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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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hier; nicht nur, daß in dem ganzen Umkreise der Stadt ganze Straßenrcihen
"en angelegt werden- der Speculationsgeist, die Industrie, die grofien Kapita¬
listen haben hier noch die Ausführung einer eigenthümlichen Idee übernommen,
welche in Deutschland unerhört und beispiellos ist. Zwei Gesellschaften bauen
auf ihre Kosten zwei neue Vorstädte, das Quartier Leopold und das Quartier
Louise. Die erstere dieser beiden Vorstädte baut die 8oeivt6 gönörals ,>our
lÄvni'iLf"- I'in'lnsel'i" nationale: diese Gesellschaft hat einen großen Kreis von
Terrains im Osten der Stadt dicht vor dem Thore angekauft, um letztere an
einzelne Baulustige wieder zu verkaufen. Um dieser neu zu construirenden
Glatt eine gewisse Bevölkerung zu sichern, hat die Gesellschaft nicht nur selbst
eine Reihe von Häusern gebaut, sondern sie hat auch öffentliche Gebäude auf¬
führen lassen, wie sie nur eine vollständig organisirte große Stadt besitzt, hier¬
unter namentlich eine großartige, prachtvoll im herrlichsten Style angelegte
Kirche, welche vor Kurzem von dem Cardinal Erzbischof von Mecheln in eig¬
ner Person eingesegnet wurde. Diese Art von specu-lation hat für den Frem¬
den etwas Unheimliches und Ahnungsvolles: es wird einem in der That ganz
absonderlich zu Muthe, wenn man plötzlich in eine andere Stadt versetzt wird,
mit Häusern , Kirche, Markt, deren Fenster im Sonnenschein glitzern, deren
weiße Mauern den Blick blenden, die aber ganz leer steht, in deren Innern
noch kein Mensch sich regt und die ganz der Zukunft noch angehört, wie eine
neue Wiege, oder vielleicht auch wie ein neuer Sarg. Diese kecke Sicherheit,
mit welcher man auf das Morgen rechnet, erscheint fast frevelhaft und man
zittert, ob nicht das boshafte Schicksal, ergrimmt über den Eingriff und die
Anmaßung der Menschen, ihnen einen bösen Strich durch die Rechnung ziehen
und das so tiefsinnig Combinirte durch einen einzigen Unglücksstreich in seiner
Entwicklung hemmen und zerstören wird. Ein einziger Hauch des Krieges, eine
einzige Wolke am politischen Himmel, -- und all diese schönen Häuser blieben
wie ein ausgeklasencs El, wie ein unverschuldetes Pompeji, öde und leer. Und
bedenken denn diese Männer, die so große Capitalien in solchen Unternehmungen
wagen, nicht den Fall eines Krieges und die damit verbundenen Folgen? Wohl;
aber diese Herren raisonniren folgendergesialt: Ein Krieg in Europa kann bei
dem jetzigen Zustande der Artilleriekunst unmöglich lange dauern, namentlich
auf einem Boden wie Belgien, wo die Transportwege die feindlichen Massen
so rasch gegen einander führen, daß die Entscheidung des Waffcnglücks in einigen
Wochen, ja vielleicht in wenigen Tagen erfolgen muß. Wie dieses sich auch
wende, immer wird Brüssel die Brücke des europäischen Verkehrs zwischen
England, Frankreich und Deutschland bleiben. Die fremden Ansiedler, welche


hier; nicht nur, daß in dem ganzen Umkreise der Stadt ganze Straßenrcihen
»en angelegt werden- der Speculationsgeist, die Industrie, die grofien Kapita¬
listen haben hier noch die Ausführung einer eigenthümlichen Idee übernommen,
welche in Deutschland unerhört und beispiellos ist. Zwei Gesellschaften bauen
auf ihre Kosten zwei neue Vorstädte, das Quartier Leopold und das Quartier
Louise. Die erstere dieser beiden Vorstädte baut die 8oeivt6 gönörals ,>our
lÄvni'iLf"- I'in'lnsel'i« nationale: diese Gesellschaft hat einen großen Kreis von
Terrains im Osten der Stadt dicht vor dem Thore angekauft, um letztere an
einzelne Baulustige wieder zu verkaufen. Um dieser neu zu construirenden
Glatt eine gewisse Bevölkerung zu sichern, hat die Gesellschaft nicht nur selbst
eine Reihe von Häusern gebaut, sondern sie hat auch öffentliche Gebäude auf¬
führen lassen, wie sie nur eine vollständig organisirte große Stadt besitzt, hier¬
unter namentlich eine großartige, prachtvoll im herrlichsten Style angelegte
Kirche, welche vor Kurzem von dem Cardinal Erzbischof von Mecheln in eig¬
ner Person eingesegnet wurde. Diese Art von specu-lation hat für den Frem¬
den etwas Unheimliches und Ahnungsvolles: es wird einem in der That ganz
absonderlich zu Muthe, wenn man plötzlich in eine andere Stadt versetzt wird,
mit Häusern , Kirche, Markt, deren Fenster im Sonnenschein glitzern, deren
