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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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stürmischen Winden und raschen Regengüssen sich bisher der heitere Him¬
mel stets wieder schnell eingefunden. Die Badegäste vermehren sich auch tag"
lich. Immer neue Gesichter gehen an Einem vorüber und erkennte man sie nicht
an ihren, vor dem Meere staunenden Blicken als Ankömmlinge, so ließe uns
der Troß des Wassergcsindcls keinen Zweifel, das sich um die Wandelnden
schaart, um einander als Badcwcirtcr oder Badewcibcr mit Empfehlungen zu
überbieten, bis sie mit einander uneinig werden und in Zanken und Schim¬
pfen ausbrechen. In den heitern und heißen Stunden findet die Gesellschaft
keinen Platz mehr in dem alten Gebäude mit den 2 Pavillons oder mit der
Halle und auf dem Zcltaltane über derselben, die der neue Anbau bietet, der
kurz vor meiner Ankunft eröffnet und festlich eingeweiht worden ist. Mor,
gens aber und Abends entfaltet sich der ganze Reichthum der Gesellschaft in
knospenden, frischen und welken Blättern. Man wandelt auf dem Wall und
Hafcndamm, oder setzt sich hinab auf den feuchten Sand der Ebbe. Diese
Feuchtigkeit wird nicht gescheut, sondern gesucht. Ebenso wird es auch von
den zartesten Damen dem Seewinde, weil er so gesund ist, nachgesehen, daß er
manchmal gar verwegen wird und nicht blos das verborgene Schöne entfaltet,
sondern auch die versteckte Schiefe verräth. Damit er es aber nicht zu toll
mache, drohen ihm die Damen unter der Robe hervor mit der männlichen
Rüstung langer Beinkleider. Doch Viele achten auf diesen Verkehr zwischen
dem Winde und den Wandelnden wenig. UndMvcnn das ewig-geheimnisivoll-
unruhige Meer den träumerischen Menschen unwiderstehlich anzieht, so wird
es für heiter umherschweifende Blicke oft auch zur Schaubühne, wo man Män¬
ner und Frauen, Badeweibcr und Kinder, oder einzelne Mädchenchöre in den
Wogen hüpfen und kämpfen, untersinken und auftauchen sieht. Man genießt
lachend die Lust mit, die man für sich selbst schon abgethan hat oder zu der
man noch das Stichwort seiner Wadestunde erwartet. Der sanfte und weit
absinkende Strand begünstigt das Baden zu jeder Stunde des Tages. Man
richtet sich nur nach seinen Mahlzeiten und nur diejenigen, die gern mit der
Flut baden, richten die Mahlzeit nach den wechselnden Stunden der ankom¬
menden Gewässer.

Das Meer übt eine größere Souverainetät über die Badenden aus, als die
Heilquellen im Gebirge zu thun pflegen. Um diese bekümmert man sich in
der Regel nur beim Lever des Trinkens und bei den Privataudienzen in der
Badewanne- Die See ist eine strengere Gebieterin: sie will keine Huldigungen,
keine Zerstreuungen und Vergnügungen neben sich dulden. Man soll seine
meiste Zeit am Gestade zubringen, im säuselnden und stürmenden Anhauche


stürmischen Winden und raschen Regengüssen sich bisher der heitere Him¬
mel stets wieder schnell eingefunden. Die Badegäste vermehren sich auch tag»
lich. Immer neue Gesichter gehen an Einem vorüber und erkennte man sie nicht
an ihren, vor dem Meere staunenden Blicken als Ankömmlinge, so ließe uns
der Troß des Wassergcsindcls keinen Zweifel, das sich um die Wandelnden
schaart, um einander als Badcwcirtcr oder Badewcibcr mit Empfehlungen zu
überbieten, bis sie mit einander uneinig werden und in Zanken und Schim¬
pfen ausbrechen. In den heitern und heißen Stunden findet die Gesellschaft
keinen Platz mehr in dem alten Gebäude mit den 2 Pavillons oder mit der
Halle und auf dem Zcltaltane über derselben, die der neue Anbau bietet, der
kurz vor meiner Ankunft eröffnet und festlich eingeweiht worden ist. Mor,
gens aber und Abends entfaltet sich der ganze Reichthum der Gesellschaft in
knospenden, frischen und welken Blättern. Man wandelt auf dem Wall und
Hafcndamm, oder setzt sich hinab auf den feuchten Sand der Ebbe. Diese
Feuchtigkeit wird nicht gescheut, sondern gesucht. Ebenso wird es auch von
den zartesten Damen dem Seewinde, weil er so gesund ist, nachgesehen, daß er
manchmal gar verwegen wird und nicht blos das verborgene Schöne entfaltet,
sondern auch die versteckte Schiefe verräth. Damit er es aber nicht zu toll
mache, drohen ihm die Damen unter der Robe hervor mit der männlichen
Rüstung langer Beinkleider. Doch Viele achten auf diesen Verkehr zwischen
dem Winde und den Wandelnden wenig. UndMvcnn das ewig-geheimnisivoll-
unruhige Meer den träumerischen Menschen unwiderstehlich anzieht, so wird
es für heiter umherschweifende Blicke oft auch zur Schaubühne, wo man Män¬
ner und Frauen, Badeweibcr und Kinder, oder einzelne Mädchenchöre in den
Wogen hüpfen und kämpfen, untersinken und auftauchen sieht. Man genießt
lachend die Lust mit, die man für sich selbst schon abgethan hat oder zu der
man noch das Stichwort seiner Wadestunde erwartet. Der sanfte und weit
absinkende Strand begünstigt das Baden zu jeder Stunde des Tages. Man
richtet sich nur nach seinen Mahlzeiten und nur diejenigen, die gern mit der
Flut baden, richten die Mahlzeit nach den wechselnden Stunden der ankom¬
menden Gewässer.

