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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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Hand erhielten, leitet uns jedoch auf eine andere Spur. Einige Winke bringen uns
auf den Gedanken, daß zwei Verfasser die Hand (eine fürstliche?) im Spiele haben. Bei
näherer Betrachtung scheint dieses nicht unwahrscheinlich. Das fünfactige Trauerspiel
ist zur Hälfte in Versen, zur Hälfte in Prosa geschrieben. Wir haben das Manuscript
vor Augen gehabt und eine gewisse Doppelgängerei darin gefunden. Die meisten Sce¬
nen voll blitzender Gedanken, voll origineller, bis zur Genialität reichender Charakte¬
ristik, in den andern Scenen dagegen, Salonparfüm, Lustspielfirniß, Tutti-Frutti-
Witz. Die eine Scene ergreifend, pulstrend, keck bis zum Uebermaaße, in der andern
diplomatische Sammetpfötchen, leises Dahinschleichen, verschwimmend, effectlos. Der
Uebergang Christinens zur katholischen Kirche gehört namentlich zu der letzten Gattung.
Er ist so schwach angedeutet, daß er ohne Einfluß auf die Charakteristik bleibt, während
er doch wieder stark genug ist, um dem Stücke den Zugang zu den meisten Bühnen zu
versperren. So viel wir wissen, ist leider Stuttgart bisher die einzige Bühne, die es zur
Aufführung angenommen. Ehre der Stuttgarter Censur, die nicht kleinlich mäkelt; Ehre
der Bühnenleitung, die vor einer scheinbaren dramatischen Unmöglichkeit nicht zurück¬
schreckt. Man hat dieser, bei vielen Schwächen immerhin ausgezeichneten, höchst interes¬
santen Composition voreilig alle Bühnenwirkung abgesprochen. Wir sind vom Gegen¬
theile überzeugt. Es sind einige Scenen in dem Stücke, die verlöschen und effectlos ver¬
puffen werden, aber es ist des Schönen und Ergreifenden mehr als genug darin, um
eine gebildete Masse in Erregung zu bringen.



Gute Nachrichten aus Stuttgart.

Graf Leutrum, der bisherige Intendant des Theaters, hat seine Entlassung erhalten.
Man soll den Todten nichts Böses nachsagen, aber ein Exemplar, wie der Exintendant,
ist selten zu finden. Graf Leutrum ist derselbe Mann, der, als einst Immermann in
Stuttgart einige Tage verweilte, und Jemand ihm die Nachricht brachte, Immermann
sei da, darauf antwortete: Verhüten Sie, daß er mich besucht, ich kann ihn nicht auf¬
treten lassen, alle Gastspiele sind schon vergeben. Der edle Graf glaubte, Immermann
sei ein reisender Schauspieler. Es ist in Paris kein einziges Theater, auch nicht unter
den Boulevardstheatern, wo der Director Alexander Dumas, oder Edgar Quinet für ei¬
nen Schauspieler nähme. Die deutschen Hofbühnen sind mit solchen Chefs stark gesegnet.
Und man will dann einen Aufschwung des Theaters! Die Stuttgarter Bühne kann sich
zu ihrem neuen Intendanten Glück wünschen, als solcher ist Baron Taubenheim ernannt
worden: ein Mann voll Kenntnisse, Geschmack und nobler Gesinnung. Es ist dieß der¬
selbe Baron Taubenheim, der im Laufe des vorigen Jahres, eine Reise nach Syrien (in
Begleitung des Schriftsteller Hacklanders und des Doctor Bopp) gemacht hat, und der
den Schiffbruch auf einem türkischen Dampfboote erlitt, dessen Beschreibung in der allge¬
meinen Zeitung, so vieles Aufsehen erregte. Bei dem Eifer, welchen das Stuttgarter
Theater in der Aufführung neuer Stücke, von jüngern Schriftstellern, an den Tag legt,
ist dieser Intendanzwechsel nicht nur für das Theater, sondern auch für die Literatur
wichtig.