weiße Mauern den Blick blenden, die aber ganz leer steht, in deren Innern
noch kein Mensch sich regt und die ganz der Zukunft noch angehört, wie eine
neue Wiege, oder vielleicht auch wie ein neuer Sarg. Diese kecke Sicherheit,
mit welcher man auf das Morgen rechnet, erscheint fast frevelhaft und man
zittert, ob nicht das boshafte Schicksal, ergrimmt über den Eingriff und die
Anmaßung der Menschen, ihnen einen bösen Strich durch die Rechnung ziehen
und das so tiefsinnig Combinirte durch einen einzigen Unglücksstreich in seiner
Entwicklung hemmen und zerstören wird. Ein einziger Hauch des Krieges, eine
einzige Wolke am politischen Himmel, — und all diese schönen Häuser blieben
wie ein ausgeklasencs El, wie ein unverschuldetes Pompeji, öde und leer. Und
bedenken denn diese Männer, die so große Capitalien in solchen Unternehmungen
wagen, nicht den Fall eines Krieges und die damit verbundenen Folgen? Wohl;
aber diese Herren raisonniren folgendergesialt: Ein Krieg in Europa kann bei
dem jetzigen Zustande der Artilleriekunst unmöglich lange dauern, namentlich
auf einem Boden wie Belgien, wo die Transportwege die feindlichen Massen
so rasch gegen einander führen, daß die Entscheidung des Waffcnglücks in einigen
Wochen, ja vielleicht in wenigen Tagen erfolgen muß. Wie dieses sich auch
wende, immer wird Brüssel die Brücke des europäischen Verkehrs zwischen
England, Frankreich und Deutschland bleiben. Die fremden Ansiedler, welche


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[0242] hier; nicht nur, daß in dem ganzen Umkreise der Stadt ganze Straßenrcihen »en angelegt werden- der Speculationsgeist, die Industrie, die grofien Kapita¬ listen haben hier noch die Ausführung einer eigenthümlichen Idee übernommen, welche in Deutschland unerhört und beispiellos ist. Zwei Gesellschaften bauen auf ihre Kosten zwei neue Vorstädte, das Quartier Leopold und das Quartier Louise. Die erstere dieser beiden Vorstädte baut die 8oeivt6 gönörals ,>our lÄvni'iLf"- I'in'lnsel'i« nationale: diese Gesellschaft hat einen großen Kreis von Terrains im Osten der Stadt dicht vor dem Thore angekauft, um letztere an einzelne Baulustige wieder zu verkaufen. Um dieser neu zu construirenden Glatt eine gewisse Bevölkerung zu sichern, hat die Gesellschaft nicht nur selbst eine Reihe von Häusern gebaut, sondern sie hat auch öffentliche Gebäude auf¬ führen lassen, wie sie nur eine vollständig organisirte große Stadt besitzt, hier¬ unter namentlich eine großartige, prachtvoll im herrlichsten Style angelegte Kirche, welche vor Kurzem von dem Cardinal Erzbischof von Mecheln in eig¬ ner Person eingesegnet wurde. Diese Art von specu-lation hat für den Frem¬ den etwas Unheimliches und Ahnungsvolles: es wird einem in der That ganz absonderlich zu Muthe, wenn man plötzlich in eine andere Stadt versetzt wird, mit Häusern , Kirche, Markt, deren Fenster im Sonnenschein glitzern, deren weiße Mauern den Blick blenden, die aber ganz leer steht, in deren Innern noch kein Mensch sich regt und die ganz der Zukunft noch angehört, wie eine neue Wiege, oder vielleicht auch wie ein neuer Sarg. Diese kecke Sicherheit, mit welcher man auf das Morgen rechnet, erscheint fast frevelhaft und man zittert, ob nicht das boshafte Schicksal, ergrimmt über den Eingriff und die Anmaßung der Menschen, ihnen einen bösen Strich durch die Rechnung ziehen und das so tiefsinnig Combinirte durch einen einzigen Unglücksstreich in seiner Entwicklung hemmen und zerstören wird. Ein einziger Hauch des Krieges, eine einzige Wolke am politischen Himmel, — und all diese schönen Häuser blieben wie ein ausgeklasencs El, wie ein unverschuldetes Pompeji, öde und leer. Und bedenken denn diese Männer, die so große Capitalien in solchen Unternehmungen wagen, nicht den Fall eines Krieges und die damit verbundenen Folgen? Wohl; aber diese Herren raisonniren folgendergesialt: Ein Krieg in Europa kann bei dem jetzigen Zustande der Artilleriekunst unmöglich lange dauern, namentlich auf einem Boden wie Belgien, wo die Transportwege die feindlichen Massen so rasch gegen einander führen, daß die Entscheidung des Waffcnglücks in einigen Wochen, ja vielleicht in wenigen Tagen erfolgen muß. Wie dieses sich auch wende, immer wird Brüssel die Brücke des europäischen Verkehrs zwischen England, Frankreich und Deutschland bleiben. Die fremden Ansiedler, welche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/242>, abgerufen am 23.07.2024.