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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Augenblicke Etwas und etwas Neues; der nördlichere Genius, was
er hat i-- er ist aber eilig und emsig genug, um in jedem Mo¬
mente neue Schätze einzusammeln und neue Mittel zu erwerben.

Feuerbach's Bücher, Gedanken, Sätze und Ansichten sind dem¬
nach er selber. Nur an und aus sich selber hat er gefunden, was
er schon früher in einer fast unbekannt gebliebenen Schrift aussprach.
"DaS, was dem Menschen Tag und Nacht keine Ruhe läßt, was
ihm nie aus dem Herzen kommt, worüber er seinen Abend- und
Morgensegm zu beten vergißt . . . DaS, was ihn sein ganzes
Leben an der Nase herumführt, was ihn mit unwiderstehlicher Macht
an sich fesselt, was ihn so gewaltsam zusammenknebclt, daß er keinen
freien Athemzug mehr thun kann ... das,-- und wäre dieses DaS
auch nur die Summe von hundert Dukaten oder eine neue Conjectur
im EutroviuS, oder die Erfindung einer neuen Stiefelwichse, oder ein
Ordensbändchen mit dem Wörtchen: Von---das nur und sonst auch
nicht ein Haar breit mehr ist die Seele des Menschen." -- "Die
Seele des Menschen ist das, was er als das Wahre und Höchste
in sich erkennt und erfährt, was seine Art, die Dinge zu deur
theilen, zu sein, zu leben, und zu wirken, bestimmt." Dieß eine
Stelle aus seiner Schrift: "der Schriftsteller und der Mensch, eine
Reihe humoristisch-philosophischer Aphorismen"--worin er eben- sein
Wesen: die Einheit seines Menschen -- und Schriftstellerthums
in seiner Weise auseinanderlegte.

Und wie fassen wir nun den Menschen in dem Schriftsteller?
Man hat Feuerbach verschiedentlich als Schüler Hegel's begrüßt und
verdammt, man sieht in ihm den leiblichen Sohn des atheistischen
Vaters. Allein wenn Jemand von Mutter Leib an nicht dazu ge¬
eignet war, in der Hegel'schen Schule zu sterben -- in der Schule
aber leben, ewig die dürre Weide des trocknen Begriffs abgrasen,
heißt doch mindestens so viel als sterben, ja ein nur fremdes Leben
ist weniger und daher schrecklicher als Sterben -- so war Feuerbach
es, der am Ersten den trocknen Staub der Schulbank von den Füßen
schütteln mußte. Sagt er darum doch selber: "Ich unterscheide
mich von Hegel, daß ich als Mensch, alö purer, blanker Mensch
lebe, denke und schreibe." Nach Hegel gehört zum wahren Menschen
die Philosophie und zu dieser das bloße Denken, aber für Feuerbach gehört


Augenblicke Etwas und etwas Neues; der nördlichere Genius, was
er hat i— er ist aber eilig und emsig genug, um in jedem Mo¬
mente neue Schätze einzusammeln und neue Mittel zu erwerben.

Feuerbach's Bücher, Gedanken, Sätze und Ansichten sind dem¬
nach er selber. Nur an und aus sich selber hat er gefunden, was
er schon früher in einer fast unbekannt gebliebenen Schrift aussprach.
„DaS, was dem Menschen Tag und Nacht keine Ruhe läßt, was
ihm nie aus dem Herzen kommt, worüber er seinen Abend- und
Morgensegm zu beten vergißt . . . DaS, was ihn sein ganzes
Leben an der Nase herumführt, was ihn mit unwiderstehlicher Macht
an sich fesselt, was ihn so gewaltsam zusammenknebclt, daß er keinen
freien Athemzug mehr thun kann ... das,— und wäre dieses DaS
auch nur die Summe von hundert Dukaten oder eine neue Conjectur
im EutroviuS, oder die Erfindung einer neuen Stiefelwichse, oder ein
Ordensbändchen mit dem Wörtchen: Von---das nur und sonst auch
nicht ein Haar breit mehr ist die Seele des Menschen." — „Die
Seele des Menschen ist das, was er als das Wahre und Höchste
in sich erkennt und erfährt, was seine Art, die Dinge zu deur
theilen, zu sein, zu leben, und zu wirken, bestimmt." Dieß eine
Stelle aus seiner Schrift: „der Schriftsteller und der Mensch, eine
Reihe humoristisch-philosophischer Aphorismen"—worin er eben- sein
Wesen: die Einheit seines Menschen — und Schriftstellerthums
in seiner Weise auseinanderlegte.

