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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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großmüthig geleistet, nimmer vergessen und im Falle eines ungerechten An¬
griffs könnte es des Beistands der Belgier in ordentlichem, völkerrechtlichem
Kriege gesichert sein. Aber es wird noch lange dauern, ehe es selbst den
ihm am günstigsten gestimmten Völkern diese Zuversicht gewähren wird. Dieß
ist der Fall nicht, ich wiederhole es, den wir unterstellen dürfen bei der
zweifelhaften Lage, in der Frankreich sich noch immer befindet. Uebrigens
ist die Frage ob in der politischen Praxis die Dankbarkeit einen Grund ab¬
geben kann. Regierungen hassen Niemanden und lieben nur ihren Vortheil
und ohne immerhin lobenswerthe Gefühle verletzen zu wollen, frage ich nur:
Gesetzt, wir verdankten wirklich nur Frankreich unsere Unabhängigkeit, hat
es uns etwa aus bloßem Wohlwollen in Schutz genommen, vertheidigt, sogar
constituirt? Die friedliche Politik des seligen Friedrich Wilhelm III. von
Preußen hat ebenfalls zur friedlichen Lösung der belgischen Kriege mächtig
beigetragen. Wenn Frankreich seinerseits seit 1830 ebenfalls Vieles für
unsere Nationalität gethan hat, so geschah es offenbar, weil es nicht gewagt
hat hat, uns ganz hinwegzunehmen. Es versöhnte sich mit den Verträgen von
1815. Man hatte damals zur Abwehr gegen es ein Königreich mit vielen
Festungen errichtet, und da es nicht mehr thun durfte, so hat es die Ge¬
legenheit zur Zerstückelung dieses Königreichs ergriffen, und wollte die
Schranke umstürzen, durch welche es allzufest vom Rheine abgesperrt war,
und zum Mindesten an deren Stelle einen befreundeten Staat errichten. In
denselben Absichten vereitelte es 1831 das Eindringen der Holländer; die
Einnahme der Citadelle von Antwerpen sollte dazu dienen, Europa zu zeigen,
wie stark und mächtig man sei. Ueberall war eigenes Interesse sein An¬
trieb. Darin wollen wir Frankreich nachahmen, und besonders da, wo es
sich um das Heil des Vaterlandes handelt, darf blos das Interesse des
Vaterlandes unsere einzige Richtschnur sein. Wir hegen einige bescheidene Zweifel
an dem Wohlwollen eines Landes, das so hartnäckig die Abschließung eines
Handelsvertrags weigert, der weitere und leichtere Abzugscanäle für die
Producte beider Völker öffnen würde.*)

Es erhebt sich ein anderer Einwand und ich weiß wohl wie gewichtig
er ist. Sind wir unserer Unabhängigkeit sicherer, wenn wir uns den ver¬
bündeten Mächten anschließen, die das Königreich der Niederlande als eine
Barriere gegen Frankreich errichtet haben, und die die Zerstörung dieses

*) Was der Verfasser weiter hinzufügt, paßt nicht ganz auf die inzwischen einge-
tretenen Conjuncturen. In einer Anmerkung spricht er die Ansicht aus, daß, wenn
einmal von einer Douanenvereinigung die Rede sein soll, der Anschluß an den
deutschen Zollverein dem an Frankreich weit vorzuziehen wäre. A. d. R.
31 *

großmüthig geleistet, nimmer vergessen und im Falle eines ungerechten An¬
griffs könnte es des Beistands der Belgier in ordentlichem, völkerrechtlichem
Kriege gesichert sein. Aber es wird noch lange dauern, ehe es selbst den
ihm am günstigsten gestimmten Völkern diese Zuversicht gewähren wird. Dieß
ist der Fall nicht, ich wiederhole es, den wir unterstellen dürfen bei der
zweifelhaften Lage, in der Frankreich sich noch immer befindet. Uebrigens
ist die Frage ob in der politischen Praxis die Dankbarkeit einen Grund ab¬
geben kann. Regierungen hassen Niemanden und lieben nur ihren Vortheil
und ohne immerhin lobenswerthe Gefühle verletzen zu wollen, frage ich nur:
Gesetzt, wir verdankten wirklich nur Frankreich unsere Unabhängigkeit, hat
es uns etwa aus bloßem Wohlwollen in Schutz genommen, vertheidigt, sogar
constituirt? Die friedliche Politik des seligen Friedrich Wilhelm III. von
Preußen hat ebenfalls zur friedlichen Lösung der belgischen Kriege mächtig
beigetragen. Wenn Frankreich seinerseits seit 1830 ebenfalls Vieles für
unsere Nationalität gethan hat, so geschah es offenbar, weil es nicht gewagt
hat hat, uns ganz hinwegzunehmen. Es versöhnte sich mit den Verträgen von
1815. Man hatte damals zur Abwehr gegen es ein Königreich mit vielen
Festungen errichtet, und da es nicht mehr thun durfte, so hat es die Ge¬
legenheit zur Zerstückelung dieses Königreichs ergriffen, und wollte die
Schranke umstürzen, durch welche es allzufest vom Rheine abgesperrt war,
und zum Mindesten an deren Stelle einen befreundeten Staat errichten. In
denselben Absichten vereitelte es 1831 das Eindringen der Holländer; die
Einnahme der Citadelle von Antwerpen sollte dazu dienen, Europa zu zeigen,
wie stark und mächtig man sei. Ueberall war eigenes Interesse sein An¬
trieb. Darin wollen wir Frankreich nachahmen, und besonders da, wo es
sich um das Heil des Vaterlandes handelt, darf blos das Interesse des
Vaterlandes unsere einzige Richtschnur sein. Wir hegen einige bescheidene Zweifel
an dem Wohlwollen eines Landes, das so hartnäckig die Abschließung eines
Handelsvertrags weigert, der weitere und leichtere Abzugscanäle für die
Producte beider Völker öffnen würde.*)

