Cölner Kirchthürmen beherrschten Ebene zu verschwinden. Auch gibt es wirk¬ lich von dieser Stadt an, bis zu jenen ersten Erhebungen des Bodens keine weitere Kunstarbeiten, als einen gewaltigen Erdauswurf, dessen Böschung, von der Poststraße aus gesehen, ich weiß nicht womit, zu vergleichen ist, da die Natur sich nie eines solchen Gebildes verschen hat, wie etwa ein mit der Schnur abgemessener Hügel sein würde. Von dieser lustigen Straße herab sieht man hinter sich, wie im Fluge, die über einander ragenden Dä¬ cher der alten Römerstadt, welche noch das edle Gepräge des ersterbenden, mittelalterlichen Geistes trägt. Ich habe die Bemerkung gemacht, daß die höchsten gothischen Kirchen sich auf dem platten Lande befinden, als wenn der Mensch an den Orten, wo sich die Natur vom Schöpfer zu entfernen scheint, von jener erhabenen Thorheit sich leiten lasse, die uns bisweilen die höchsten Berge erklimmen läßt, um dem Himmel näher zu kommen. Als Beleg für diese Beobachtung brauche ich nur die Cathedralen zu Antwerpen und Straßburg anzuführen, deren Thürme die höchsten sind, die man kennt. Der Cölner Dom liefert davon einen noch augenfälligeren Beweis. Der unbekannte Baumeister, der, gegen Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, den Grundstein dazu legte, mußte es den nachkommenden Geschlechtern überlas¬ sen, einen kühnen und kolossalen Gedanken, den man, wie ungefüge er auch sein mag, als die letzte Kraftäußerung der mittelalterlichen Kunst bezeichnen kann, zur Ausführung zu bringen. Es würde diese Cathedrale eine St. Peterskirche der gothischen Kunst gegeben haben. Das gewaltige Schiff der¬ selben würde auf der, vom Rhein bespülten, Ebene, gleich einem ausgemei¬ ßelten Berge empor geragt haben.
Aber ach! die Blüthen und die Triumphe, welche dem Geiste ganzer Zeiten angehören, dauern wohl länger, sind aber eben so vergänglich, wie das flüchtige Leben des einzelnen Menschen. Das Genie glaubt in dem Nahmen seines großen Geistes die Zukunft umfassen zu können, weil es drei Jahrhunderte vor sich hat, und während es voll Wohlgefallen mit den, auf sein Geheiß, sich thürmenden Steinen spielt, gehen die Ereignisse ihren Gang, sie fahren daher, und erreichen ihn, wie jene Kugel der pariser Bluthochzeit, die den armen Jean Goujon auf seinem Gerüst ereilte. Es predigt ein Doctor in Wittenberg, und die Christenheit vertauscht die Maurerkelle mit dem Schwerte, und fällt unter dem Geschrei der Rache und Zerstörung über die unvollendeten Tempel her. Die Türken nehmen Constantinopel, die grie¬ chische Kunst flüchtet sich nach Italien, und versetzt so den schwersten Streich jener in Granit gehauenen Poesie der gothischen Kunst, welche zu ihrer vol¬ len Entwickelung noch zwei oder drei Jahrhunderte bedurft hätte. Kaum hat Martin Luther auf den feurigen Schwingen seines Hippogryphen, der Buchdruckerkunst, seine Flammenworte ausgesendet, als auf einmal das rege
Cölner Kirchthürmen beherrschten Ebene zu verschwinden. Auch gibt es wirk¬ lich von dieser Stadt an, bis zu jenen ersten Erhebungen des Bodens keine weitere Kunstarbeiten, als einen gewaltigen Erdauswurf, dessen Böschung, von der Poststraße aus gesehen, ich weiß nicht womit, zu vergleichen ist, da die Natur sich nie eines solchen Gebildes verschen hat, wie etwa ein mit der Schnur abgemessener Hügel sein würde. Von dieser lustigen Straße herab sieht man hinter sich, wie im Fluge, die über einander ragenden Dä¬ cher der alten Römerstadt, welche noch das edle Gepräge des ersterbenden, mittelalterlichen Geistes trägt. Ich habe die Bemerkung gemacht, daß die höchsten gothischen Kirchen sich auf dem platten Lande befinden, als wenn der Mensch an den Orten, wo sich die Natur vom Schöpfer zu entfernen scheint, von jener erhabenen Thorheit sich leiten lasse, die uns bisweilen die höchsten Berge erklimmen läßt, um dem Himmel näher zu kommen. Als Beleg für diese Beobachtung brauche ich nur die Cathedralen zu Antwerpen und Straßburg anzuführen, deren Thürme die höchsten sind, die man kennt. Der Cölner Dom liefert davon einen noch augenfälligeren Beweis. Der unbekannte Baumeister, der, gegen Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, den Grundstein dazu legte, mußte es den nachkommenden Geschlechtern überlas¬ sen, einen kühnen und kolossalen Gedanken, den man, wie ungefüge er auch sein mag, als die letzte Kraftäußerung der mittelalterlichen Kunst bezeichnen kann, zur Ausführung zu bringen. Es würde diese Cathedrale eine St. Peterskirche der gothischen Kunst gegeben haben. Das gewaltige Schiff der¬ selben würde auf der, vom Rhein bespülten, Ebene, gleich einem ausgemei¬ ßelten Berge empor geragt haben.
