Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

Glauben hin, daß er mündig, ein selbstbcratheuver und beschließen-
der Bürger ist, daß die Kerkerwände der Schulzucht, des Preßzwan¬
ges gebrochen, daß er aus einem "Pennal," aus einer Fedcrbüchse,
ein ganzer Kerl geworden. Die Stelle, auf die ein Student von reinem
Schrot und Korn sich hinderte, hat nirgends als auf dem Throne
ihres Gleichen. Ein Schriftsteller, der Student war, wird daher
mit Schiller, selbst im Galakleid der Censur, mit "Männerstolz vor
Königsthronen" auftreten. In ihm glüht ein prometheischer Funken,
der, wenn auch vermittelst eines langen Rohrs, doch ursprünglich
von Jupiters Herde abstammt. Um es kurz zu sagen, das Haupt-
requisit eines Burschen comme-it-faut ist die Todesverachtung.
Mit Todesverachtung geht er ins Colleg, mit Todesverachtung
schwärzt er die Collegia, mit Todesverachtung tritt er auf die Mensur,
stellt er sich vor die weißen Protvkollbogen des Senates. Todes¬
verachtung erhellt ihm die schwarzen Tage des Carzcrs und macht
sie zu poesievollen, denkwürdigen Jntermezzos seines handelnden öffent¬
lichen Daseins. Mit Todesverachtung hört er das Pochen der
Manichäer an der Thür, ohne daraus zu antworten; mit Todesver¬
achtung spornt er den Frohndiener des Hochschülers, den Micthgaul,
und wirft vom Stadtthor aus den letzten Handkuß in die dunkelnden
Straßen nach. Mit Todesverachtung endlich geht, steht oder fällt
der Musensohn im Eramen und so ist er noch mehr als hinlänglich
vorbereitet, um ohne Angst und Grauen dem Tode selbst in die
Sense zu fallen.

Dieses Götterbewußtsein soll ein Autor haben, der sich auf das
Schlachtfeld der Öffentlichkeit wagt. Wie oft begegnet mir ein Ver¬
sasser, der Professor geworden ist, ohne als Student, -- nicht gedient,
sondern commandirt zu haben. Einem solchen mangelt es an einem
schlagenden und eigenwilligen Urtheil; über Politik, Nationalliebe
und Haß, über Kunst, Poesie und Gesellschaft, worüber in un¬
serm Jahrhundert jeder Theatersousfleur eine Stimme hat, wird
er nimmer frische Luft schöpfen. Sein Professorenverstand haftet an
den Bänken, seine Phantasie ist auf das Katheder genagelt, er hat
nicht gelernt, als "flotter" Bursch über alle Eitelkeit des Wissens
und Erlernens Hinwegzusegeln. Ein Historiker zumal, der jedes
andre als das Lampenlicht scheut, dem vor allen neuen Dingen und
Thaten schaudert, der ist auf jeden Fall und in aller Weise ein


Glauben hin, daß er mündig, ein selbstbcratheuver und beschließen-
der Bürger ist, daß die Kerkerwände der Schulzucht, des Preßzwan¬
ges gebrochen, daß er aus einem „Pennal," aus einer Fedcrbüchse,
ein ganzer Kerl geworden. Die Stelle, auf die ein Student von reinem
Schrot und Korn sich hinderte, hat nirgends als auf dem Throne
ihres Gleichen. Ein Schriftsteller, der Student war, wird daher
mit Schiller, selbst im Galakleid der Censur, mit „Männerstolz vor
Königsthronen" auftreten. In ihm glüht ein prometheischer Funken,
der, wenn auch vermittelst eines langen Rohrs, doch ursprünglich
von Jupiters Herde abstammt. Um es kurz zu sagen, das Haupt-
requisit eines Burschen comme-it-faut ist die Todesverachtung.
Mit Todesverachtung geht er ins Colleg, mit Todesverachtung
schwärzt er die Collegia, mit Todesverachtung tritt er auf die Mensur,
stellt er sich vor die weißen Protvkollbogen des Senates. Todes¬
verachtung erhellt ihm die schwarzen Tage des Carzcrs und macht
sie zu poesievollen, denkwürdigen Jntermezzos seines handelnden öffent¬
lichen Daseins. Mit Todesverachtung hört er das Pochen der
Manichäer an der Thür, ohne daraus zu antworten; mit Todesver¬
achtung spornt er den Frohndiener des Hochschülers, den Micthgaul,
und wirft vom Stadtthor aus den letzten Handkuß in die dunkelnden
Straßen nach. Mit Todesverachtung endlich geht, steht oder fällt
der Musensohn im Eramen und so ist er noch mehr als hinlänglich
vorbereitet, um ohne Angst und Grauen dem Tode selbst in die
Sense zu fallen.