Und wie fassen wir nun den Menschen in dem Schriftsteller?
Man hat Feuerbach verschiedentlich als Schüler Hegel's begrüßt und
verdammt, man sieht in ihm den leiblichen Sohn des atheistischen
Vaters. Allein wenn Jemand von Mutter Leib an nicht dazu ge¬
eignet war, in der Hegel'schen Schule zu sterben — in der Schule
aber leben, ewig die dürre Weide des trocknen Begriffs abgrasen,
heißt doch mindestens so viel als sterben, ja ein nur fremdes Leben
ist weniger und daher schrecklicher als Sterben — so war Feuerbach
es, der am Ersten den trocknen Staub der Schulbank von den Füßen
schütteln mußte. Sagt er darum doch selber: „Ich unterscheide
mich von Hegel, daß ich als Mensch, alö purer, blanker Mensch
lebe, denke und schreibe." Nach Hegel gehört zum wahren Menschen
die Philosophie und zu dieser das bloße Denken, aber für Feuerbach gehört


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[0012] Augenblicke Etwas und etwas Neues; der nördlichere Genius, was er hat i— er ist aber eilig und emsig genug, um in jedem Mo¬ mente neue Schätze einzusammeln und neue Mittel zu erwerben. Feuerbach's Bücher, Gedanken, Sätze und Ansichten sind dem¬ nach er selber. Nur an und aus sich selber hat er gefunden, was er schon früher in einer fast unbekannt gebliebenen Schrift aussprach. „DaS, was dem Menschen Tag und Nacht keine Ruhe läßt, was ihm nie aus dem Herzen kommt, worüber er seinen Abend- und Morgensegm zu beten vergißt . . . DaS, was ihn sein ganzes Leben an der Nase herumführt, was ihn mit unwiderstehlicher Macht an sich fesselt, was ihn so gewaltsam zusammenknebclt, daß er keinen freien Athemzug mehr thun kann ... das,— und wäre dieses DaS auch nur die Summe von hundert Dukaten oder eine neue Conjectur im EutroviuS, oder die Erfindung einer neuen Stiefelwichse, oder ein Ordensbändchen mit dem Wörtchen: Von---das nur und sonst auch nicht ein Haar breit mehr ist die Seele des Menschen." — „Die Seele des Menschen ist das, was er als das Wahre und Höchste in sich erkennt und erfährt, was seine Art, die Dinge zu deur theilen, zu sein, zu leben, und zu wirken, bestimmt." Dieß eine Stelle aus seiner Schrift: „der Schriftsteller und der Mensch, eine Reihe humoristisch-philosophischer Aphorismen"—worin er eben- sein Wesen: die Einheit seines Menschen — und Schriftstellerthums in seiner Weise auseinanderlegte. Und wie fassen wir nun den Menschen in dem Schriftsteller? Man hat Feuerbach verschiedentlich als Schüler Hegel's begrüßt und verdammt, man sieht in ihm den leiblichen Sohn des atheistischen Vaters. Allein wenn Jemand von Mutter Leib an nicht dazu ge¬ eignet war, in der Hegel'schen Schule zu sterben — in der Schule aber leben, ewig die dürre Weide des trocknen Begriffs abgrasen, heißt doch mindestens so viel als sterben, ja ein nur fremdes Leben ist weniger und daher schrecklicher als Sterben — so war Feuerbach es, der am Ersten den trocknen Staub der Schulbank von den Füßen schütteln mußte. Sagt er darum doch selber: „Ich unterscheide mich von Hegel, daß ich als Mensch, alö purer, blanker Mensch lebe, denke und schreibe." Nach Hegel gehört zum wahren Menschen die Philosophie und zu dieser das bloße Denken, aber für Feuerbach gehört

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/12>, abgerufen am 01.10.2024.