Hand erhielten, leitet uns jedoch auf eine andere Spur. Einige Winke bringen uns
auf den Gedanken, daß zwei Verfasser die Hand (eine fürstliche?) im Spiele haben. Bei
näherer Betrachtung scheint dieses nicht unwahrscheinlich. Das fünfactige Trauerspiel
ist zur Hälfte in Versen, zur Hälfte in Prosa geschrieben. Wir haben das Manuscript
vor Augen gehabt und eine gewisse Doppelgängerei darin gefunden. Die meisten Sce¬
nen voll blitzender Gedanken, voll origineller, bis zur Genialität reichender Charakte¬
ristik, in den andern Scenen dagegen, Salonparfüm, Lustspielfirniß, Tutti-Frutti-
Witz. Die eine Scene ergreifend, pulstrend, keck bis zum Uebermaaße, in der andern
diplomatische Sammetpfötchen, leises Dahinschleichen, verschwimmend, effectlos. Der
Uebergang Christinens zur katholischen Kirche gehört namentlich zu der letzten Gattung.
Er ist so schwach angedeutet, daß er ohne Einfluß auf die Charakteristik bleibt, während
er doch wieder stark genug ist, um dem Stücke den Zugang zu den meisten Bühnen zu
versperren. So viel wir wissen, ist leider Stuttgart bisher die einzige Bühne, die es zur
Aufführung angenommen. Ehre der Stuttgarter Censur, die nicht kleinlich mäkelt; Ehre
der Bühnenleitung, die vor einer scheinbaren dramatischen Unmöglichkeit nicht zurück¬
schreckt. Man hat dieser, bei vielen Schwächen immerhin ausgezeichneten, höchst interes¬
santen Composition voreilig alle Bühnenwirkung abgesprochen. Wir sind vom Gegen¬
theile überzeugt. Es sind einige Scenen in dem Stücke, die verlöschen und effectlos ver¬
puffen werden, aber es ist des Schönen und Ergreifenden mehr als genug darin, um
eine gebildete Masse in Erregung zu bringen.



Gute Nachrichten aus Stuttgart.

Graf Leutrum, der bisherige Intendant des Theaters, hat seine Entlassung erhalten.
Man soll den Todten nichts Böses nachsagen, aber ein Exemplar, wie der Exintendant,
ist selten zu finden. Graf Leutrum ist derselbe Mann, der, als einst Immermann in
Stuttgart einige Tage verweilte, und Jemand ihm die Nachricht brachte, Immermann
sei da, darauf antwortete: Verhüten Sie, daß er mich besucht, ich kann ihn nicht auf¬
treten lassen, alle Gastspiele sind schon vergeben. Der edle Graf glaubte, Immermann
sei ein reisender Schauspieler. Es ist in Paris kein einziges Theater, auch nicht unter
den Boulevardstheatern, wo der Director Alexander Dumas, oder Edgar Quinet für ei¬
nen Schauspieler nähme. Die deutschen Hofbühnen sind mit solchen Chefs stark gesegnet.
Und man will dann einen Aufschwung des Theaters! Die Stuttgarter Bühne kann sich
zu ihrem neuen Intendanten Glück wünschen, als solcher ist Baron Taubenheim ernannt
worden: ein Mann voll Kenntnisse, Geschmack und nobler Gesinnung. Es ist dieß der¬
selbe Baron Taubenheim, der im Laufe des vorigen Jahres, eine Reise nach Syrien (in
Begleitung des Schriftsteller Hacklanders und des Doctor Bopp) gemacht hat, und der
den Schiffbruch auf einem türkischen Dampfboote erlitt, dessen Beschreibung in der allge¬
meinen Zeitung, so vieles Aufsehen erregte. Bei dem Eifer, welchen das Stuttgarter
Theater in der Aufführung neuer Stücke, von jüngern Schriftstellern, an den Tag legt,
ist dieser Intendanzwechsel nicht nur für das Theater, sondern auch für die Literatur
wichtig.



