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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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das sind die Original-Urkunden, die ich selbst in unsren Archiven
habe zu Rathe ziehen können, und mit deren Hülfe ich mich im
Stande glaube, viele irrige Behauptungen unserer Geschichtschreiber
zu berichtigen; das ist endlich die Größe der Ereignisse und Personen
die allein hinreichend wäre, die Aufmerksamkeit zu fesseln. In
der That, welche Namen! Granvella, Egmont, Wilhelm der Schweig,
same, Philipp II. und der schreckliche Herzog Alba! Wenn man
nun in dem Folgenden finden wird, daß ich gegen die aus alter
Ueberlieferung herrührenden, mit abergläubischer Scheu beibehaltenen
Meinungen vieler Leser anstoße, welche gern ganz fertige, ab¬
geschlossene Urtheile haben, so erwiedre ich, daß die Geschichte
nicht eine Art voraus abgemachter Form ist, vor welcher alle Be¬
weise des Gegentheils vergebens sind, wie es oberflächliche oder von
Leidenschaft verblendete Geister anzunehmen pflegen, sondern daß sie
eine Schule der Wissenschaft und strengen Wahrheit ist."

"Es ist bekannt, daß Philipp II. sich nie die Zuneigung der
Belgier gewonnen und sich auch nicht sehr darum bestrebt hat.
Man kann diesem König eine gewisse Geschicklichkeit und große Ge¬
wandtheit für die Geschäfte und einen starken Kopf, der die ver¬
schiedenen Theile seines weiten Reiches in ihrer Gesammtheit um¬
faßte, nicht streitig machen; aber in allem übrigen war er das
Gegenstück seines Vaters: kalt, zurückhaltend, hochmüthig, sich inner¬
halb der engen Gränzen der Etikette beschränkend, sich spanisch klei¬
dend, nur spanisch sprechend, stets, selbst in den Niederlanden, von
Spaniern umgeben. Die Belgier, gewöhnt mit ihren Fürsten ver¬
traulich umzugehen, glaubten sich von diesem verachtet") Karl V.,



*) Die belgischen Schriftsteller sind in Bezug auf diesen Punkt so ein¬
stimmig, daß es unmöglich ist, ihr Zeugniß zurückzuweisen; die Spanier im
Gegentheil behaupten, daß er sich, besonders gegen die Adligen, sehr leutselig
benahm, indem er sich gern in ihre Feste und Tourniere mischte, die für einen
solchen Neuling in ritterlichen Uebungen, wie er es war, zuweilen sehr ge¬
fährlich abliefen. Bei dieser Gelegenheit erzählt Sepulveda (of rebu" gestis
Vs-roli ^uinti) ein trauriges Abenteuer, das ihm in einem öffentlichen Lan-
zcnbrechen in Brüssel zustieß. Da er, von Kopf bis auf die Füße bewaffnet,
gegen Louis Zuniga von Requcsens, einen seiner vertrautesten Freunde, eine
Lanze rennen wollte, erhielt er einen so heftigen Stoß an den Kopf, daß er
halb todt von seinem Pferde auf den Boden sank. Man trug ihn fort, ehe
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das sind die Original-Urkunden, die ich selbst in unsren Archiven
habe zu Rathe ziehen können, und mit deren Hülfe ich mich im
Stande glaube, viele irrige Behauptungen unserer Geschichtschreiber
zu berichtigen; das ist endlich die Größe der Ereignisse und Personen
die allein hinreichend wäre, die Aufmerksamkeit zu fesseln. In
der That, welche Namen! Granvella, Egmont, Wilhelm der Schweig,
same, Philipp II. und der schreckliche Herzog Alba! Wenn man
nun in dem Folgenden finden wird, daß ich gegen die aus alter
Ueberlieferung herrührenden, mit abergläubischer Scheu beibehaltenen
Meinungen vieler Leser anstoße, welche gern ganz fertige, ab¬
geschlossene Urtheile haben, so erwiedre ich, daß die Geschichte
nicht eine Art voraus abgemachter Form ist, vor welcher alle Be¬
weise des Gegentheils vergebens sind, wie es oberflächliche oder von
Leidenschaft verblendete Geister anzunehmen pflegen, sondern daß sie
eine Schule der Wissenschaft und strengen Wahrheit ist."

„Es ist bekannt, daß Philipp II. sich nie die Zuneigung der
Belgier gewonnen und sich auch nicht sehr darum bestrebt hat.
Man kann diesem König eine gewisse Geschicklichkeit und große Ge¬
wandtheit für die Geschäfte und einen starken Kopf, der die ver¬
schiedenen Theile seines weiten Reiches in ihrer Gesammtheit um¬
faßte, nicht streitig machen; aber in allem übrigen war er das
Gegenstück seines Vaters: kalt, zurückhaltend, hochmüthig, sich inner¬
halb der engen Gränzen der Etikette beschränkend, sich spanisch klei¬
dend, nur spanisch sprechend, stets, selbst in den Niederlanden, von
Spaniern umgeben. Die Belgier, gewöhnt mit ihren Fürsten ver¬
traulich umzugehen, glaubten sich von diesem verachtet») Karl V.,



*) Die belgischen Schriftsteller sind in Bezug auf diesen Punkt so ein¬
stimmig, daß es unmöglich ist, ihr Zeugniß zurückzuweisen; die Spanier im
Gegentheil behaupten, daß er sich, besonders gegen die Adligen, sehr leutselig
benahm, indem er sich gern in ihre Feste und Tourniere mischte, die für einen
solchen Neuling in ritterlichen Uebungen, wie er es war, zuweilen sehr ge¬
fährlich abliefen. Bei dieser Gelegenheit erzählt Sepulveda (of rebu» gestis
Vs-roli ^uinti) ein trauriges Abenteuer, das ihm in einem öffentlichen Lan-
zcnbrechen in Brüssel zustieß. Da er, von Kopf bis auf die Füße bewaffnet,
gegen Louis Zuniga von Requcsens, einen seiner vertrautesten Freunde, eine
Lanze rennen wollte, erhielt er einen so heftigen Stoß an den Kopf, daß er
halb todt von seinem Pferde auf den Boden sank. Man trug ihn fort, ehe
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/137>, abgerufen am 23.07.2024.