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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Gewiß, Feuerbach'S Schriften rieche" viel nach der Literatur
des Trödelmarkts, seine Gelehrsamkeit erinnert an die verlegenen.
Winkel alter Bibliotheken, seine Studien gehen häusig mehr aus dein
Zufall, der ihm ein interessantes Buch in die Hände brachte, und der
Liebhaberei, welche an dieser oder jener Absonderlichkeit gerade ihre
Freude hat, als aus bestimmtem Zweck im Interesse objectiver Ent¬
wicklungen hervor. Seine Gelehrsamkeit ist mit einem Wort eine
ganz subjective. Wie ganz anders stellt sich Strauß in seinen Wer¬
ken dar: Alles gründlich in streng historischer Folge und nothwen¬
diger Entwicklung, die Gelehrsamkeit nicht um ihrer selbst, d. h.
nicht um des Subjects willen, sondern streng im Dienste der Sache
und deS vorgesetzten Zweckes. Gegen die ernste Objektivität des
' Straußischen, die charaktervolle Subjektivität des Feuerbach'schen
Wissens ist B. Bauer's gelehrtes Material ein hastig und runter-
bunt zusammengerafftes, heute im Dienste Hengstenberg's, morgen im
Interesse Hegel's, übermorgen als Specimen für das Narrenhaus,

Hätte Feuerbach den Willen und Beruf gehabt, innerhalb der
bestehenden Entwicklung in herkömmlicher Weise zu studiren, zu leh¬
ren und zu schreiben, so würden freilich diese Sonderbarkeiten sich
hübsch abgeschliffen, die Herbigkelten sich geglättet, diese Eigenthüm¬
lichkeiten sich bestens in den bestehenden Gang und Zug gefügt
haben. Allein dann wäre es eben mich um ihn geschehen gewesen.
Moses bereitete sich auf seinen Beruf in der Wüste vor, die Pro¬
pheten lebten in der Einsamkeit, Johannes predigte in der Wüste,
Christus ging, ehe er auftrat, in die Wüste; Augustin, Luther, fast
könnte man auch sagen Strauß, rüsteten sich in der Einöde und im
Kloster zu dem Geschäfte ihres Lebens. -- Und wer eS an sich
selber erfahren hat! Wie will Einer aus dem in eiserne Bande gefug¬
ten Systeme der Hegel'schen Philosophie kommen, wie will er den
Zauberbann lösen, womit sein Ich, sein Bewußtsein und Willen
verschlungen Wird in fremde Gedankenmächte, wenn er nicht
irgend wie fern von dem, alles Erfaßbare in seine Strudel ziehenden
Räderwerk dieser Dialektik, in anderer Lust und Umgebung seine
Quarantäne halten kann? Wollte Feuerbach nicht wie so Viele
entweder an Hegel oder am Rückfall von Hegel zur Unfreiheit zu
Grunde gehen, wollte er seine Eigenheit und Originalität erhalten
und bewahren, so mußte er nach Bruckbcrg ziehen. Und er mag


Gewiß, Feuerbach'S Schriften rieche» viel nach der Literatur
des Trödelmarkts, seine Gelehrsamkeit erinnert an die verlegenen.
Winkel alter Bibliotheken, seine Studien gehen häusig mehr aus dein
Zufall, der ihm ein interessantes Buch in die Hände brachte, und der
Liebhaberei, welche an dieser oder jener Absonderlichkeit gerade ihre
Freude hat, als aus bestimmtem Zweck im Interesse objectiver Ent¬
wicklungen hervor. Seine Gelehrsamkeit ist mit einem Wort eine
ganz subjective. Wie ganz anders stellt sich Strauß in seinen Wer¬
ken dar: Alles gründlich in streng historischer Folge und nothwen¬
diger Entwicklung, die Gelehrsamkeit nicht um ihrer selbst, d. h.
nicht um des Subjects willen, sondern streng im Dienste der Sache
und deS vorgesetzten Zweckes. Gegen die ernste Objektivität des
' Straußischen, die charaktervolle Subjektivität des Feuerbach'schen
Wissens ist B. Bauer's gelehrtes Material ein hastig und runter-
bunt zusammengerafftes, heute im Dienste Hengstenberg's, morgen im
Interesse Hegel's, übermorgen als Specimen für das Narrenhaus,

