sah Dantan eine Quelle von Ruhm und Glück vor sich in einem Genre, worin er sich noch immer nicht entschließen konnte, etwas anderes zu sehen als Scherze und lustigen Zeitvertreib.
Zur Zeit, wo ich Dantans Atelier besuchte, hatte er etwa zweihundert Chargen vollendet, die er fast alle aus dem Gedächtniß ausgeführt, und wozu er die Züge der ausgezeichnetsten Männer in Kunst und Wissenschaft benutzt hatte. Ihr Anblick war es, der mich beim Eintritt in das Atelier, wo sie ohne Ordnung angehäuft, und in der extravagantesten Reihenfolge dastan¬ den, so sonderbar überrascht hatte. Hier findet man das ganze neunzehnte Jahrhundert. Mein Cicerone, der als Hausfreund die Honneurs machte, führte mich umher, während Dantan an einem ernsten Werke, der Büste der Herzogin von Begliojoso, aus dem feinsten carrarischen Marmor ar¬ beitete.
Die erste Charge, die mir gezeigt wurde, hatte zugleich künstlerisches und epigrammatisches Verdienst, es war dieß Dantan selbst. Eine magere, ausgedörrte, langhalsige Figur, ganz ohne Barmherzigkeit mit Runzeln versehen, mit matten und scheuen Augen, die Physiognomie eines alten. Wei¬ bes, das beim Anhören eines ihr gemachten Compliments gerne lächeln möchte, und statt dessen widrig grinst, -- das war Dantan in beleidigen¬ der Aehnlichkeit. Auf dem Piedestal sah man als Epigraph einen unge¬ heuren Zahn, und nebendran die Zeit mit Sichel und Sanduhr. Das heißt offenbar Dent -- temps -- richtig geschrieben Dantan. Gewiß, er hat sich ohne Einschränkung preisgegeben, und die Leute, deren Züge seinem unbarmherzigen Meißel als Modell dienen, dürfen sich nicht beklagen, denn er selbst hat sich auf dem Altare geopfert, dessen hoher Priester er ist.
Dieses große Carricaturistentalent ist eine Art von Pessimismus des Sehvermögens, wodurch sich dem Künstler alle Unförmlichsten und alles Linkische im Gesicht und in der Haltung der Personen offenbart. Uebri- gens im gewöhnlichen Gespräch ist Dantan zurückhaltend und still, und hält als Gesellschafter nicht, was er als Künstler verspricht. Sein Werkzeug in der Hand, ist er außerordentlich geistvoll. Wie ungewöhnlich geschickt er es versteht, alle körperlichen Unförmlichkeiten zu entdecken, die er bei der Parodirung eines Menschen anschaulich machen will, er ist nicht minder geschickt, nicht minder durchdringenden Blickes, wenn er sich der morali¬ schen Idee bemächtigen will, die er darstellen und beim Anblick seines sa- tyrisirten Schlachtopfers erwecken will. Er versteht es eben so häufig durch Gedanken den Verstand seiner Umgebung, als durch Formen die Blicke des Publikums zu beschäftigen. Ich will einige Beispiele anführen.
Es kann zuvörderst nicht bestritten werden, daß, mit einigen Ausnah¬ men , alle Personen, die sich Dantan zum Vorwurf seiner satyrischen Schöp-
sah Dantan eine Quelle von Ruhm und Glück vor sich in einem Genre, worin er sich noch immer nicht entschließen konnte, etwas anderes zu sehen als Scherze und lustigen Zeitvertreib.
Zur Zeit, wo ich Dantans Atelier besuchte, hatte er etwa zweihundert Chargen vollendet, die er fast alle aus dem Gedächtniß ausgeführt, und wozu er die Züge der ausgezeichnetsten Männer in Kunst und Wissenschaft benutzt hatte. Ihr Anblick war es, der mich beim Eintritt in das Atelier, wo sie ohne Ordnung angehäuft, und in der extravagantesten Reihenfolge dastan¬ den, so sonderbar überrascht hatte. Hier findet man das ganze neunzehnte Jahrhundert. Mein Cicerone, der als Hausfreund die Honneurs machte, führte mich umher, während Dantan an einem ernsten Werke, der Büste der Herzogin von Begliojoso, aus dem feinsten carrarischen Marmor ar¬ beitete.
Die erste Charge, die mir gezeigt wurde, hatte zugleich künstlerisches und epigrammatisches Verdienst, es war dieß Dantan selbst. Eine magere, ausgedörrte, langhalsige Figur, ganz ohne Barmherzigkeit mit Runzeln versehen, mit matten und scheuen Augen, die Physiognomie eines alten. Wei¬ bes, das beim Anhören eines ihr gemachten Compliments gerne lächeln möchte, und statt dessen widrig grinst, — das war Dantan in beleidigen¬ der Aehnlichkeit. Auf dem Piedestal sah man als Epigraph einen unge¬ heuren Zahn, und nebendran die Zeit mit Sichel und Sanduhr. Das heißt offenbar Dent — temps — richtig geschrieben Dantan. Gewiß, er hat sich ohne Einschränkung preisgegeben, und die Leute, deren Züge seinem unbarmherzigen Meißel als Modell dienen, dürfen sich nicht beklagen, denn er selbst hat sich auf dem Altare geopfert, dessen hoher Priester er ist.
