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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Aufregungen des Spiels, ihm die wundersamen Täuschungen der
Trunkenheit! Sein Genie hatte ihn gleich einem jener Genien der
arabischen Wundermärchen in einen Zauberpalast geführt, wo alle
Wollüste der Erde in einem Neigen ihn umgaben, schmeichelnd,
kosend sich ihm zu Füßen legten und mit wunderholden, zaubersüßen
Stimmen ihm sagten: Herr und Meister, hier sind wir! Was be¬
gehrst Du?

Der Uebergang aus der nackten, leidensvollen Bodenkammer
bei Hals in das freudenberauschte, glänzende Amsterdam, der Ueber¬
gang aus der düstern Nacht in diese leuchtenden, duftenden Gegen¬
den -- das war zu viel für Brauer'S ungeübte moralische Kraft.
Als er von Herrn von Vermandois nach Hause kam, stand sein
schwaches Gehirn ganz in Feuer; der Anblick seines Goldes bezau-
berte ihn. Jedes dieser glänzenden Goldstücke schien ihm mit süßer,
verführerisch lockender Stimme zuzurufen: Willst du Jungfrauen mit
schamverschleiertem Blick, oder willst du die endlosen Räume des
Idealen auf den schwindelnden Fittigen der Trunkenheit durchfliegen?
Willst du die rohen Orgien des Volkes oder die entnervenden Lieb¬
kosungen der Courtisanen und die fieberhaften Umschlingungen des
Spieldämons kennen lernen? Wähle; wir enthalten Alles.

Und die verlockenden Stimmen hatten einen leichten Sieg; denn
was in dem moralisch-vernachlässigten Brauer sollte mit ihnen käm¬
pfen? Nachdem er seine Dukaten aufs Bett geworfen und sich darin
gewälzt mit der Wuth, mit der ein, nach langem Hungerleider zu
herrlichem Male geladener Gast die Speisen verschlingt, raffte Brauer
sein Geld wieder zusammen, that es all in sein Wamms und ging,
stolz, ja übermüthig in Miene und Haltung aus, um den geheim¬
nißvollen Stimmen zu folgen, die ihn einluden, um ihn einzuweihen
in die todbringenden Feste und die mörderischen Freuden der Aus¬
schweifung.

Die hundert Dukaten dauerten acht Tage: sie zerstreuten sich
in Amsterdams Tavernen und Liebeshöfen. Erst als er auch nicht
einen Gulden mehr in seinem Vermögen hatte, kehrte er zu van Zo-
meren zurück; dieser, ganz erstaunt, ihn wiederzusehen, frug ihn, was
er mit seinem Gelde gemacht? -- Gott sei Dank! entgegneteder
Künstler; es hat mir Mühe genug gekostet, es los zu
werden, und ich bin froh, daß ich nun wieder so weit


Aufregungen des Spiels, ihm die wundersamen Täuschungen der
Trunkenheit! Sein Genie hatte ihn gleich einem jener Genien der
arabischen Wundermärchen in einen Zauberpalast geführt, wo alle
Wollüste der Erde in einem Neigen ihn umgaben, schmeichelnd,
kosend sich ihm zu Füßen legten und mit wunderholden, zaubersüßen
Stimmen ihm sagten: Herr und Meister, hier sind wir! Was be¬
gehrst Du?

Der Uebergang aus der nackten, leidensvollen Bodenkammer
bei Hals in das freudenberauschte, glänzende Amsterdam, der Ueber¬
gang aus der düstern Nacht in diese leuchtenden, duftenden Gegen¬
den — das war zu viel für Brauer'S ungeübte moralische Kraft.
Als er von Herrn von Vermandois nach Hause kam, stand sein
schwaches Gehirn ganz in Feuer; der Anblick seines Goldes bezau-
berte ihn. Jedes dieser glänzenden Goldstücke schien ihm mit süßer,
verführerisch lockender Stimme zuzurufen: Willst du Jungfrauen mit
schamverschleiertem Blick, oder willst du die endlosen Räume des
Idealen auf den schwindelnden Fittigen der Trunkenheit durchfliegen?
Willst du die rohen Orgien des Volkes oder die entnervenden Lieb¬
kosungen der Courtisanen und die fieberhaften Umschlingungen des
Spieldämons kennen lernen? Wähle; wir enthalten Alles.

