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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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fertigkeit sah man Uebersetzungen des Freischützen an's Licht treten. Dies
war die erste Nachricht, die man in Europa von der Existenz einer deut¬
schen National-Oper bekam; denn Mozart galt beinahe für einen Italiener.
Als man gesehen hatte, wie Deutschland sich dem Reiz der italienischen
Melodieen und der französischen komischen Oper hingab, um den Partituren
von jenseits der Alpen und des Rheines einen augenblicklichen Vorzug vor
den einheimischen Musikprodukten einzuräumen, da war man voreilig genug,
hieraus zu folgern, daß die Dramaturgie überhaupt ein Gegenstand sei, der
in Deutschland nur äußerst selten bedeutende Resultate hervorgebracht habe
und es nie zu einem populären Erfolg bringen dürfte. Die Ursachen für
eine außerordentliche Fruchtbarkeit bestehen freilich dort nicht in eben dem
Maaße, wie in Frankreich oder gar in Italien. Die Deutschen, welche
alles ihrem analytischen Geiste unterwerfen wollen, und, um zu genießen,
des Raisonnements bedürfen, fordern vom Texte einer Oper, daß er irgend
ein Interesse darbiete; da nun die Verfasser der Operntexte aus den Erlös
der Vorstellung keinen Anspruch zu machen haben, so findet man natürlich
wenig Leute dazu geneigt, um ganz unnützerweise ein Talent zu vergeuden,
das ihnen anderwärts so vorteilhaft wuchert. Hat andererseits ein Musiker
sich dazu verstanden, seine Arbeit an einen Text zu wagen, welcher das
Probestück eines Neulings ist, oder Jemandes, der nichts dabei zu verlieren
hat, so bringt er fast immer einem von der Menge unschätzbaren Kunst¬
system ein Opfer. Ueberdieß darf man es fast allen deutschen Componisten
zum Vorwurf machen, daß sie ganz ohne Rücksicht auf die besondern Stim¬
men ihre Musik niederschreiben, und dadurch die Aussicht auf einen guten
Erfolg bedeutend einschränken. Erwägt man demnach alle Hindernisse, welche
der deutschen Oper auf ihrem vaterländischen Boden im Wege stehen, so
muß man über die Menge der Partituren erstaunen, welche jene Hinder¬
nisse besiegt haben. Es gibt deren in der That viele, die sehr geschätzt sind, und
solche, die sich auf den Repertorien aller deutschen Schaubühnen in Con-
currenz mit den Erzeugnissen der verschiedenen italienischen Schulen, und
zumal mit der französischen komischen Oper zu behaupten gewußt. Die
Deutschen vernachlässigen sie keineswegs, nur äußern sie für fremde Opern
jenes eifrige Streben, das von den Umständen herrührt, die sich in allen
Ländern zu Gunsten von Erzeugnissen eines ausländischen Bodens kundthun,
indem man zu befürchten scheint, man möchte sie nicht immer in seinem
Bereiche haben. -- Der Freischütz erregte den deutschen Kunstsinn von
neuem für ihre lyrische Nationalbühne, und bedeutete ganz Europa, wie
wir bereits gesagt, daß die dramatische Tonkunst in Mozart's Vaterland
nicht ausgestorben sei.

Herr Castil-Blase, der noch neulich mehre Rossinische Opern übersetzt

fertigkeit sah man Uebersetzungen des Freischützen an's Licht treten. Dies
war die erste Nachricht, die man in Europa von der Existenz einer deut¬
schen National-Oper bekam; denn Mozart galt beinahe für einen Italiener.
Als man gesehen hatte, wie Deutschland sich dem Reiz der italienischen
Melodieen und der französischen komischen Oper hingab, um den Partituren
von jenseits der Alpen und des Rheines einen augenblicklichen Vorzug vor
den einheimischen Musikprodukten einzuräumen, da war man voreilig genug,
hieraus zu folgern, daß die Dramaturgie überhaupt ein Gegenstand sei, der
in Deutschland nur äußerst selten bedeutende Resultate hervorgebracht habe
und es nie zu einem populären Erfolg bringen dürfte. Die Ursachen für
eine außerordentliche Fruchtbarkeit bestehen freilich dort nicht in eben dem
Maaße, wie in Frankreich oder gar in Italien. Die Deutschen, welche
alles ihrem analytischen Geiste unterwerfen wollen, und, um zu genießen,
des Raisonnements bedürfen, fordern vom Texte einer Oper, daß er irgend
ein Interesse darbiete; da nun die Verfasser der Operntexte aus den Erlös
der Vorstellung keinen Anspruch zu machen haben, so findet man natürlich
wenig Leute dazu geneigt, um ganz unnützerweise ein Talent zu vergeuden,
das ihnen anderwärts so vorteilhaft wuchert. Hat andererseits ein Musiker
sich dazu verstanden, seine Arbeit an einen Text zu wagen, welcher das
Probestück eines Neulings ist, oder Jemandes, der nichts dabei zu verlieren
hat, so bringt er fast immer einem von der Menge unschätzbaren Kunst¬
system ein Opfer. Ueberdieß darf man es fast allen deutschen Componisten
zum Vorwurf machen, daß sie ganz ohne Rücksicht auf die besondern Stim¬
men ihre Musik niederschreiben, und dadurch die Aussicht auf einen guten
Erfolg bedeutend einschränken. Erwägt man demnach alle Hindernisse, welche
der deutschen Oper auf ihrem vaterländischen Boden im Wege stehen, so
muß man über die Menge der Partituren erstaunen, welche jene Hinder¬
nisse besiegt haben. Es gibt deren in der That viele, die sehr geschätzt sind, und
solche, die sich auf den Repertorien aller deutschen Schaubühnen in Con-
currenz mit den Erzeugnissen der verschiedenen italienischen Schulen, und
zumal mit der französischen komischen Oper zu behaupten gewußt. Die
Deutschen vernachlässigen sie keineswegs, nur äußern sie für fremde Opern
jenes eifrige Streben, das von den Umständen herrührt, die sich in allen
Ländern zu Gunsten von Erzeugnissen eines ausländischen Bodens kundthun,
indem man zu befürchten scheint, man möchte sie nicht immer in seinem
Bereiche haben. — Der Freischütz erregte den deutschen Kunstsinn von
neuem für ihre lyrische Nationalbühne, und bedeutete ganz Europa, wie
wir bereits gesagt, daß die dramatische Tonkunst in Mozart's Vaterland
nicht ausgestorben sei.

