Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

bindung der Schelde und der Nordsee mit dem Rheine, so schnell in Erfül¬
lung gehen würde, und daß im Jahr 1841 nur ein Zwischenraum von
dreizehn oder vierzehn Stunden die beiden Wetterstrahlen verhindern würde,
sich auf der eisernen Furche zu begegnen!

Mit welcher Lust habe ich diese neu eröffnete Arena von Cöln bis
Aachen auf den Schwingen des Dampfes durchflogen! Es war am ersten
September; den Abend zuvor war ich am Rhein ausgestiegen, am Rhein,
dieser großen Wasserstraße, die, nach ihrer Mündung zu, im Galopp, und
nach der Quelle, im Trabe dahin eilt, seitdem die Hand des Menschen sie
gezähmt hat. Eine Einladungskarte, die ich der Güte eines Actionärs die¬
ser schönen Unternehmung verdankte, erwartete mich in meinem Gasthofe; ich
verfügte mich um neun Uhr nach dem Bahnhofe, der ganz bewimpelt und
ausgeschmückt war, für eine der schönsten Festlichkeiten, die der Mensch dem
Menschen zu bereiten vermag, und die ihn dadurch, daß er die Räume
näher an einander bringen, und die Entfernungen beseitigen lernt, mit gro¬
ßen Schritten dem goldenen Traume einer allgemeinen Verbrüderung zuzu¬
führen verspricht. -- Deutschland ist das Land der Blumen; sie geben seinen
Spaziergängen ein freundliches Aussehen, sie verkürzen die Langeweile der
Wege, und werfen mit ihrem sanften Farbenschmelze einen wehmüthigen
Schleier über die zu öde Nacktheit der Gottesäcker. Die Deutschen sind
Verehrer der Blumen, ein Zeichen eines guten Volkes; wohl mögen sie
eine abbrechen, aber nie reißen sie sie aus. Und diese Blumen spielen
eine große Rolle bei allen ihren Feierlichkeiten; auch bei dieser Ein¬
weihung durften sie nicht fehlen. Der lange Cölner Bahnhof war mit
Gewinden von Dahlien, die in allen Farbenbrechungen schimmerten, ausge¬
ziert. Da war nichts, bis auf die Locomotive herab, das nicht, gleich einem
jungen Bräutigam, seinen prächtigen Strauß an der Seite trug. -- Uebrigens
entspricht dieser Bahnhof noch nicht der Wichtigkeit, die er in Kurzem er¬
langen wird; bestimmt, wie er ist, das große Aussteigequartier des Rheines
zu werden, scheint er viel zu beschränkt, und soll, ohne Zweifel, nur dem
augenblicklichen Bedürfniß abhelfen. Sobald die sämmtlichen Beamten, die
von allen Enden Rheinpreußens herbeigekommen waren, sich vereinigt, und
die Eingeladenen ihre Plätze eingenommen hatten, setzte sich der Zug in Be¬
wegung und begann auf den gebogenen Eisenschienen seine neun und zwan¬
zig Wagen zu entrollen, gezogen von drei schönen und starken, wohl lackirten,
neu glänzenden Dampfsprühern, wie sie es alle in der Frische der ersten Jugend
sind. Einen Augenblick lang konnte man ihn sehen, wie er, gleich einer im
Sand kriechenden Schlange, sich drehte und wand, man hätte ihn für jene
fabelhafte dreigestaltete Chimäre, mit gesträubtem Haare und feuersprühendem
Rachen, nehmen mögen. Diese neun und zwanzig Wagen faßten vierzehn

10*

bindung der Schelde und der Nordsee mit dem Rheine, so schnell in Erfül¬
lung gehen würde, und daß im Jahr 1841 nur ein Zwischenraum von
dreizehn oder vierzehn Stunden die beiden Wetterstrahlen verhindern würde,
sich auf der eisernen Furche zu begegnen!