Es erhebt sich ein anderer Einwand und ich weiß wohl wie gewichtig
er ist. Sind wir unserer Unabhängigkeit sicherer, wenn wir uns den ver¬
bündeten Mächten anschließen, die das Königreich der Niederlande als eine
Barriere gegen Frankreich errichtet haben, und die die Zerstörung dieses

*) Was der Verfasser weiter hinzufügt, paßt nicht ganz auf die inzwischen einge-
tretenen Conjuncturen. In einer Anmerkung spricht er die Ansicht aus, daß, wenn
einmal von einer Douanenvereinigung die Rede sein soll, der Anschluß an den
deutschen Zollverein dem an Frankreich weit vorzuziehen wäre. A. d. R.
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[235/0243] großmüthig geleistet, nimmer vergessen und im Falle eines ungerechten An¬ griffs könnte es des Beistands der Belgier in ordentlichem, völkerrechtlichem Kriege gesichert sein. Aber es wird noch lange dauern, ehe es selbst den ihm am günstigsten gestimmten Völkern diese Zuversicht gewähren wird. Dieß ist der Fall nicht, ich wiederhole es, den wir unterstellen dürfen bei der zweifelhaften Lage, in der Frankreich sich noch immer befindet. Uebrigens ist die Frage ob in der politischen Praxis die Dankbarkeit einen Grund ab¬ geben kann. Regierungen hassen Niemanden und lieben nur ihren Vortheil und ohne immerhin lobenswerthe Gefühle verletzen zu wollen, frage ich nur: Gesetzt, wir verdankten wirklich nur Frankreich unsere Unabhängigkeit, hat es uns etwa aus bloßem Wohlwollen in Schutz genommen, vertheidigt, sogar constituirt? Die friedliche Politik des seligen Friedrich Wilhelm III. von Preußen hat ebenfalls zur friedlichen Lösung der belgischen Kriege mächtig beigetragen. Wenn Frankreich seinerseits seit 1830 ebenfalls Vieles für unsere Nationalität gethan hat, so geschah es offenbar, weil es nicht gewagt hat hat, uns ganz hinwegzunehmen. Es versöhnte sich mit den Verträgen von 1815. Man hatte damals zur Abwehr gegen es ein Königreich mit vielen Festungen errichtet, und da es nicht mehr thun durfte, so hat es die Ge¬ legenheit zur Zerstückelung dieses Königreichs ergriffen, und wollte die Schranke umstürzen, durch welche es allzufest vom Rheine abgesperrt war, und zum Mindesten an deren Stelle einen befreundeten Staat errichten. In denselben Absichten vereitelte es 1831 das Eindringen der Holländer; die Einnahme der Citadelle von Antwerpen sollte dazu dienen, Europa zu zeigen, wie stark und mächtig man sei. Ueberall war eigenes Interesse sein An¬ trieb. Darin wollen wir Frankreich nachahmen, und besonders da, wo es sich um das Heil des Vaterlandes handelt, darf blos das Interesse des Vaterlandes unsere einzige Richtschnur sein. Wir hegen einige bescheidene Zweifel an dem Wohlwollen eines Landes, das so hartnäckig die Abschließung eines Handelsvertrags weigert, der weitere und leichtere Abzugscanäle für die Producte beider Völker öffnen würde. *) Es erhebt sich ein anderer Einwand und ich weiß wohl wie gewichtig er ist. Sind wir unserer Unabhängigkeit sicherer, wenn wir uns den ver¬ bündeten Mächten anschließen, die das Königreich der Niederlande als eine Barriere gegen Frankreich errichtet haben, und die die Zerstörung dieses *) Was der Verfasser weiter hinzufügt, paßt nicht ganz auf die inzwischen einge- tretenen Conjuncturen. In einer Anmerkung spricht er die Ansicht aus, daß, wenn einmal von einer Douanenvereinigung die Rede sein soll, der Anschluß an den deutschen Zollverein dem an Frankreich weit vorzuziehen wäre. A. d. R. 31 *

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Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-19T17:23:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Signatur Per 61 k-1). (2013-11-19T17:23:38Z)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/243>, abgerufen am 24.11.2024.