Cotta. Dir deutschen Bücher und Reisende. Die Herbstschwalben bei Moriz Schlesinger. Brockhaus und die Lafarge. Jules Janin als Ehemann.
Oktober.
Man spricht davon, daß die Cotta'sche Buchhandlung hier ein Depot errichten wird, in welchem ihre Auflagen der deutschen Klassiker: Schiller, Göthe, in so bedeutenden Minder¬ preisen verkauft werden sollen, daß es den hiesigen Nachdruckern unmöglich sein wird, ihre mühevollen, von den lächerlichsten Druckfehlern wimmelnden Ausgaben abzusetzen. Es ist unglaublich, was die Tetot'schen Nachdrücke für eine Verbreitung gefunden haben. Nach England, Rußland, überall hin wälzten sie ihre sündige Überschwemmung. Sogar nach Deutschland werden sie eingeschmuggelt.
Fast jede wohlhabende deutsche Familie, die eine Lustreise nach Paris macht, führt in ih¬ rem Reisekoffer ein kleines Sortiment solcher Nachdrücke nach Deutschland zurück. In Summa ist dieß keineswegs so unbedeutend, als man wohl glaubt. Trotz der Schilderung, welche die deutsche Journalistik der neuesten Zeit von Paris macht, als ob Sodom und Gomorah im Verhältniß dagegen zwei Nonnenkloster gewesen wären, finden sich der deutschen Besucher mehr als je ein. Namentlich in den Ferienmonaten kann man auf den Boulevards, in den Tuilerieen, bei Gagliani, in dem dunklen Cabinet de Lecture des Palais Royal, vor Allem aber bei den Restaurateurs zu 32 Sous eine Menge friedlicher, bebrillter, schwarzge¬ kleideter Männer sehen, die man ans den ersten Blick als deutsche Gelehrte erkennen muß.
Die deutschen Gelehrten und die deutschen Musiker sind die jährlichen Herbstschwalben von Paris, und wenn in der Rue Richelieu bei dem Musikhändler Moriz Schlesinger, die blondhaarigen jungen deutschen Geiger und Pianisten mit den großen Empfehlungsbriefen sich sehen lassen, so könnt Ihr darauf zählen, daß am Rhein und Neckar die Weinlese beginnt. Diese Musikhandlung ist für die deutschen Musiker ohngefähr das, was im Mittelalter die Hospize im Morgenlande für die Kreuzfahrer und Pilgersleute des Occidents waren. Moriz Schlesinger hat von der Königin von England eine goldene Medaille zum Geschenk erhalten, als Anerkennung seiner brillanten Ausgaben der Werke Meyerbeers und Schlesin- gers. Die Auszeichnung ist dem thätigen, einsichtsvollen und gastfreien Manne wohl zu gönnen.
Das Verbot, welches Preußen auf die von Brockhaus und Avenarius angekündigte Ue¬ bersetzung der Memoiren der Madame Lafarge gelegt hat, wurde hier auf eine hämische Weise
Briefe aus Paris.
Cotta. Dir deutschen Bücher und Reisende. Die Herbstschwalben bei Moriz Schlesinger. Brockhaus und die Lafarge. Jules Janin als Ehemann.
Oktober.
Man spricht davon, daß die Cotta'sche Buchhandlung hier ein Depot errichten wird, in welchem ihre Auflagen der deutschen Klassiker: Schiller, Göthe, in so bedeutenden Minder¬ preisen verkauft werden sollen, daß es den hiesigen Nachdruckern unmöglich sein wird, ihre mühevollen, von den lächerlichsten Druckfehlern wimmelnden Ausgaben abzusetzen. Es ist unglaublich, was die Tetot'schen Nachdrücke für eine Verbreitung gefunden haben. Nach England, Rußland, überall hin wälzten sie ihre sündige Überschwemmung. Sogar nach Deutschland werden sie eingeschmuggelt.
Fast jede wohlhabende deutsche Familie, die eine Lustreise nach Paris macht, führt in ih¬ rem Reisekoffer ein kleines Sortiment solcher Nachdrücke nach Deutschland zurück. In Summa ist dieß keineswegs so unbedeutend, als man wohl glaubt. Trotz der Schilderung, welche die deutsche Journalistik der neuesten Zeit von Paris macht, als ob Sodom und Gomorah im Verhältniß dagegen zwei Nonnenkloster gewesen wären, finden sich der deutschen Besucher mehr als je ein. Namentlich in den Ferienmonaten kann man auf den Boulevards, in den Tuilerieen, bei Gagliani, in dem dunklen Cabinet de Lecture des Palais Royal, vor Allem aber bei den Restaurateurs zu 32 Sous eine Menge friedlicher, bebrillter, schwarzge¬ kleideter Männer sehen, die man ans den ersten Blick als deutsche Gelehrte erkennen muß.