Und die verlockenden Stimmen hatten einen leichten Sieg; denn
was in dem moralisch-vernachlässigten Brauer sollte mit ihnen käm¬
pfen? Nachdem er seine Dukaten aufs Bett geworfen und sich darin
gewälzt mit der Wuth, mit der ein, nach langem Hungerleider zu
herrlichem Male geladener Gast die Speisen verschlingt, raffte Brauer
sein Geld wieder zusammen, that es all in sein Wamms und ging,
stolz, ja übermüthig in Miene und Haltung aus, um den geheim¬
nißvollen Stimmen zu folgen, die ihn einluden, um ihn einzuweihen
in die todbringenden Feste und die mörderischen Freuden der Aus¬
schweifung.

Die hundert Dukaten dauerten acht Tage: sie zerstreuten sich
in Amsterdams Tavernen und Liebeshöfen. Erst als er auch nicht
einen Gulden mehr in seinem Vermögen hatte, kehrte er zu van Zo-
meren zurück; dieser, ganz erstaunt, ihn wiederzusehen, frug ihn, was
er mit seinem Gelde gemacht? — Gott sei Dank! entgegneteder
Künstler; es hat mir Mühe genug gekostet, es los zu
werden, und ich bin froh, daß ich nun wieder so weit


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[0119] Aufregungen des Spiels, ihm die wundersamen Täuschungen der Trunkenheit! Sein Genie hatte ihn gleich einem jener Genien der arabischen Wundermärchen in einen Zauberpalast geführt, wo alle Wollüste der Erde in einem Neigen ihn umgaben, schmeichelnd, kosend sich ihm zu Füßen legten und mit wunderholden, zaubersüßen Stimmen ihm sagten: Herr und Meister, hier sind wir! Was be¬ gehrst Du? Der Uebergang aus der nackten, leidensvollen Bodenkammer bei Hals in das freudenberauschte, glänzende Amsterdam, der Ueber¬ gang aus der düstern Nacht in diese leuchtenden, duftenden Gegen¬ den — das war zu viel für Brauer'S ungeübte moralische Kraft. Als er von Herrn von Vermandois nach Hause kam, stand sein schwaches Gehirn ganz in Feuer; der Anblick seines Goldes bezau- berte ihn. Jedes dieser glänzenden Goldstücke schien ihm mit süßer, verführerisch lockender Stimme zuzurufen: Willst du Jungfrauen mit schamverschleiertem Blick, oder willst du die endlosen Räume des Idealen auf den schwindelnden Fittigen der Trunkenheit durchfliegen? Willst du die rohen Orgien des Volkes oder die entnervenden Lieb¬ kosungen der Courtisanen und die fieberhaften Umschlingungen des Spieldämons kennen lernen? Wähle; wir enthalten Alles. Und die verlockenden Stimmen hatten einen leichten Sieg; denn was in dem moralisch-vernachlässigten Brauer sollte mit ihnen käm¬ pfen? Nachdem er seine Dukaten aufs Bett geworfen und sich darin gewälzt mit der Wuth, mit der ein, nach langem Hungerleider zu herrlichem Male geladener Gast die Speisen verschlingt, raffte Brauer sein Geld wieder zusammen, that es all in sein Wamms und ging, stolz, ja übermüthig in Miene und Haltung aus, um den geheim¬ nißvollen Stimmen zu folgen, die ihn einluden, um ihn einzuweihen in die todbringenden Feste und die mörderischen Freuden der Aus¬ schweifung. Die hundert Dukaten dauerten acht Tage: sie zerstreuten sich in Amsterdams Tavernen und Liebeshöfen. Erst als er auch nicht einen Gulden mehr in seinem Vermögen hatte, kehrte er zu van Zo- meren zurück; dieser, ganz erstaunt, ihn wiederzusehen, frug ihn, was er mit seinem Gelde gemacht? — Gott sei Dank! entgegneteder Künstler; es hat mir Mühe genug gekostet, es los zu werden, und ich bin froh, daß ich nun wieder so weit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/119>, abgerufen am 23.07.2024.