickelt, sah man es hier mehrmals mit Vergnügen. Man nahm
es auf wie einen gutmüthigen Wiener, den man lieb gewinnt, während man
herzlich über ihn lachen muß. -- In Berlin hat der Sohn der Wildniß sogar
Furore gemacht, ein Beweis, daß zwischen Wien und Berlin eine größere
Aehnlichkeit herrschen muß, als man zugeben will.

Und Gutzkows "Werner?" Rede mir Einer noch von der Theilnahme
des Volkes, vom Aufschwung des Dramas! Aeußere Verhältnisse sind es, die
heutzutage das Glück einer dramatischen Dichtung machen. Gutzkow's Werner,
obgleich mit allerhand alten Kotzebue "Ifflandischen Elementen versetzt, steht
in mancher Hinsicht so hoch über dem Sohn der Wildniß, wie der Denker
über dem gefühlvollen Declamator. Die Aufführung ging aber beinahe spur¬
los vorüber. Erstens war es dem Publikum nicht mehr neu genug, zweitens
war es zu heiß, drittens ging man lieber in die italienische Oper. Der Büh¬
nendichter dient heutzutage, wie das Bühneninstitut selber, der Gelegenheit
und dem Vergnügen des Publikums im gewöhnlichsten Sinne des Wortes.
Ich fürchte, daß Alles, was die Journale seit zwei oder drei Jahren über
den Aufschwung des deutschen Dramas phantasirt und raisonnirt haben,
lange noch zu den i>iis clvsi-keins gehören wird. -- Eine italienische
Operngesellschaft aus Kopenhagen zieht jetzt die allgemeine Aufmerksamkeit
auf sich. Das Fremdartige der Erscheinung, ivor zwei Jahren waren zum
letzten Mal italienische Sänger hier) das lebhafte Spiel und die hübschen
Gestalten locken das Publikum in das enge, fürchterlich schwüle Haus. Die
sächsische Artigkeit wird von den Gästen gewiß überall gepriesen werden. Man


weck's Aesthetik, was schön sei und daßdas Schönenichtzu nützen brauche. Jngomae
selbst ist so hupcrnaiv, daß er nicht weiß, was ein Kranz ist. „Aus Liebe
frein ? Wie macht Ihr das?" fragt er. Doch verräth sich bald darauf die
Maskerade und er vergleicht die Liebe mit einem tiefen See, in dessen Grund
er sich versenken möchte. Offenbar hat sich der Dichter hier einen falschen
Begriff von dem Sohn eines Naturvolkes gemacht. Ich will nicht weiter
gehen. Wie gesagt, es scheint mir fast, als wäre dies die Sprache, welche der
Dichter reden mußte, um auf das Wiener Publikum Eindruck zu mache».
Das Stück ist für Wiener oder Weiber geschrieben. Süß einschmeichelnd, ge¬
müthlich und phantasiereich ist die Diction; der technische Bau verräth einen
Bühncnkcnner und einzelne Scenen sind so effectvoll und wirklich schwunghaft,
daß sie selbst den ernstem Zuschauer bewegen. Daraus und aus dem treffliche^
Spiel der Mine. Rettich erkläre ich mir die außerordentlichen Erfolge des Stückes.
Trotz oder vielleicht wegen der unwillkürlichen Komik, die das Stück bei der
Aufführung entwickelt, sah man es hier mehrmals mit Vergnügen. Man nahm
es auf wie einen gutmüthigen Wiener, den man lieb gewinnt, während man
herzlich über ihn lachen muß. — In Berlin hat der Sohn der Wildniß sogar
Furore gemacht, ein Beweis, daß zwischen Wien und Berlin eine größere
Aehnlichkeit herrschen muß, als man zugeben will.

Und Gutzkows „Werner?" Rede mir Einer noch von der Theilnahme
des Volkes, vom Aufschwung des Dramas! Aeußere Verhältnisse sind es, die
heutzutage das Glück einer dramatischen Dichtung machen. Gutzkow's Werner,
obgleich mit allerhand alten Kotzebue „Ifflandischen Elementen versetzt, steht
in mancher Hinsicht so hoch über dem Sohn der Wildniß, wie der Denker
über dem gefühlvollen Declamator. Die Aufführung ging aber beinahe spur¬
los vorüber. Erstens war es dem Publikum nicht mehr neu genug, zweitens
war es zu heiß, drittens ging man lieber in die italienische Oper. Der Büh¬
nendichter dient heutzutage, wie das Bühneninstitut selber, der Gelegenheit
und dem Vergnügen des Publikums im gewöhnlichsten Sinne des Wortes.
Ich fürchte, daß Alles, was die Journale seit zwei oder drei Jahren über
den Aufschwung des deutschen Dramas phantasirt und raisonnirt haben,
lange noch zu den i>iis clvsi-keins gehören wird. — Eine italienische
Operngesellschaft aus Kopenhagen zieht jetzt die allgemeine Aufmerksamkeit
auf sich. Das Fremdartige der Erscheinung, ivor zwei Jahren waren zum
letzten Mal italienische Sänger hier) das lebhafte Spiel und die hübschen
Gestalten locken das Publikum in das enge, fürchterlich schwüle Haus. Die
sächsische Artigkeit wird von den Gästen gewiß überall gepriesen werden. Man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/247>, abgerufen am 23.07.2024.