Die deutschen Gelehrten und die deutschen Musiker sind die jährlichen Herbstschwalben von Paris, und wenn in der Rue Richelieu bei dem Musikhändler Moriz Schlesinger, die blondhaarigen jungen deutschen Geiger und Pianisten mit den großen Empfehlungsbriefen sich sehen lassen, so könnt Ihr darauf zählen, daß am Rhein und Neckar die Weinlese beginnt. Diese Musikhandlung ist für die deutschen Musiker ohngefähr das, was im Mittelalter die Hospize im Morgenlande für die Kreuzfahrer und Pilgersleute des Occidents waren. Moriz Schlesinger hat von der Königin von England eine goldene Medaille zum Geschenk erhalten, als Anerkennung seiner brillanten Ausgaben der Werke Meyerbeers und Schlesin- gers. Die Auszeichnung ist dem thätigen, einsichtsvollen und gastfreien Manne wohl zu gönnen.
Das Verbot, welches Preußen auf die von Brockhaus und Avenarius angekündigte Ue¬ bersetzung der Memoiren der Madame Lafarge gelegt hat, wurde hier auf eine hämische Weise
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Briefe aus Paris.
Cotta. Dir deutschen Bücher und Reisende. Die Herbstschwalben bei Moriz Schlesinger.
Brockhaus und die Lafarge. Jules Janin als Ehemann.
Oktober.
Man spricht davon, daß die Cotta'sche Buchhandlung hier ein Depot errichten wird, in
welchem ihre Auflagen der deutschen Klassiker: Schiller, Göthe, in so bedeutenden Minder¬
preisen verkauft werden sollen, daß es den hiesigen Nachdruckern unmöglich sein wird, ihre
mühevollen, von den lächerlichsten Druckfehlern wimmelnden Ausgaben abzusetzen. Es
ist unglaublich, was die Tetot'schen Nachdrücke für eine Verbreitung gefunden haben. Nach
England, Rußland, überall hin wälzten sie ihre sündige Überschwemmung. Sogar nach
Deutschland werden sie eingeschmuggelt.
Fast jede wohlhabende deutsche Familie, die eine Lustreise nach Paris macht, führt in ih¬
rem Reisekoffer ein kleines Sortiment solcher Nachdrücke nach Deutschland zurück. In Summa
ist dieß keineswegs so unbedeutend, als man wohl glaubt. Trotz der Schilderung, welche die
deutsche Journalistik der neuesten Zeit von Paris macht, als ob Sodom und Gomorah im
Verhältniß dagegen zwei Nonnenkloster gewesen wären, finden sich der deutschen Besucher
mehr als je ein. Namentlich in den Ferienmonaten kann man auf den Boulevards,
in den Tuilerieen, bei Gagliani, in dem dunklen Cabinet de Lecture des Palais Royal, vor
Allem aber bei den Restaurateurs zu 32 Sous eine Menge friedlicher, bebrillter, schwarzge¬
kleideter Männer sehen, die man ans den ersten Blick als deutsche Gelehrte erkennen muß.
Die deutschen Gelehrten und die deutschen Musiker sind die jährlichen Herbstschwalben
von Paris, und wenn in der Rue Richelieu bei dem Musikhändler Moriz Schlesinger, die
blondhaarigen jungen deutschen Geiger und Pianisten mit den großen Empfehlungsbriefen
sich sehen lassen, so könnt Ihr darauf zählen, daß am Rhein und Neckar die Weinlese beginnt.
Diese Musikhandlung ist für die deutschen Musiker ohngefähr das, was im Mittelalter die
Hospize im Morgenlande für die Kreuzfahrer und Pilgersleute des Occidents waren.
Moriz Schlesinger hat von der Königin von England eine goldene Medaille zum Geschenk
erhalten, als Anerkennung seiner brillanten Ausgaben der Werke Meyerbeers und Schlesin-
gers. Die Auszeichnung ist dem thätigen, einsichtsvollen und gastfreien Manne wohl zu
gönnen.
Das Verbot, welches Preußen auf die von Brockhaus und Avenarius angekündigte Ue¬
bersetzung der Memoiren der Madame Lafarge gelegt hat, wurde hier auf eine hämische Weise
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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/73>, abgerufen am 03.07.2024.
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