Aber ach! die Blüthen und die Triumphe, welche dem Geiste ganzer Zeiten angehören, dauern wohl länger, sind aber eben so vergänglich, wie das flüchtige Leben des einzelnen Menschen. Das Genie glaubt in dem Nahmen seines großen Geistes die Zukunft umfassen zu können, weil es drei Jahrhunderte vor sich hat, und während es voll Wohlgefallen mit den, auf sein Geheiß, sich thürmenden Steinen spielt, gehen die Ereignisse ihren Gang, sie fahren daher, und erreichen ihn, wie jene Kugel der pariser Bluthochzeit, die den armen Jean Goujon auf seinem Gerüst ereilte. Es predigt ein Doctor in Wittenberg, und die Christenheit vertauscht die Maurerkelle mit dem Schwerte, und fällt unter dem Geschrei der Rache und Zerstörung über die unvollendeten Tempel her. Die Türken nehmen Constantinopel, die grie¬ chische Kunst flüchtet sich nach Italien, und versetzt so den schwersten Streich jener in Granit gehauenen Poesie der gothischen Kunst, welche zu ihrer vol¬ len Entwickelung noch zwei oder drei Jahrhunderte bedurft hätte. Kaum hat Martin Luther auf den feurigen Schwingen seines Hippogryphen, der Buchdruckerkunst, seine Flammenworte ausgesendet, als auf einmal das rege
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Cölner Kirchthürmen beherrschten Ebene zu verschwinden. Auch gibt es wirk¬
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weitere Kunstarbeiten, als einen gewaltigen Erdauswurf, dessen Böschung,
von der Poststraße aus gesehen, ich weiß nicht womit, zu vergleichen ist, da
die Natur sich nie eines solchen Gebildes verschen hat, wie etwa ein mit
der Schnur abgemessener Hügel sein würde. Von dieser lustigen Straße
herab sieht man hinter sich, wie im Fluge, die über einander ragenden Dä¬
cher der alten Römerstadt, welche noch das edle Gepräge des ersterbenden,
mittelalterlichen Geistes trägt. Ich habe die Bemerkung gemacht, daß die
höchsten gothischen Kirchen sich auf dem platten Lande befinden, als wenn
der Mensch an den Orten, wo sich die Natur vom Schöpfer zu entfernen
scheint, von jener erhabenen Thorheit sich leiten lasse, die uns bisweilen die
höchsten Berge erklimmen läßt, um dem Himmel näher zu kommen. Als
Beleg für diese Beobachtung brauche ich nur die Cathedralen zu Antwerpen
und Straßburg anzuführen, deren Thürme die höchsten sind, die man kennt.
Der Cölner Dom liefert davon einen noch augenfälligeren Beweis. Der
unbekannte Baumeister, der, gegen Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, den
Grundstein dazu legte, mußte es den nachkommenden Geschlechtern überlas¬
sen, einen kühnen und kolossalen Gedanken, den man, wie ungefüge er auch
sein mag, als die letzte Kraftäußerung der mittelalterlichen Kunst bezeichnen
kann, zur Ausführung zu bringen. Es würde diese Cathedrale eine St.
Peterskirche der gothischen Kunst gegeben haben. Das gewaltige Schiff der¬
selben würde auf der, vom Rhein bespülten, Ebene, gleich einem ausgemei¬
ßelten Berge empor geragt haben.
Aber ach! die Blüthen und die Triumphe, welche dem Geiste ganzer
Zeiten angehören, dauern wohl länger, sind aber eben so vergänglich, wie
das flüchtige Leben des einzelnen Menschen. Das Genie glaubt in dem
Nahmen seines großen Geistes die Zukunft umfassen zu können, weil es drei
Jahrhunderte vor sich hat, und während es voll Wohlgefallen mit den, auf
sein Geheiß, sich thürmenden Steinen spielt, gehen die Ereignisse ihren Gang,
sie fahren daher, und erreichen ihn, wie jene Kugel der pariser Bluthochzeit,
die den armen Jean Goujon auf seinem Gerüst ereilte. Es predigt ein
Doctor in Wittenberg, und die Christenheit vertauscht die Maurerkelle mit
dem Schwerte, und fällt unter dem Geschrei der Rache und Zerstörung über
die unvollendeten Tempel her. Die Türken nehmen Constantinopel, die grie¬
chische Kunst flüchtet sich nach Italien, und versetzt so den schwersten Streich
jener in Granit gehauenen Poesie der gothischen Kunst, welche zu ihrer vol¬
len Entwickelung noch zwei oder drei Jahrhunderte bedurft hätte. Kaum
hat Martin Luther auf den feurigen Schwingen seines Hippogryphen, der
Buchdruckerkunst, seine Flammenworte ausgesendet, als auf einmal das rege
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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/81>, abgerufen am 25.11.2024.
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