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[36/0044] Hand erhielten, leitet uns jedoch auf eine andere Spur. Einige Winke bringen uns auf den Gedanken, daß zwei Verfasser die Hand (eine fürstliche?) im Spiele haben. Bei näherer Betrachtung scheint dieses nicht unwahrscheinlich. Das fünfactige Trauerspiel ist zur Hälfte in Versen, zur Hälfte in Prosa geschrieben. Wir haben das Manuscript vor Augen gehabt und eine gewisse Doppelgängerei darin gefunden. Die meisten Sce¬ nen voll blitzender Gedanken, voll origineller, bis zur Genialität reichender Charakte¬ ristik, in den andern Scenen dagegen, Salonparfüm, Lustspielfirniß, Tutti-Frutti- Witz. Die eine Scene ergreifend, pulstrend, keck bis zum Uebermaaße, in der andern diplomatische Sammetpfötchen, leises Dahinschleichen, verschwimmend, effectlos. Der Uebergang Christinens zur katholischen Kirche gehört namentlich zu der letzten Gattung. Er ist so schwach angedeutet, daß er ohne Einfluß auf die Charakteristik bleibt, während er doch wieder stark genug ist, um dem Stücke den Zugang zu den meisten Bühnen zu versperren. So viel wir wissen, ist leider Stuttgart bisher die einzige Bühne, die es zur Aufführung angenommen. Ehre der Stuttgarter Censur, die nicht kleinlich mäkelt; Ehre der Bühnenleitung, die vor einer scheinbaren dramatischen Unmöglichkeit nicht zurück¬ schreckt. Man hat dieser, bei vielen Schwächen immerhin ausgezeichneten, höchst interes¬ santen Composition voreilig alle Bühnenwirkung abgesprochen. Wir sind vom Gegen¬ theile überzeugt. Es sind einige Scenen in dem Stücke, die verlöschen und effectlos ver¬ puffen werden, aber es ist des Schönen und Ergreifenden mehr als genug darin, um eine gebildete Masse in Erregung zu bringen. Gute Nachrichten aus Stuttgart. Graf Leutrum, der bisherige Intendant des Theaters, hat seine Entlassung erhalten. Man soll den Todten nichts Böses nachsagen, aber ein Exemplar, wie der Exintendant, ist selten zu finden. Graf Leutrum ist derselbe Mann, der, als einst Immermann in Stuttgart einige Tage verweilte, und Jemand ihm die Nachricht brachte, Immermann sei da, darauf antwortete: Verhüten Sie, daß er mich besucht, ich kann ihn nicht auf¬ treten lassen, alle Gastspiele sind schon vergeben. Der edle Graf glaubte, Immermann sei ein reisender Schauspieler. Es ist in Paris kein einziges Theater, auch nicht unter den Boulevardstheatern, wo der Director Alexander Dumas, oder Edgar Quinet für ei¬ nen Schauspieler nähme. Die deutschen Hofbühnen sind mit solchen Chefs stark gesegnet. Und man will dann einen Aufschwung des Theaters! Die Stuttgarter Bühne kann sich zu ihrem neuen Intendanten Glück wünschen, als solcher ist Baron Taubenheim ernannt worden: ein Mann voll Kenntnisse, Geschmack und nobler Gesinnung. Es ist dieß der¬ selbe Baron Taubenheim, der im Laufe des vorigen Jahres, eine Reise nach Syrien (in Begleitung des Schriftsteller Hacklanders und des Doctor Bopp) gemacht hat, und der den Schiffbruch auf einem türkischen Dampfboote erlitt, dessen Beschreibung in der allge¬ meinen Zeitung, so vieles Aufsehen erregte. Bei dem Eifer, welchen das Stuttgarter Theater in der Aufführung neuer Stücke, von jüngern Schriftstellern, an den Tag legt, ist dieser Intendanzwechsel nicht nur für das Theater, sondern auch für die Literatur wichtig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/44>, abgerufen am 24.11.2024.