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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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man einen europäischen Krieg befürchtete, geschrieben worden ist. Aber der
Verfasser ist Wallone und wir wollen zeigen, daß auch dieser Stamm so
wenig wie der Flamändische gemeint ist, dem französischen Gelüsten das
Wort zu reden. Wir bemerken, daß wir, um nicht den abgeschmackten
Vorwurf der sogenannten Franzosenfresserei uns von denen zuzuziehen, die
für vom Auslande erlittene Unbilden kein Herz haben, die heftigsten anti-
französischen Stellen in den folgenden Auszügen absichtlich weggelassen
haben. Die Grundidee des Büchleins ist sehr richtig die, daß die einem
Lande wie Belgien garantirte Neutralität ein hohles Wort ist, wodurch es
im Falle des Krieges, von keiner Seite her geschützt, und welches kein Hin¬
derniß sein wird dagegen, daß es dem Ersten, der darnach Gelüste spürt,
eine Beute sein wird. Der Verfasser schließt daraus, daß es sich nach ei¬
nem Verbündeten umsehen müsse.

Bei Untersuchung der Frage, ob Frankreich ein uneigennütziger Alliirter
sein kann, heißt es:

"Es darf von Niemandem bezweifelt werden, und hier liegt der Hauptpunkt
der Untersuchung, daß die Ansicht im Kopf und Herzen aller Franzosen fest
wurzelt, daß der Rhein die natürliche und nothwendige Grenze Frankreichs
sein müsse, daß die Verträge von 1815, wodurch es diese Grenze verloren
ungerecht und schimpflich waren, daß es jede Gelegenheit beim Schopf er¬
greifen und herbei führen müsse, um diese verhaßten Verträge zu brechen.
Die Idee der Rheingrenze ist keine bloße Journalansicht, kein haltloser
Modegedanke, wie sie bei unsern südlichen Nachbarn so häufig sind, sondern
eine ernste, feste, allgemeine, täglich von französischen Publicisten anerkannte
Meinung, die sich immer kräftigen wird bei dem großen Einfluße und der
großen Macht, welche Frankreich durch diese Grenze erlangen würde. Siegen
also die Franzosen im Falle eines europäischen Krieges, so wird sie nichts
hindern, den Rhein zur Grenze zu machen. Umsonst würden ihre gemäßigten
Staatsmänner sich dem widersetzen. . . . Belgien würde also mit sich selbst im
Widerspruch sein, wenn es auf der einen Seite unabhängig bleiben und auf
der andern sich mit einer Nation verbinden wollte, durch welche seine Un-
abhängkeit täglich bedroht ist. Man wendet mir gewiß ein: das, was Sie
vorschlagen, wäre von Belgien sehr undankbar gehandelt. Es verdankt seine
Existenz Frankreich und heute soll es feindlich gegen dasselbe auftreten, als
Dank für die uns am Tage der Gefahr wohlwollend geleistete Hülfe, sollen
wir es bekriegen und mit seinen Feinden in Bündniß treten?

Diese Gründe wären von großem Gewichte, handelte es sich von Frank¬
reich in semein normalen Zustande, wo es fest hergestellt ist auf der Grund¬
lage der Ordnung und des Friedens, und frei und redlich jedem Eroberungs¬
gedanken entsagt. Diesem Frankreich dürfen wir die Dienste, die es uns

man einen europäischen Krieg befürchtete, geschrieben worden ist. Aber der
Verfasser ist Wallone und wir wollen zeigen, daß auch dieser Stamm so
wenig wie der Flamändische gemeint ist, dem französischen Gelüsten das
Wort zu reden. Wir bemerken, daß wir, um nicht den abgeschmackten
Vorwurf der sogenannten Franzosenfresserei uns von denen zuzuziehen, die
für vom Auslande erlittene Unbilden kein Herz haben, die heftigsten anti-
französischen Stellen in den folgenden Auszügen absichtlich weggelassen
haben. Die Grundidee des Büchleins ist sehr richtig die, daß die einem
Lande wie Belgien garantirte Neutralität ein hohles Wort ist, wodurch es
im Falle des Krieges, von keiner Seite her geschützt, und welches kein Hin¬
derniß sein wird dagegen, daß es dem Ersten, der darnach Gelüste spürt,
eine Beute sein wird. Der Verfasser schließt daraus, daß es sich nach ei¬
nem Verbündeten umsehen müsse.