Mit welcher Lust habe ich diese neu eröffnete Arena von Cöln bis
Aachen auf den Schwingen des Dampfes durchflogen! Es war am ersten
September; den Abend zuvor war ich am Rhein ausgestiegen, am Rhein,
dieser großen Wasserstraße, die, nach ihrer Mündung zu, im Galopp, und
nach der Quelle, im Trabe dahin eilt, seitdem die Hand des Menschen sie
gezähmt hat. Eine Einladungskarte, die ich der Güte eines Actionärs die¬
ser schönen Unternehmung verdankte, erwartete mich in meinem Gasthofe; ich
verfügte mich um neun Uhr nach dem Bahnhofe, der ganz bewimpelt und
ausgeschmückt war, für eine der schönsten Festlichkeiten, die der Mensch dem
Menschen zu bereiten vermag, und die ihn dadurch, daß er die Räume
näher an einander bringen, und die Entfernungen beseitigen lernt, mit gro¬
ßen Schritten dem goldenen Traume einer allgemeinen Verbrüderung zuzu¬
führen verspricht. — Deutschland ist das Land der Blumen; sie geben seinen
Spaziergängen ein freundliches Aussehen, sie verkürzen die Langeweile der
Wege, und werfen mit ihrem sanften Farbenschmelze einen wehmüthigen
Schleier über die zu öde Nacktheit der Gottesäcker. Die Deutschen sind
Verehrer der Blumen, ein Zeichen eines guten Volkes; wohl mögen sie
eine abbrechen, aber nie reißen sie sie aus. Und diese Blumen spielen
eine große Rolle bei allen ihren Feierlichkeiten; auch bei dieser Ein¬
weihung durften sie nicht fehlen. Der lange Cölner Bahnhof war mit
Gewinden von Dahlien, die in allen Farbenbrechungen schimmerten, ausge¬
ziert. Da war nichts, bis auf die Locomotive herab, das nicht, gleich einem
jungen Bräutigam, seinen prächtigen Strauß an der Seite trug. — Uebrigens
entspricht dieser Bahnhof noch nicht der Wichtigkeit, die er in Kurzem er¬
langen wird; bestimmt, wie er ist, das große Aussteigequartier des Rheines
zu werden, scheint er viel zu beschränkt, und soll, ohne Zweifel, nur dem
augenblicklichen Bedürfniß abhelfen. Sobald die sämmtlichen Beamten, die
von allen Enden Rheinpreußens herbeigekommen waren, sich vereinigt, und
die Eingeladenen ihre Plätze eingenommen hatten, setzte sich der Zug in Be¬
wegung und begann auf den gebogenen Eisenschienen seine neun und zwan¬
zig Wagen zu entrollen, gezogen von drei schönen und starken, wohl lackirten,
neu glänzenden Dampfsprühern, wie sie es alle in der Frische der ersten Jugend
sind. Einen Augenblick lang konnte man ihn sehen, wie er, gleich einer im
Sand kriechenden Schlange, sich drehte und wand, man hätte ihn für jene
fabelhafte dreigestaltete Chimäre, mit gesträubtem Haare und feuersprühendem
Rachen, nehmen mögen. Diese neun und zwanzig Wagen faßten vierzehn