Dieses große Carricaturistentalent ist eine Art von Pessimismus des Sehvermögens, wodurch sich dem Künstler alle Unförmlichsten und alles Linkische im Gesicht und in der Haltung der Personen offenbart. Uebri- gens im gewöhnlichen Gespräch ist Dantan zurückhaltend und still, und hält als Gesellschafter nicht, was er als Künstler verspricht. Sein Werkzeug in der Hand, ist er außerordentlich geistvoll. Wie ungewöhnlich geschickt er es versteht, alle körperlichen Unförmlichkeiten zu entdecken, die er bei der Parodirung eines Menschen anschaulich machen will, er ist nicht minder geschickt, nicht minder durchdringenden Blickes, wenn er sich der morali¬ schen Idee bemächtigen will, die er darstellen und beim Anblick seines sa- tyrisirten Schlachtopfers erwecken will. Er versteht es eben so häufig durch Gedanken den Verstand seiner Umgebung, als durch Formen die Blicke des Publikums zu beschäftigen. Ich will einige Beispiele anführen.
Es kann zuvörderst nicht bestritten werden, daß, mit einigen Ausnah¬ men , alle Personen, die sich Dantan zum Vorwurf seiner satyrischen Schöp-
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sah Dantan eine Quelle von Ruhm und Glück vor sich in einem Genre,
worin er sich noch immer nicht entschließen konnte, etwas anderes zu sehen
als Scherze und lustigen Zeitvertreib.
Zur Zeit, wo ich Dantans Atelier besuchte, hatte er etwa zweihundert
Chargen vollendet, die er fast alle aus dem Gedächtniß ausgeführt, und wozu
er die Züge der ausgezeichnetsten Männer in Kunst und Wissenschaft benutzt
hatte. Ihr Anblick war es, der mich beim Eintritt in das Atelier, wo sie
ohne Ordnung angehäuft, und in der extravagantesten Reihenfolge dastan¬
den, so sonderbar überrascht hatte. Hier findet man das ganze neunzehnte
Jahrhundert. Mein Cicerone, der als Hausfreund die Honneurs machte,
führte mich umher, während Dantan an einem ernsten Werke, der Büste
der Herzogin von Begliojoso, aus dem feinsten carrarischen Marmor ar¬
beitete.
Die erste Charge, die mir gezeigt wurde, hatte zugleich künstlerisches
und epigrammatisches Verdienst, es war dieß Dantan selbst. Eine magere,
ausgedörrte, langhalsige Figur, ganz ohne Barmherzigkeit mit Runzeln
versehen, mit matten und scheuen Augen, die Physiognomie eines alten. Wei¬
bes, das beim Anhören eines ihr gemachten Compliments gerne lächeln
möchte, und statt dessen widrig grinst, — das war Dantan in beleidigen¬
der Aehnlichkeit. Auf dem Piedestal sah man als Epigraph einen unge¬
heuren Zahn, und nebendran die Zeit mit Sichel und Sanduhr. Das heißt
offenbar Dent — temps — richtig geschrieben Dantan. Gewiß, er hat
sich ohne Einschränkung preisgegeben, und die Leute, deren Züge seinem
unbarmherzigen Meißel als Modell dienen, dürfen sich nicht beklagen, denn
er selbst hat sich auf dem Altare geopfert, dessen hoher Priester er ist.
Dieses große Carricaturistentalent ist eine Art von Pessimismus des
Sehvermögens, wodurch sich dem Künstler alle Unförmlichsten und alles
Linkische im Gesicht und in der Haltung der Personen offenbart. Uebri-
gens im gewöhnlichen Gespräch ist Dantan zurückhaltend und still, und hält
als Gesellschafter nicht, was er als Künstler verspricht. Sein Werkzeug
in der Hand, ist er außerordentlich geistvoll. Wie ungewöhnlich geschickt
er es versteht, alle körperlichen Unförmlichkeiten zu entdecken, die er bei der
Parodirung eines Menschen anschaulich machen will, er ist nicht minder
geschickt, nicht minder durchdringenden Blickes, wenn er sich der morali¬
schen Idee bemächtigen will, die er darstellen und beim Anblick seines sa-
tyrisirten Schlachtopfers erwecken will. Er versteht es eben so häufig durch
Gedanken den Verstand seiner Umgebung, als durch Formen die Blicke des
Publikums zu beschäftigen. Ich will einige Beispiele anführen.
Es kann zuvörderst nicht bestritten werden, daß, mit einigen Ausnah¬
men , alle Personen, die sich Dantan zum Vorwurf seiner satyrischen Schöp-
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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/236>, abgerufen am 23.07.2024.
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