Bei Untersuchung der Frage, ob Frankreich ein uneigennütziger Alliirter
sein kann, heißt es:

„Es darf von Niemandem bezweifelt werden, und hier liegt der Hauptpunkt
der Untersuchung, daß die Ansicht im Kopf und Herzen aller Franzosen fest
wurzelt, daß der Rhein die natürliche und nothwendige Grenze Frankreichs
sein müsse, daß die Verträge von 1815, wodurch es diese Grenze verloren
ungerecht und schimpflich waren, daß es jede Gelegenheit beim Schopf er¬
greifen und herbei führen müsse, um diese verhaßten Verträge zu brechen.
Die Idee der Rheingrenze ist keine bloße Journalansicht, kein haltloser
Modegedanke, wie sie bei unsern südlichen Nachbarn so häufig sind, sondern
eine ernste, feste, allgemeine, täglich von französischen Publicisten anerkannte
Meinung, die sich immer kräftigen wird bei dem großen Einfluße und der
großen Macht, welche Frankreich durch diese Grenze erlangen würde. Siegen
also die Franzosen im Falle eines europäischen Krieges, so wird sie nichts
hindern, den Rhein zur Grenze zu machen. Umsonst würden ihre gemäßigten
Staatsmänner sich dem widersetzen. . . . Belgien würde also mit sich selbst im
Widerspruch sein, wenn es auf der einen Seite unabhängig bleiben und auf
der andern sich mit einer Nation verbinden wollte, durch welche seine Un-
abhängkeit täglich bedroht ist. Man wendet mir gewiß ein: das, was Sie
vorschlagen, wäre von Belgien sehr undankbar gehandelt. Es verdankt seine
Existenz Frankreich und heute soll es feindlich gegen dasselbe auftreten, als
Dank für die uns am Tage der Gefahr wohlwollend geleistete Hülfe, sollen
wir es bekriegen und mit seinen Feinden in Bündniß treten?

Diese Gründe wären von großem Gewichte, handelte es sich von Frank¬
reich in semein normalen Zustande, wo es fest hergestellt ist auf der Grund¬
lage der Ordnung und des Friedens, und frei und redlich jedem Eroberungs¬
gedanken entsagt. Diesem Frankreich dürfen wir die Dienste, die es uns

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[234/0242] man einen europäischen Krieg befürchtete, geschrieben worden ist. Aber der Verfasser ist Wallone und wir wollen zeigen, daß auch dieser Stamm so wenig wie der Flamändische gemeint ist, dem französischen Gelüsten das Wort zu reden. Wir bemerken, daß wir, um nicht den abgeschmackten Vorwurf der sogenannten Franzosenfresserei uns von denen zuzuziehen, die für vom Auslande erlittene Unbilden kein Herz haben, die heftigsten anti- französischen Stellen in den folgenden Auszügen absichtlich weggelassen haben. Die Grundidee des Büchleins ist sehr richtig die, daß die einem Lande wie Belgien garantirte Neutralität ein hohles Wort ist, wodurch es im Falle des Krieges, von keiner Seite her geschützt, und welches kein Hin¬ derniß sein wird dagegen, daß es dem Ersten, der darnach Gelüste spürt, eine Beute sein wird. Der Verfasser schließt daraus, daß es sich nach ei¬ nem Verbündeten umsehen müsse. Bei Untersuchung der Frage, ob Frankreich ein uneigennütziger Alliirter sein kann, heißt es: „Es darf von Niemandem bezweifelt werden, und hier liegt der Hauptpunkt der Untersuchung, daß die Ansicht im Kopf und Herzen aller Franzosen fest wurzelt, daß der Rhein die natürliche und nothwendige Grenze Frankreichs sein müsse, daß die Verträge von 1815, wodurch es diese Grenze verloren ungerecht und schimpflich waren, daß es jede Gelegenheit beim Schopf er¬ greifen und herbei führen müsse, um diese verhaßten Verträge zu brechen. Die Idee der Rheingrenze ist keine bloße Journalansicht, kein haltloser Modegedanke, wie sie bei unsern südlichen Nachbarn so häufig sind, sondern eine ernste, feste, allgemeine, täglich von französischen Publicisten anerkannte Meinung, die sich immer kräftigen wird bei dem großen Einfluße und der großen Macht, welche Frankreich durch diese Grenze erlangen würde. Siegen also die Franzosen im Falle eines europäischen Krieges, so wird sie nichts hindern, den Rhein zur Grenze zu machen. Umsonst würden ihre gemäßigten Staatsmänner sich dem widersetzen. . . . Belgien würde also mit sich selbst im Widerspruch sein, wenn es auf der einen Seite unabhängig bleiben und auf der andern sich mit einer Nation verbinden wollte, durch welche seine Un- abhängkeit täglich bedroht ist. Man wendet mir gewiß ein: das, was Sie vorschlagen, wäre von Belgien sehr undankbar gehandelt. Es verdankt seine Existenz Frankreich und heute soll es feindlich gegen dasselbe auftreten, als Dank für die uns am Tage der Gefahr wohlwollend geleistete Hülfe, sollen wir es bekriegen und mit seinen Feinden in Bündniß treten? Diese Gründe wären von großem Gewichte, handelte es sich von Frank¬ reich in semein normalen Zustande, wo es fest hergestellt ist auf der Grund¬ lage der Ordnung und des Friedens, und frei und redlich jedem Eroberungs¬ gedanken entsagt. Diesem Frankreich dürfen wir die Dienste, die es uns

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/242>, abgerufen am 22.11.2024.