Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

anderswo, wie in Paris und wo französische Gesetzgebung gilt, an
den Friedensrichter. Nun wir wollen auch diese Mittel etwas ge¬
nauer betrachten.

Meine persönliche Meinung über den Erfolg und die Annehm¬
lichkeit eines Besuchs beim Polizei-Commissair habe ich schon oben
dargelegt, kann also hier darüber hinausgehen und will daher nur
noch einige Worte über den Friedensrichter sprechen. Ich kenne
auch diese Herren aus eigener Erfahrung.

Es ist freilich etwas hart, daß man, um ohne Furcht vor
Vergiftung einen Salat essen oder seinen Kindern eine Düte
Zuckerwerk geben zu können, zur Gerechtigkeit seine Zuflucht nehmen,
also Lauferei, einen Proceß haben muß: doch einmal entschließt man
sich dazu: man will Alles kennen lernen. Wir befinden uns nun
vor einem Friedensgericht irgend eines Pariser Arrondissements, waS
gerade nicht der liebenswürdigste Aufenthalt ist: ehe die Reihe an
unseren Proceß kommt, haben wir Zeit genug, die Richter und die
Parteien kennen zu lernen.

Der Friedensrichter ist gewöhnlich ein dicker Mann, der sich in
seinem erhabenen Berufe, die Gerechtigkeit zu spenden, sehr gelang¬
weilt fühlt; ein Menschenfeind in seiner Art, insofern er stets mit
zwei Spitzbuben zu thun zu haben glaubt, minder aufgelegt, Vernunft-
gründe anzuhören, als man zu glauben berechtigt ist, ungestüm, ge¬
mein in seinen Ausdrücken und stets pressirt, stets eilig.

Die Parteien, zwischen denen eS sich gewöhnlich um erbärmliche
Kleinigkeiten handelt -- was freilich nicht geeignet ist, den Richter
gut gelaunt zu machen, -- sind meistentheils von einer Atmosphäre
umringt, die weder nach Patchvuli, noch nach Veilchen riecht, son-
dern nach alten, halb faulen Trödellumpen. Der Gefammtanblick
des Gerichtshofes ist also nicht sehr imponirend. Werfen wir nun
einen Blick aus seinen Nutzen. Der Richter, der im Schweiße sei¬
nes Angesichts die allerdümmsten und allererbärmlichsten und gemein¬
sten Diskussionen mit anhören muß, löst diesen Gordischen Knoten
in den meisten Fällen auf Alerandrische Weise: er giebt abwechselnd
bald dem Kläger, bald dem Beklagten Recht, wie ihn seine Unge¬
duld gerade inspirirt. Wir sehen also, daß, wenn Gerechtigkeit und
Wahrheit von dem übrigen Theil der Erde verbannt wären, . . .


anderswo, wie in Paris und wo französische Gesetzgebung gilt, an
den Friedensrichter. Nun wir wollen auch diese Mittel etwas ge¬
nauer betrachten.

Meine persönliche Meinung über den Erfolg und die Annehm¬
lichkeit eines Besuchs beim Polizei-Commissair habe ich schon oben
dargelegt, kann also hier darüber hinausgehen und will daher nur
noch einige Worte über den Friedensrichter sprechen. Ich kenne
auch diese Herren aus eigener Erfahrung.

Es ist freilich etwas hart, daß man, um ohne Furcht vor
Vergiftung einen Salat essen oder seinen Kindern eine Düte
Zuckerwerk geben zu können, zur Gerechtigkeit seine Zuflucht nehmen,
also Lauferei, einen Proceß haben muß: doch einmal entschließt man
sich dazu: man will Alles kennen lernen. Wir befinden uns nun
vor einem Friedensgericht irgend eines Pariser Arrondissements, waS
gerade nicht der liebenswürdigste Aufenthalt ist: ehe die Reihe an
unseren Proceß kommt, haben wir Zeit genug, die Richter und die
Parteien kennen zu lernen.

Der Friedensrichter ist gewöhnlich ein dicker Mann, der sich in
seinem erhabenen Berufe, die Gerechtigkeit zu spenden, sehr gelang¬
weilt fühlt; ein Menschenfeind in seiner Art, insofern er stets mit
zwei Spitzbuben zu thun zu haben glaubt, minder aufgelegt, Vernunft-
gründe anzuhören, als man zu glauben berechtigt ist, ungestüm, ge¬
mein in seinen Ausdrücken und stets pressirt, stets eilig.

Die Parteien, zwischen denen eS sich gewöhnlich um erbärmliche
Kleinigkeiten handelt — was freilich nicht geeignet ist, den Richter
gut gelaunt zu machen, — sind meistentheils von einer Atmosphäre
umringt, die weder nach Patchvuli, noch nach Veilchen riecht, son-
dern nach alten, halb faulen Trödellumpen. Der Gefammtanblick
des Gerichtshofes ist also nicht sehr imponirend. Werfen wir nun
einen Blick aus seinen Nutzen. Der Richter, der im Schweiße sei¬
nes Angesichts die allerdümmsten und allererbärmlichsten und gemein¬
sten Diskussionen mit anhören muß, löst diesen Gordischen Knoten
in den meisten Fällen auf Alerandrische Weise: er giebt abwechselnd
bald dem Kläger, bald dem Beklagten Recht, wie ihn seine Unge¬
duld gerade inspirirt. Wir sehen also, daß, wenn Gerechtigkeit und
Wahrheit von dem übrigen Theil der Erde verbannt wären, . . .