Herr Castil-Blase, der noch neulich mehre Rossinische Opern übersetzt

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[301/0309] fertigkeit sah man Uebersetzungen des Freischützen an's Licht treten. Dies war die erste Nachricht, die man in Europa von der Existenz einer deut¬ schen National-Oper bekam; denn Mozart galt beinahe für einen Italiener. Als man gesehen hatte, wie Deutschland sich dem Reiz der italienischen Melodieen und der französischen komischen Oper hingab, um den Partituren von jenseits der Alpen und des Rheines einen augenblicklichen Vorzug vor den einheimischen Musikprodukten einzuräumen, da war man voreilig genug, hieraus zu folgern, daß die Dramaturgie überhaupt ein Gegenstand sei, der in Deutschland nur äußerst selten bedeutende Resultate hervorgebracht habe und es nie zu einem populären Erfolg bringen dürfte. Die Ursachen für eine außerordentliche Fruchtbarkeit bestehen freilich dort nicht in eben dem Maaße, wie in Frankreich oder gar in Italien. Die Deutschen, welche alles ihrem analytischen Geiste unterwerfen wollen, und, um zu genießen, des Raisonnements bedürfen, fordern vom Texte einer Oper, daß er irgend ein Interesse darbiete; da nun die Verfasser der Operntexte aus den Erlös der Vorstellung keinen Anspruch zu machen haben, so findet man natürlich wenig Leute dazu geneigt, um ganz unnützerweise ein Talent zu vergeuden, das ihnen anderwärts so vorteilhaft wuchert. Hat andererseits ein Musiker sich dazu verstanden, seine Arbeit an einen Text zu wagen, welcher das Probestück eines Neulings ist, oder Jemandes, der nichts dabei zu verlieren hat, so bringt er fast immer einem von der Menge unschätzbaren Kunst¬ system ein Opfer. Ueberdieß darf man es fast allen deutschen Componisten zum Vorwurf machen, daß sie ganz ohne Rücksicht auf die besondern Stim¬ men ihre Musik niederschreiben, und dadurch die Aussicht auf einen guten Erfolg bedeutend einschränken. Erwägt man demnach alle Hindernisse, welche der deutschen Oper auf ihrem vaterländischen Boden im Wege stehen, so muß man über die Menge der Partituren erstaunen, welche jene Hinder¬ nisse besiegt haben. Es gibt deren in der That viele, die sehr geschätzt sind, und solche, die sich auf den Repertorien aller deutschen Schaubühnen in Con- currenz mit den Erzeugnissen der verschiedenen italienischen Schulen, und zumal mit der französischen komischen Oper zu behaupten gewußt. Die Deutschen vernachlässigen sie keineswegs, nur äußern sie für fremde Opern jenes eifrige Streben, das von den Umständen herrührt, die sich in allen Ländern zu Gunsten von Erzeugnissen eines ausländischen Bodens kundthun, indem man zu befürchten scheint, man möchte sie nicht immer in seinem Bereiche haben. — Der Freischütz erregte den deutschen Kunstsinn von neuem für ihre lyrische Nationalbühne, und bedeutete ganz Europa, wie wir bereits gesagt, daß die dramatische Tonkunst in Mozart's Vaterland nicht ausgestorben sei. Herr Castil-Blase, der noch neulich mehre Rossinische Opern übersetzt

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Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-19T17:23:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/309>, abgerufen am 27.11.2024.