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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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man sie nicht gerade vor einem FriedcnSgerichte wiederfinden
würde.

Doch die Reihe ist nun endlich an uns gekommen, lieber Leser.
Als ein ehrlicher, gebildeter Mensch setzest Du Deine Sache mit aller
Mäßigung auseinander: aber nun hat Dein Gegner das Wort
und Du wirst in Folge seiner Catilinaria oder Philippika der ärgste
Bösewicht dieser Erde, so daß der Richter erschüttert ist, Du aber,
wie vom Anblick des MedusenhaupteS, erstarrt bist vom Anblick der
Ströme von Beredsamkeit, die dem Munde eines Krämers, wenn
auch nicht Honig gleich, entfließen. Nun fordert Dich der Richter
auf, den streitigen Gegenstand darzubringen. Der aber ist entweder
verbraucht und dann, magst Du vergiftet sein, Hort Dein Recht auf;
oder Du hast ihn nicht mitgebracht, dein Proceß wird also auf 8 Tage
verschoben; oder Du hast ihn mitgebracht, es fehlt aber dem Richter
an den oben aufgezählten NerificationSmilteln und er erklärt sich für
incompetent, oder, endlich der Gegenstand kann nicht transportirt
werden, der Richter ordnet also eine Besichtigung durch Sachverstän¬
dige an und Dein Prozeß . . . wird am Se. Nimmermehrstage
gerichtet werden. Welcher von diesen 4 Fällen auch der Deinige
ist, Du hast Deinen Tag unnütz hingebracht und nicht einmal Dei¬
nen Prozeß gewonnen.

Ich glaube, jeder gebildete Mensch, also alle meine Leser, wer¬
den an einer solchen gerichtlichen Erfahrung genug haben. Was
ist aber das nothwendige Resultat hiervon? daß man alle diese
Räubereien erduldet und dadurch ermuthigt.- So also sehen Sie
wohl, meine geehrten Leser, wie schwer die Beantwortung der Frage
ist, welche die Ueberschrift dieser Seiten gebildet hat.




II-
Was kostet jede Minute unseres Lebens?

Wie meinen Sie das? -- wird man nach Lesung dieser Ueber-
schuft fragen. Ist von süßen Täuschungen und bitteren Enttäu¬
schungen die Rede, von Illusionen und Phantasiebildern, von Haa¬
ren und Zähnen, kurz von all dem die Rede, was im Laufe der


man sie nicht gerade vor einem FriedcnSgerichte wiederfinden
würde.

Doch die Reihe ist nun endlich an uns gekommen, lieber Leser.
Als ein ehrlicher, gebildeter Mensch setzest Du Deine Sache mit aller
Mäßigung auseinander: aber nun hat Dein Gegner das Wort
und Du wirst in Folge seiner Catilinaria oder Philippika der ärgste
Bösewicht dieser Erde, so daß der Richter erschüttert ist, Du aber,
wie vom Anblick des MedusenhaupteS, erstarrt bist vom Anblick der
Ströme von Beredsamkeit, die dem Munde eines Krämers, wenn
auch nicht Honig gleich, entfließen. Nun fordert Dich der Richter
auf, den streitigen Gegenstand darzubringen. Der aber ist entweder
verbraucht und dann, magst Du vergiftet sein, Hort Dein Recht auf;
oder Du hast ihn nicht mitgebracht, dein Proceß wird also auf 8 Tage
verschoben; oder Du hast ihn mitgebracht, es fehlt aber dem Richter
an den oben aufgezählten NerificationSmilteln und er erklärt sich für
incompetent, oder, endlich der Gegenstand kann nicht transportirt
werden, der Richter ordnet also eine Besichtigung durch Sachverstän¬
dige an und Dein Prozeß . . . wird am Se. Nimmermehrstage
gerichtet werden. Welcher von diesen 4 Fällen auch der Deinige
ist, Du hast Deinen Tag unnütz hingebracht und nicht einmal Dei¬
nen Prozeß gewonnen.

Ich glaube, jeder gebildete Mensch, also alle meine Leser, wer¬
den an einer solchen gerichtlichen Erfahrung genug haben. Was
ist aber das nothwendige Resultat hiervon? daß man alle diese
Räubereien erduldet und dadurch ermuthigt.- So also sehen Sie
wohl, meine geehrten Leser, wie schwer die Beantwortung der Frage
ist, welche die Ueberschrift dieser Seiten gebildet hat.




II-
Was kostet jede Minute unseres Lebens?

Wie meinen Sie das? — wird man nach Lesung dieser Ueber-
schuft fragen. Ist von süßen Täuschungen und bitteren Enttäu¬
schungen die Rede, von Illusionen und Phantasiebildern, von Haa¬
ren und Zähnen, kurz von all dem die Rede, was im Laufe der


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[0173] man sie nicht gerade vor einem FriedcnSgerichte wiederfinden würde. Doch die Reihe ist nun endlich an uns gekommen, lieber Leser. Als ein ehrlicher, gebildeter Mensch setzest Du Deine Sache mit aller Mäßigung auseinander: aber nun hat Dein Gegner das Wort und Du wirst in Folge seiner Catilinaria oder Philippika der ärgste Bösewicht dieser Erde, so daß der Richter erschüttert ist, Du aber, wie vom Anblick des MedusenhaupteS, erstarrt bist vom Anblick der Ströme von Beredsamkeit, die dem Munde eines Krämers, wenn auch nicht Honig gleich, entfließen. Nun fordert Dich der Richter auf, den streitigen Gegenstand darzubringen. Der aber ist entweder verbraucht und dann, magst Du vergiftet sein, Hort Dein Recht auf; oder Du hast ihn nicht mitgebracht, dein Proceß wird also auf 8 Tage verschoben; oder Du hast ihn mitgebracht, es fehlt aber dem Richter an den oben aufgezählten NerificationSmilteln und er erklärt sich für incompetent, oder, endlich der Gegenstand kann nicht transportirt werden, der Richter ordnet also eine Besichtigung durch Sachverstän¬ dige an und Dein Prozeß . . . wird am Se. Nimmermehrstage gerichtet werden. Welcher von diesen 4 Fällen auch der Deinige ist, Du hast Deinen Tag unnütz hingebracht und nicht einmal Dei¬ nen Prozeß gewonnen. Ich glaube, jeder gebildete Mensch, also alle meine Leser, wer¬ den an einer solchen gerichtlichen Erfahrung genug haben. Was ist aber das nothwendige Resultat hiervon? daß man alle diese Räubereien erduldet und dadurch ermuthigt.- So also sehen Sie wohl, meine geehrten Leser, wie schwer die Beantwortung der Frage ist, welche die Ueberschrift dieser Seiten gebildet hat. II- Was kostet jede Minute unseres Lebens? Wie meinen Sie das? — wird man nach Lesung dieser Ueber- schuft fragen. Ist von süßen Täuschungen und bitteren Enttäu¬ schungen die Rede, von Illusionen und Phantasiebildern, von Haa¬ ren und Zähnen, kurz von all dem die Rede, was im Laufe der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/173>, abgerufen am 23.07.2024.