Hätte Feuerbach den Willen und Beruf gehabt, innerhalb der
bestehenden Entwicklung in herkömmlicher Weise zu studiren, zu leh¬
ren und zu schreiben, so würden freilich diese Sonderbarkeiten sich
hübsch abgeschliffen, die Herbigkelten sich geglättet, diese Eigenthüm¬
lichkeiten sich bestens in den bestehenden Gang und Zug gefügt
haben. Allein dann wäre es eben mich um ihn geschehen gewesen.
Moses bereitete sich auf seinen Beruf in der Wüste vor, die Pro¬
pheten lebten in der Einsamkeit, Johannes predigte in der Wüste,
Christus ging, ehe er auftrat, in die Wüste; Augustin, Luther, fast
könnte man auch sagen Strauß, rüsteten sich in der Einöde und im
Kloster zu dem Geschäfte ihres Lebens. — Und wer eS an sich
selber erfahren hat! Wie will Einer aus dem in eiserne Bande gefug¬
ten Systeme der Hegel'schen Philosophie kommen, wie will er den
Zauberbann lösen, womit sein Ich, sein Bewußtsein und Willen
verschlungen Wird in fremde Gedankenmächte, wenn er nicht
irgend wie fern von dem, alles Erfaßbare in seine Strudel ziehenden
Räderwerk dieser Dialektik, in anderer Lust und Umgebung seine
Quarantäne halten kann? Wollte Feuerbach nicht wie so Viele
entweder an Hegel oder am Rückfall von Hegel zur Unfreiheit zu
Grunde gehen, wollte er seine Eigenheit und Originalität erhalten
und bewahren, so mußte er nach Bruckbcrg ziehen. Und er mag


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[0015] Gewiß, Feuerbach'S Schriften rieche» viel nach der Literatur des Trödelmarkts, seine Gelehrsamkeit erinnert an die verlegenen. Winkel alter Bibliotheken, seine Studien gehen häusig mehr aus dein Zufall, der ihm ein interessantes Buch in die Hände brachte, und der Liebhaberei, welche an dieser oder jener Absonderlichkeit gerade ihre Freude hat, als aus bestimmtem Zweck im Interesse objectiver Ent¬ wicklungen hervor. Seine Gelehrsamkeit ist mit einem Wort eine ganz subjective. Wie ganz anders stellt sich Strauß in seinen Wer¬ ken dar: Alles gründlich in streng historischer Folge und nothwen¬ diger Entwicklung, die Gelehrsamkeit nicht um ihrer selbst, d. h. nicht um des Subjects willen, sondern streng im Dienste der Sache und deS vorgesetzten Zweckes. Gegen die ernste Objektivität des ' Straußischen, die charaktervolle Subjektivität des Feuerbach'schen Wissens ist B. Bauer's gelehrtes Material ein hastig und runter- bunt zusammengerafftes, heute im Dienste Hengstenberg's, morgen im Interesse Hegel's, übermorgen als Specimen für das Narrenhaus, Hätte Feuerbach den Willen und Beruf gehabt, innerhalb der bestehenden Entwicklung in herkömmlicher Weise zu studiren, zu leh¬ ren und zu schreiben, so würden freilich diese Sonderbarkeiten sich hübsch abgeschliffen, die Herbigkelten sich geglättet, diese Eigenthüm¬ lichkeiten sich bestens in den bestehenden Gang und Zug gefügt haben. Allein dann wäre es eben mich um ihn geschehen gewesen. Moses bereitete sich auf seinen Beruf in der Wüste vor, die Pro¬ pheten lebten in der Einsamkeit, Johannes predigte in der Wüste, Christus ging, ehe er auftrat, in die Wüste; Augustin, Luther, fast könnte man auch sagen Strauß, rüsteten sich in der Einöde und im Kloster zu dem Geschäfte ihres Lebens. — Und wer eS an sich selber erfahren hat! Wie will Einer aus dem in eiserne Bande gefug¬ ten Systeme der Hegel'schen Philosophie kommen, wie will er den Zauberbann lösen, womit sein Ich, sein Bewußtsein und Willen verschlungen Wird in fremde Gedankenmächte, wenn er nicht irgend wie fern von dem, alles Erfaßbare in seine Strudel ziehenden Räderwerk dieser Dialektik, in anderer Lust und Umgebung seine Quarantäne halten kann? Wollte Feuerbach nicht wie so Viele entweder an Hegel oder am Rückfall von Hegel zur Unfreiheit zu Grunde gehen, wollte er seine Eigenheit und Originalität erhalten und bewahren, so mußte er nach Bruckbcrg ziehen. Und er mag

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/15>, abgerufen am 23.07.2024.