10*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179462" n="71" facs="#f0079"/>
bindung der Schelde und der Nordsee mit dem Rheine, <choice><sic>sd</sic><corr>so</corr></choice> schnell in Erfül¬<lb/>
lung gehen würde, und daß im Jahr 1841 nur ein Zwischenraum von<lb/>
dreizehn oder vierzehn Stunden die beiden Wetterstrahlen verhindern würde,<lb/>
sich auf der eisernen Furche zu begegnen!</p><lb/>
        <p>Mit welcher Lust habe ich diese neu eröffnete Arena von Cöln bis<lb/>
Aachen auf den Schwingen des Dampfes durchflogen!  Es war am ersten<lb/>
September; den Abend zuvor war ich am Rhein ausgestiegen, am Rhein,<lb/>
dieser großen Wasserstraße, die, nach ihrer Mündung zu, im Galopp, und<lb/>
nach der Quelle, im Trabe dahin eilt, seitdem die Hand des Menschen sie<lb/>
gezähmt hat.  Eine Einladungskarte, die ich der Güte eines Actionärs die¬<lb/>
ser schönen Unternehmung verdankte, erwartete mich in meinem Gasthofe; ich<lb/>
verfügte mich um neun Uhr nach dem Bahnhofe, der ganz bewimpelt und<lb/>
ausgeschmückt war, für eine der schönsten Festlichkeiten, die der Mensch dem<lb/>
Menschen zu bereiten vermag, und die ihn dadurch, daß er die Räume<lb/>
näher an einander bringen, und die Entfernungen beseitigen lernt, mit gro¬<lb/>
ßen Schritten dem goldenen Traume einer allgemeinen Verbrüderung zuzu¬<lb/>
führen verspricht. &#x2014; Deutschland ist das Land der Blumen; sie geben seinen<lb/>
Spaziergängen ein freundliches Aussehen, sie verkürzen die Langeweile der<lb/>
Wege, und werfen mit ihrem sanften Farbenschmelze einen <choice><sic>wehmüthihen</sic><corr>wehmüthigen</corr></choice><lb/>
Schleier über die zu öde Nacktheit der Gottesäcker.  Die Deutschen sind<lb/>
Verehrer der Blumen, ein Zeichen eines guten Volkes; wohl mögen sie<lb/>
eine abbrechen, aber nie reißen sie sie aus.   Und diese Blumen spielen<lb/>
eine große Rolle bei allen ihren Feierlichkeiten; auch bei dieser Ein¬<lb/>
weihung durften sie nicht fehlen. Der lange Cölner Bahnhof war mit<lb/>
Gewinden von Dahlien, die in allen Farbenbrechungen schimmerten, ausge¬<lb/>
ziert.  Da war nichts, bis auf die Locomotive herab, das nicht, gleich einem<lb/>
jungen Bräutigam, seinen prächtigen Strauß an der Seite trug. &#x2014; Uebrigens<lb/>
entspricht dieser Bahnhof noch nicht der Wichtigkeit, die er in Kurzem er¬<lb/>
langen wird; bestimmt, wie er ist, das große Aussteigequartier des Rheines<lb/>
zu werden, scheint er viel zu beschränkt, und soll, ohne Zweifel, nur dem<lb/>
augenblicklichen Bedürfniß abhelfen.  Sobald die sämmtlichen Beamten, die<lb/>
von allen Enden Rheinpreußens herbeigekommen waren, sich vereinigt, und<lb/>
die Eingeladenen ihre Plätze eingenommen hatten, setzte sich der Zug in Be¬<lb/>
wegung und begann auf den gebogenen Eisenschienen seine neun und zwan¬<lb/>
zig Wagen zu entrollen, gezogen von drei schönen und starken, wohl lackirten,<lb/>
neu glänzenden Dampfsprühern, wie sie es alle in der Frische der ersten Jugend<lb/>
sind.  Einen Augenblick lang konnte man ihn sehen, wie er, gleich einer im<lb/>
Sand kriechenden Schlange, sich drehte und wand, man hätte ihn für jene<lb/>
fabelhafte dreigestaltete Chimäre, mit gesträubtem Haare und feuersprühendem<lb/>
Rachen, nehmen mögen. Diese neun und zwanzig Wagen faßten vierzehn<lb/>
<fw type="sig" place="bottom">10*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0079] bindung der Schelde und der Nordsee mit dem Rheine, so schnell in Erfül¬ lung gehen würde, und daß im Jahr 1841 nur ein Zwischenraum von dreizehn oder vierzehn Stunden die beiden Wetterstrahlen verhindern würde, sich auf der eisernen Furche zu begegnen! Mit welcher Lust habe ich diese neu eröffnete Arena von Cöln bis Aachen auf den Schwingen des Dampfes durchflogen! Es war am ersten September; den Abend zuvor war ich am Rhein ausgestiegen, am Rhein, dieser großen Wasserstraße, die, nach ihrer Mündung zu, im Galopp, und nach der Quelle, im Trabe dahin eilt, seitdem die Hand des Menschen sie gezähmt hat. Eine Einladungskarte, die ich der Güte eines Actionärs die¬ ser schönen Unternehmung verdankte, erwartete mich in meinem Gasthofe; ich verfügte mich um neun Uhr nach dem Bahnhofe, der ganz bewimpelt und ausgeschmückt war, für eine der schönsten Festlichkeiten, die der Mensch dem Menschen zu bereiten vermag, und die ihn dadurch, daß er die Räume näher an einander bringen, und die Entfernungen beseitigen lernt, mit gro¬ ßen Schritten dem goldenen Traume einer allgemeinen Verbrüderung zuzu¬ führen verspricht. — Deutschland ist das Land der Blumen; sie geben seinen Spaziergängen ein freundliches Aussehen, sie verkürzen die Langeweile der Wege, und werfen mit ihrem sanften Farbenschmelze einen wehmüthigen Schleier über die zu öde Nacktheit der Gottesäcker. Die Deutschen sind Verehrer der Blumen, ein Zeichen eines guten Volkes; wohl mögen sie eine abbrechen, aber nie reißen sie sie aus. Und diese Blumen spielen eine große Rolle bei allen ihren Feierlichkeiten; auch bei dieser Ein¬ weihung durften sie nicht fehlen. Der lange Cölner Bahnhof war mit Gewinden von Dahlien, die in allen Farbenbrechungen schimmerten, ausge¬ ziert. Da war nichts, bis auf die Locomotive herab, das nicht, gleich einem jungen Bräutigam, seinen prächtigen Strauß an der Seite trug. — Uebrigens entspricht dieser Bahnhof noch nicht der Wichtigkeit, die er in Kurzem er¬ langen wird; bestimmt, wie er ist, das große Aussteigequartier des Rheines zu werden, scheint er viel zu beschränkt, und soll, ohne Zweifel, nur dem augenblicklichen Bedürfniß abhelfen. Sobald die sämmtlichen Beamten, die von allen Enden Rheinpreußens herbeigekommen waren, sich vereinigt, und die Eingeladenen ihre Plätze eingenommen hatten, setzte sich der Zug in Be¬ wegung und begann auf den gebogenen Eisenschienen seine neun und zwan¬ zig Wagen zu entrollen, gezogen von drei schönen und starken, wohl lackirten, neu glänzenden Dampfsprühern, wie sie es alle in der Frische der ersten Jugend sind. Einen Augenblick lang konnte man ihn sehen, wie er, gleich einer im Sand kriechenden Schlange, sich drehte und wand, man hätte ihn für jene fabelhafte dreigestaltete Chimäre, mit gesträubtem Haare und feuersprühendem Rachen, nehmen mögen. Diese neun und zwanzig Wagen faßten vierzehn 10*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-19T17:23:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Signatur Per 61 k-1). (2013-11-19T17:23:38Z)

Weitere Informationen:

Art der Texterfassung: OCR.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/79
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/79>, abgerufen am 22.11.2024.