Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

Bild:
<< vorherige Seite
Briefe aus Se. Petersburg



Der Kaiser und die Aristokratie. -- Nikolaus und Alexander. -- Der Senat
und die Bauern. -- Die Complote. -- Eine kaiserliche Familie. -- Der
Großfürst und sein Oheim; die Großfürstin und ihre Tante. -- Der Prinz
von Leuchtenberg. -- Ein Aktenstück.

Fast alle europäischen Journale haben letzthin von Comploten
und Verschwörungen gesprochen, die, bei Gelegenheit deS letzten Uka-
ses zu Gunsten der russischen Leibeigenen, gegen das Leben des Kai¬
sers entstanden seien.

Hier haben wir nichts davon erfahren, wenigstens hat Niemand
davon gesprochen, weder in hohen, noch in niederen Gesellschaftskrei¬
sen. Freilich sind wir auch hier Leute der That, nicht der Rede;
das Land schweigt und denkt nicht im Entferntesten an Preßfretheit
und im Allgemeinen wird hier gehandelt, bevor man spricht. Eine
Sache muß ins Reich der Thatsachen gehören, ehe man hier davon
spricht, und selbst dann wird mit so viel Zurückhaltung davon ge¬
sprochen, daß oft vollkommenes Schweigen bedeutungsvoller wäre.
Das Wort ist hier offiziell. Und es ist auch gut so; denn bei
Gott! was würde-aus uns werden, wenn die Sachen anders stünden!
Wir würden in einer Atmosphäre von Comploten und Verschwörun¬
gen ersticken; denn diese sind in Rußland das ewig sich erneuernde
Haupt der Hydra. Unter der Frauenherrschaft verschwor man sich


Briefe aus Se. Petersburg



Der Kaiser und die Aristokratie. — Nikolaus und Alexander. — Der Senat
und die Bauern. — Die Complote. — Eine kaiserliche Familie. — Der
Großfürst und sein Oheim; die Großfürstin und ihre Tante. — Der Prinz
von Leuchtenberg. — Ein Aktenstück.

Fast alle europäischen Journale haben letzthin von Comploten
und Verschwörungen gesprochen, die, bei Gelegenheit deS letzten Uka-
ses zu Gunsten der russischen Leibeigenen, gegen das Leben des Kai¬
sers entstanden seien.

Hier haben wir nichts davon erfahren, wenigstens hat Niemand
davon gesprochen, weder in hohen, noch in niederen Gesellschaftskrei¬
sen. Freilich sind wir auch hier Leute der That, nicht der Rede;
das Land schweigt und denkt nicht im Entferntesten an Preßfretheit
und im Allgemeinen wird hier gehandelt, bevor man spricht. Eine
Sache muß ins Reich der Thatsachen gehören, ehe man hier davon
spricht, und selbst dann wird mit so viel Zurückhaltung davon ge¬
sprochen, daß oft vollkommenes Schweigen bedeutungsvoller wäre.
Das Wort ist hier offiziell. Und es ist auch gut so; denn bei
Gott! was würde-aus uns werden, wenn die Sachen anders stünden!
Wir würden in einer Atmosphäre von Comploten und Verschwörun¬
gen ersticken; denn diese sind in Rußland das ewig sich erneuernde
Haupt der Hydra. Unter der Frauenherrschaft verschwor man sich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0126" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266743"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Briefe aus Se. Petersburg</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <note type="argument"> Der Kaiser und die Aristokratie. &#x2014; Nikolaus und Alexander. &#x2014; Der Senat<lb/>
und die Bauern. &#x2014; Die Complote. &#x2014; Eine kaiserliche Familie. &#x2014; Der<lb/>
Großfürst und sein Oheim; die Großfürstin und ihre Tante. &#x2014; Der Prinz<lb/>
von Leuchtenberg. &#x2014; Ein Aktenstück.</note><lb/>
          <p xml:id="ID_320"> Fast alle europäischen Journale haben letzthin von Comploten<lb/>
und Verschwörungen gesprochen, die, bei Gelegenheit deS letzten Uka-<lb/>
ses zu Gunsten der russischen Leibeigenen, gegen das Leben des Kai¬<lb/>
sers entstanden seien.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_321" next="#ID_322"> Hier haben wir nichts davon erfahren, wenigstens hat Niemand<lb/>
davon gesprochen, weder in hohen, noch in niederen Gesellschaftskrei¬<lb/>
sen. Freilich sind wir auch hier Leute der That, nicht der Rede;<lb/>
das Land schweigt und denkt nicht im Entferntesten an Preßfretheit<lb/>
und im Allgemeinen wird hier gehandelt, bevor man spricht. Eine<lb/>
Sache muß ins Reich der Thatsachen gehören, ehe man hier davon<lb/>
spricht, und selbst dann wird mit so viel Zurückhaltung davon ge¬<lb/>
sprochen, daß oft vollkommenes Schweigen bedeutungsvoller wäre.<lb/>
Das Wort ist hier offiziell. Und es ist auch gut so; denn bei<lb/>
Gott! was würde-aus uns werden, wenn die Sachen anders stünden!<lb/>
Wir würden in einer Atmosphäre von Comploten und Verschwörun¬<lb/>
gen ersticken; denn diese sind in Rußland das ewig sich erneuernde<lb/>
Haupt der Hydra. Unter der Frauenherrschaft verschwor man sich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0126] Briefe aus Se. Petersburg Der Kaiser und die Aristokratie. — Nikolaus und Alexander. — Der Senat und die Bauern. — Die Complote. — Eine kaiserliche Familie. — Der Großfürst und sein Oheim; die Großfürstin und ihre Tante. — Der Prinz von Leuchtenberg. — Ein Aktenstück. Fast alle europäischen Journale haben letzthin von Comploten und Verschwörungen gesprochen, die, bei Gelegenheit deS letzten Uka- ses zu Gunsten der russischen Leibeigenen, gegen das Leben des Kai¬ sers entstanden seien. Hier haben wir nichts davon erfahren, wenigstens hat Niemand davon gesprochen, weder in hohen, noch in niederen Gesellschaftskrei¬ sen. Freilich sind wir auch hier Leute der That, nicht der Rede; das Land schweigt und denkt nicht im Entferntesten an Preßfretheit und im Allgemeinen wird hier gehandelt, bevor man spricht. Eine Sache muß ins Reich der Thatsachen gehören, ehe man hier davon spricht, und selbst dann wird mit so viel Zurückhaltung davon ge¬ sprochen, daß oft vollkommenes Schweigen bedeutungsvoller wäre. Das Wort ist hier offiziell. Und es ist auch gut so; denn bei Gott! was würde-aus uns werden, wenn die Sachen anders stünden! Wir würden in einer Atmosphäre von Comploten und Verschwörun¬ gen ersticken; denn diese sind in Rußland das ewig sich erneuernde Haupt der Hydra. Unter der Frauenherrschaft verschwor man sich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/126
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/126>, abgerufen am 23.07.2024.