Dieses Götterbewußtsein soll ein Autor haben, der sich auf das
Schlachtfeld der Öffentlichkeit wagt. Wie oft begegnet mir ein Ver¬
sasser, der Professor geworden ist, ohne als Student, — nicht gedient,
sondern commandirt zu haben. Einem solchen mangelt es an einem
schlagenden und eigenwilligen Urtheil; über Politik, Nationalliebe
und Haß, über Kunst, Poesie und Gesellschaft, worüber in un¬
serm Jahrhundert jeder Theatersousfleur eine Stimme hat, wird
er nimmer frische Luft schöpfen. Sein Professorenverstand haftet an
den Bänken, seine Phantasie ist auf das Katheder genagelt, er hat
nicht gelernt, als „flotter" Bursch über alle Eitelkeit des Wissens
und Erlernens Hinwegzusegeln. Ein Historiker zumal, der jedes
andre als das Lampenlicht scheut, dem vor allen neuen Dingen und
Thaten schaudert, der ist auf jeden Fall und in aller Weise ein


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0213" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266830"/>
            <p xml:id="ID_552" prev="#ID_551"> Glauben hin, daß er mündig, ein selbstbcratheuver und beschließen-<lb/>
der Bürger ist, daß die Kerkerwände der Schulzucht, des Preßzwan¬<lb/>
ges gebrochen, daß er aus einem &#x201E;Pennal," aus einer Fedcrbüchse,<lb/>
ein ganzer Kerl geworden. Die Stelle, auf die ein Student von reinem<lb/>
Schrot und Korn sich hinderte, hat nirgends als auf dem Throne<lb/>
ihres Gleichen. Ein Schriftsteller, der Student war, wird daher<lb/>
mit Schiller, selbst im Galakleid der Censur, mit &#x201E;Männerstolz vor<lb/>
Königsthronen" auftreten. In ihm glüht ein prometheischer Funken,<lb/>
der, wenn auch vermittelst eines langen Rohrs, doch ursprünglich<lb/>
von Jupiters Herde abstammt. Um es kurz zu sagen, das Haupt-<lb/>
requisit eines Burschen comme-it-faut ist die Todesverachtung.<lb/>
Mit Todesverachtung geht er ins Colleg, mit Todesverachtung<lb/>
schwärzt er die Collegia, mit Todesverachtung tritt er auf die Mensur,<lb/>
stellt er sich vor die weißen Protvkollbogen des Senates. Todes¬<lb/>
verachtung erhellt ihm die schwarzen Tage des Carzcrs und macht<lb/>
sie zu poesievollen, denkwürdigen Jntermezzos seines handelnden öffent¬<lb/>
lichen Daseins. Mit Todesverachtung hört er das Pochen der<lb/>
Manichäer an der Thür, ohne daraus zu antworten; mit Todesver¬<lb/>
achtung spornt er den Frohndiener des Hochschülers, den Micthgaul,<lb/>
und wirft vom Stadtthor aus den letzten Handkuß in die dunkelnden<lb/>
Straßen nach. Mit Todesverachtung endlich geht, steht oder fällt<lb/>
der Musensohn im Eramen und so ist er noch mehr als hinlänglich<lb/>
vorbereitet, um ohne Angst und Grauen dem Tode selbst in die<lb/>
Sense zu fallen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_553" next="#ID_554"> Dieses Götterbewußtsein soll ein Autor haben, der sich auf das<lb/>
Schlachtfeld der Öffentlichkeit wagt. Wie oft begegnet mir ein Ver¬<lb/>
sasser, der Professor geworden ist, ohne als Student, &#x2014; nicht gedient,<lb/>
sondern commandirt zu haben. Einem solchen mangelt es an einem<lb/>
schlagenden und eigenwilligen Urtheil; über Politik, Nationalliebe<lb/>