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0172" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266789"/>
            <p xml:id="ID_432" prev="#ID_431"> anderswo, wie in Paris und wo französische Gesetzgebung gilt, an<lb/>
den Friedensrichter. Nun wir wollen auch diese Mittel etwas ge¬<lb/>
nauer betrachten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_433"> Meine persönliche Meinung über den Erfolg und die Annehm¬<lb/>
lichkeit eines Besuchs beim Polizei-Commissair habe ich schon oben<lb/>
dargelegt, kann also hier darüber hinausgehen und will daher nur<lb/>
noch einige Worte über den Friedensrichter sprechen. Ich kenne<lb/>
auch diese Herren aus eigener Erfahrung.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_434"> Es ist freilich etwas hart, daß man, um ohne Furcht vor<lb/>
Vergiftung einen Salat essen oder seinen Kindern eine Düte<lb/>
Zuckerwerk geben zu können, zur Gerechtigkeit seine Zuflucht nehmen,<lb/>
also Lauferei, einen Proceß haben muß: doch einmal entschließt man<lb/>
sich dazu: man will Alles kennen lernen. Wir befinden uns nun<lb/>
vor einem Friedensgericht irgend eines Pariser Arrondissements, waS<lb/>
gerade nicht der liebenswürdigste Aufenthalt ist: ehe die Reihe an<lb/>
unseren Proceß kommt, haben wir Zeit genug, die Richter und die<lb/>
Parteien kennen zu lernen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_435"> Der Friedensrichter ist gewöhnlich ein dicker Mann, der sich in<lb/>
seinem erhabenen Berufe, die Gerechtigkeit zu spenden, sehr gelang¬<lb/>
weilt fühlt; ein Menschenfeind in seiner Art, insofern er stets mit<lb/>
zwei Spitzbuben zu thun zu haben glaubt, minder aufgelegt, Vernunft-<lb/>
gründe anzuhören, als man zu glauben berechtigt ist, ungestüm, ge¬<lb/>
mein in seinen Ausdrücken und stets pressirt, stets eilig.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_436" next="#ID_437"> Die Parteien, zwischen denen eS sich gewöhnlich um erbärmliche<lb/>
Kleinigkeiten handelt &#x2014; was freilich nicht geeignet ist, den Richter<lb/>
gut gelaunt zu machen, &#x2014; sind meistentheils von einer Atmosphäre<lb/>
umringt, die weder nach Patchvuli, noch nach Veilchen riecht, son-<lb/>
dern nach alten, halb faulen Trödellumpen. Der Gefammtanblick<lb/>
des Gerichtshofes ist also nicht sehr imponirend. Werfen wir nun<lb/>
einen Blick aus seinen Nutzen. Der Richter, der im Schweiße sei¬<lb/>
nes Angesichts die allerdümmsten und allererbärmlichsten und gemein¬<lb/>
sten Diskussionen mit anhören muß, löst diesen Gordischen Knoten<lb/>
in den meisten Fällen auf Alerandrische Weise: er giebt abwechselnd<lb/>
bald dem Kläger, bald dem Beklagten Recht, wie ihn seine Unge¬<lb/>
duld gerade inspirirt. Wir sehen also, daß, wenn Gerechtigkeit und<lb/>
Wahrheit von dem übrigen Theil der Erde verbannt wären, . . .</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0172] anderswo, wie in Paris und wo französische Gesetzgebung gilt, an den Friedensrichter. Nun wir wollen auch diese Mittel etwas ge¬ nauer betrachten. Meine persönliche Meinung über den Erfolg und die Annehm¬ lichkeit eines Besuchs beim Polizei-Commissair habe ich schon oben dargelegt, kann also hier darüber hinausgehen und will daher nur noch einige Worte über den Friedensrichter sprechen. Ich kenne auch diese Herren aus eigener Erfahrung. Es ist freilich etwas hart, daß man, um ohne Furcht vor Vergiftung einen Salat essen oder seinen Kindern eine Düte Zuckerwerk geben zu können, zur Gerechtigkeit seine Zuflucht nehmen, also Lauferei, einen Proceß haben muß: doch einmal entschließt man sich dazu: man will Alles kennen lernen. Wir befinden uns nun vor einem Friedensgericht irgend eines Pariser Arrondissements, waS gerade nicht der liebenswürdigste Aufenthalt ist: ehe die Reihe an unseren Proceß kommt, haben wir Zeit genug, die Richter und die Parteien kennen zu lernen. Der Friedensrichter ist gewöhnlich ein dicker Mann, der sich in seinem erhabenen Berufe, die Gerechtigkeit zu spenden, sehr gelang¬ weilt fühlt; ein Menschenfeind in seiner Art, insofern er stets mit zwei Spitzbuben zu thun zu haben glaubt, minder aufgelegt, Vernunft- gründe anzuhören, als man zu glauben berechtigt ist, ungestüm, ge¬ mein in seinen Ausdrücken und stets pressirt, stets eilig. Die Parteien, zwischen denen eS sich gewöhnlich um erbärmliche Kleinigkeiten handelt — was freilich nicht geeignet ist, den Richter gut gelaunt zu machen, — sind meistentheils von einer Atmosphäre umringt, die weder nach Patchvuli, noch nach Veilchen riecht, son- dern nach alten, halb faulen Trödellumpen. Der Gefammtanblick des Gerichtshofes ist also nicht sehr imponirend. Werfen wir nun einen Blick aus seinen Nutzen. Der Richter, der im Schweiße sei¬ nes Angesichts die allerdümmsten und allererbärmlichsten und gemein¬ sten Diskussionen mit anhören muß, löst diesen Gordischen Knoten in den meisten Fällen auf Alerandrische Weise: er giebt abwechselnd bald dem Kläger, bald dem Beklagten Recht, wie ihn seine Unge¬ duld gerade inspirirt. Wir sehen also, daß, wenn Gerechtigkeit und Wahrheit von dem übrigen Theil der Erde verbannt wären, . . .

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/172
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/172>, abgerufen am 23.07.2024.