Das Meer übt eine größere Souverainetät über die Badenden aus, als die
Heilquellen im Gebirge zu thun pflegen. Um diese bekümmert man sich in
der Regel nur beim Lever des Trinkens und bei den Privataudienzen in der
Badewanne- Die See ist eine strengere Gebieterin: sie will keine Huldigungen,
keine Zerstreuungen und Vergnügungen neben sich dulden. Man soll seine
meiste Zeit am Gestade zubringen, im säuselnden und stürmenden Anhauche


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[0205] stürmischen Winden und raschen Regengüssen sich bisher der heitere Him¬ mel stets wieder schnell eingefunden. Die Badegäste vermehren sich auch tag» lich. Immer neue Gesichter gehen an Einem vorüber und erkennte man sie nicht an ihren, vor dem Meere staunenden Blicken als Ankömmlinge, so ließe uns der Troß des Wassergcsindcls keinen Zweifel, das sich um die Wandelnden schaart, um einander als Badcwcirtcr oder Badewcibcr mit Empfehlungen zu überbieten, bis sie mit einander uneinig werden und in Zanken und Schim¬ pfen ausbrechen. In den heitern und heißen Stunden findet die Gesellschaft keinen Platz mehr in dem alten Gebäude mit den 2 Pavillons oder mit der Halle und auf dem Zcltaltane über derselben, die der neue Anbau bietet, der kurz vor meiner Ankunft eröffnet und festlich eingeweiht worden ist. Mor, gens aber und Abends entfaltet sich der ganze Reichthum der Gesellschaft in knospenden, frischen und welken Blättern. Man wandelt auf dem Wall und Hafcndamm, oder setzt sich hinab auf den feuchten Sand der Ebbe. Diese Feuchtigkeit wird nicht gescheut, sondern gesucht. Ebenso wird es auch von den zartesten Damen dem Seewinde, weil er so gesund ist, nachgesehen, daß er manchmal gar verwegen wird und nicht blos das verborgene Schöne entfaltet, sondern auch die versteckte Schiefe verräth. Damit er es aber nicht zu toll mache, drohen ihm die Damen unter der Robe hervor mit der männlichen Rüstung langer Beinkleider. Doch Viele achten auf diesen Verkehr zwischen dem Winde und den Wandelnden wenig. UndMvcnn das ewig-geheimnisivoll- unruhige Meer den träumerischen Menschen unwiderstehlich anzieht, so wird es für heiter umherschweifende Blicke oft auch zur Schaubühne, wo man Män¬ ner und Frauen, Badeweibcr und Kinder, oder einzelne Mädchenchöre in den Wogen hüpfen und kämpfen, untersinken und auftauchen sieht. Man genießt lachend die Lust mit, die man für sich selbst schon abgethan hat oder zu der man noch das Stichwort seiner Wadestunde erwartet. Der sanfte und weit absinkende Strand begünstigt das Baden zu jeder Stunde des Tages. Man richtet sich nur nach seinen Mahlzeiten und nur diejenigen, die gern mit der Flut baden, richten die Mahlzeit nach den wechselnden Stunden der ankom¬ menden Gewässer. Das Meer übt eine größere Souverainetät über die Badenden aus, als die Heilquellen im Gebirge zu thun pflegen. Um diese bekümmert man sich in der Regel nur beim Lever des Trinkens und bei den Privataudienzen in der Badewanne- Die See ist eine strengere Gebieterin: sie will keine Huldigungen, keine Zerstreuungen und Vergnügungen neben sich dulden. Man soll seine meiste Zeit am Gestade zubringen, im säuselnden und stürmenden Anhauche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/205>, abgerufen am 23.07.2024.