und Haß, über Kunst, Poesie und Gesellschaft, worüber in un¬<lb/>
serm Jahrhundert jeder Theatersousfleur eine Stimme hat, wird<lb/>
er nimmer frische Luft schöpfen. Sein Professorenverstand haftet an<lb/>
den Bänken, seine Phantasie ist auf das Katheder genagelt, er hat<lb/>
nicht gelernt, als &#x201E;flotter" Bursch über alle Eitelkeit des Wissens<lb/>
und Erlernens Hinwegzusegeln. Ein Historiker zumal, der jedes<lb/>
andre als das Lampenlicht scheut, dem vor allen neuen Dingen und<lb/>
Thaten schaudert, der ist auf jeden Fall und in aller Weise ein</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0213] Glauben hin, daß er mündig, ein selbstbcratheuver und beschließen- der Bürger ist, daß die Kerkerwände der Schulzucht, des Preßzwan¬ ges gebrochen, daß er aus einem „Pennal," aus einer Fedcrbüchse, ein ganzer Kerl geworden. Die Stelle, auf die ein Student von reinem Schrot und Korn sich hinderte, hat nirgends als auf dem Throne ihres Gleichen. Ein Schriftsteller, der Student war, wird daher mit Schiller, selbst im Galakleid der Censur, mit „Männerstolz vor Königsthronen" auftreten. In ihm glüht ein prometheischer Funken, der, wenn auch vermittelst eines langen Rohrs, doch ursprünglich von Jupiters Herde abstammt. Um es kurz zu sagen, das Haupt- requisit eines Burschen comme-it-faut ist die Todesverachtung. Mit Todesverachtung geht er ins Colleg, mit Todesverachtung schwärzt er die Collegia, mit Todesverachtung tritt er auf die Mensur, stellt er sich vor die weißen Protvkollbogen des Senates. Todes¬ verachtung erhellt ihm die schwarzen Tage des Carzcrs und macht sie zu poesievollen, denkwürdigen Jntermezzos seines handelnden öffent¬ lichen Daseins. Mit Todesverachtung hört er das Pochen der Manichäer an der Thür, ohne daraus zu antworten; mit Todesver¬ achtung spornt er den Frohndiener des Hochschülers, den Micthgaul, und wirft vom Stadtthor aus den letzten Handkuß in die dunkelnden Straßen nach. Mit Todesverachtung endlich geht, steht oder fällt der Musensohn im Eramen und so ist er noch mehr als hinlänglich vorbereitet, um ohne Angst und Grauen dem Tode selbst in die Sense zu fallen. Dieses Götterbewußtsein soll ein Autor haben, der sich auf das Schlachtfeld der Öffentlichkeit wagt. Wie oft begegnet mir ein Ver¬ sasser, der Professor geworden ist, ohne als Student, — nicht gedient, sondern commandirt zu haben. Einem solchen mangelt es an einem schlagenden und eigenwilligen Urtheil; über Politik, Nationalliebe und Haß, über Kunst, Poesie und Gesellschaft, worüber in un¬ serm Jahrhundert jeder Theatersousfleur eine Stimme hat, wird er nimmer frische Luft schöpfen. Sein Professorenverstand haftet an den Bänken, seine Phantasie ist auf das Katheder genagelt, er hat nicht gelernt, als „flotter" Bursch über alle Eitelkeit des Wissens und Erlernens Hinwegzusegeln. Ein Historiker zumal, der jedes andre als das Lampenlicht scheut, dem vor allen neuen Dingen und Thaten schaudert, der ist auf jeden Fall und in aller Weise ein

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/213
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/213>, abgerufen am 23.07.2024.