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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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Schulstaub gekrochen, und haben einen so freien, tüchtigen Geist behalten.
Er ist ein Mann des Wortes und der That, wie die göttinger Studenten
im Jahre 1837 ihn und Dahlmann nannten. Aber eben diese Gesinnungs-
tüchtigkeit, die überall Prinzipien und Tendenzen sucht, macht ihn unbillig
gegen die lyrische Unmittelbarkeit, gegen poetische Empfindungslaute. Wenn
er mit den oben citirten Worten die Jugend von Poesie und Gefühlsleben
abziehen und auf Politik verweisen will, so können wir in der ganzen Hei߬
sporn-Tirade nur eine verpuffende Rakete erkennen. Ihm schließt sich ein
ebenso trefflicher Mann, Arnold Ruge, an, wenn er bei Beurtheilung des
Rheinlieds von Prutz sagt: nichts sei poetisch, als die Freiheit; -- ein
Lob, das die Freiheit ebenso wenig verdient, als sie darauf Anspruch macht.

Wie im Drama bis auf unsere Tage das mittelmäßige, praktische
Talent die Bretter besetzt hielt, und das tiefere poetische Gemüth einsam
blieb, so war es bis zur Julirevolution mit unserer Lyrik. Man betrachte
die Anthologieen und Almanache aus den zwanziger Jahren; da dominiren die
glücklichen, leichten und oberflächlichen Talente eines Langbein und Ca-
stelli
, der romantische Anflug eines Kind, die Wehmuth des Matthison.
-- Rückert hatte sich in orientalische Studien begraben, Chamisso schlief,
Uhland verhallte, Wilhelm Müller's Waldhornlieder waren wenig
bekannt, Platen erregte nur durch seine Komödienpolemik größeres Auf¬
sehen, seine herrlichen Gedichte drangen nicht sehr über den engen Kreis phi¬
lologischer Anerkennung hinaus. Die politische Tendenz ist es, die unsere
Lyrik in das Volk eingeführt hat, sie ist es, welche die oben angeführten
Aussprüche von Gervinus und Ruge einigermaßen rechtfertigt. In der so¬
genannten Restaurationsperiode kommen in dieser Beziehung blos Müllers
Griechenlieder zu größerer Bedeutung; sonst galt sogar Theodor Körner
in jener Zeit mehr durch das, was er mit der Abendzeitung, mit Fr. Kind,
mit dem Freischützen gemein hatte, als durch "Leier und Schwert". Daß einige
der eben genannten oberflächlichen Talente allerdings auf die öffentliche Theil¬
nahme Anspruch machen konnten, soll nicht geläugnet werden. So hat Lang¬
bein, unter vielem Wust, eine Anzahl guter Gedichte geliefert, worin er nie
die Sprache verrenkt, nie versäumt hat, schöne und ansprechende Gedanken
auszudrücken. Auch producirten diese praktischen Köpfe sehr viel; sie begeg¬
neten dem Publikum in jedem Taschenbuch, und erinnern nicht blos in dieser
Hinsicht an mehrere talentvolle Wiener Polygraphen, die ebenfalls einiges
Balladen- und Novellenfutter für jeden Almanach in Bereitschaft haben, wie
Joh. Nep. Vogel, G. Seidel u. s. w.

Der Liederfrühling, der seit 1830 in Deutschland aufging, ist von
allen Seiten schon besprochen. Die lyrischen Dichter sind vor allen andern
dadurch glücklich, daß sie schon bei Lebzeiten auf ein Ruhmespostament ge¬

Schulstaub gekrochen, und haben einen so freien, tüchtigen Geist behalten.
Er ist ein Mann des Wortes und der That, wie die göttinger Studenten
im Jahre 1837 ihn und Dahlmann nannten. Aber eben diese Gesinnungs-
tüchtigkeit, die überall Prinzipien und Tendenzen sucht, macht ihn unbillig
gegen die lyrische Unmittelbarkeit, gegen poetische Empfindungslaute. Wenn
er mit den oben citirten Worten die Jugend von Poesie und Gefühlsleben
abziehen und auf Politik verweisen will, so können wir in der ganzen Hei߬
sporn-Tirade nur eine verpuffende Rakete erkennen. Ihm schließt sich ein
ebenso trefflicher Mann, Arnold Ruge, an, wenn er bei Beurtheilung des
Rheinlieds von Prutz sagt: nichts sei poetisch, als die Freiheit; — ein
Lob, das die Freiheit ebenso wenig verdient, als sie darauf Anspruch macht.

Wie im Drama bis auf unsere Tage das mittelmäßige, praktische
Talent die Bretter besetzt hielt, und das tiefere poetische Gemüth einsam
blieb, so war es bis zur Julirevolution mit unserer Lyrik. Man betrachte
die Anthologieen und Almanache aus den zwanziger Jahren; da dominiren die
glücklichen, leichten und oberflächlichen Talente eines Langbein und Ca-
stelli
, der romantische Anflug eines Kind, die Wehmuth des Matthison.
Rückert hatte sich in orientalische Studien begraben, Chamisso schlief,
Uhland verhallte, Wilhelm Müller's Waldhornlieder waren wenig
bekannt, Platen erregte nur durch seine Komödienpolemik größeres Auf¬
sehen, seine herrlichen Gedichte drangen nicht sehr über den engen Kreis phi¬
lologischer Anerkennung hinaus. Die politische Tendenz ist es, die unsere
Lyrik in das Volk eingeführt hat, sie ist es, welche die oben angeführten
Aussprüche von Gervinus und Ruge einigermaßen rechtfertigt. In der so¬
genannten Restaurationsperiode kommen in dieser Beziehung blos Müllers
Griechenlieder zu größerer Bedeutung; sonst galt sogar Theodor Körner
in jener Zeit mehr durch das, was er mit der Abendzeitung, mit Fr. Kind,
mit dem Freischützen gemein hatte, als durch „Leier und Schwert“. Daß einige
der eben genannten oberflächlichen Talente allerdings auf die öffentliche Theil¬
nahme Anspruch machen konnten, soll nicht geläugnet werden. So hat Lang¬
bein, unter vielem Wust, eine Anzahl guter Gedichte geliefert, worin er nie
die Sprache verrenkt, nie versäumt hat, schöne und ansprechende Gedanken
auszudrücken. Auch producirten diese praktischen Köpfe sehr viel; sie begeg¬
neten dem Publikum in jedem Taschenbuch, und erinnern nicht blos in dieser
Hinsicht an mehrere talentvolle Wiener Polygraphen, die ebenfalls einiges
Balladen- und Novellenfutter für jeden Almanach in Bereitschaft haben, wie
Joh. Nep. Vogel, G. Seidel u. s. w.

Der Liederfrühling, der seit 1830 in Deutschland aufging, ist von
allen Seiten schon besprochen. Die lyrischen Dichter sind vor allen andern
dadurch glücklich, daß sie schon bei Lebzeiten auf ein Ruhmespostament ge¬

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[160/0168] Schulstaub gekrochen, und haben einen so freien, tüchtigen Geist behalten. Er ist ein Mann des Wortes und der That, wie die göttinger Studenten im Jahre 1837 ihn und Dahlmann nannten. Aber eben diese Gesinnungs- tüchtigkeit, die überall Prinzipien und Tendenzen sucht, macht ihn unbillig gegen die lyrische Unmittelbarkeit, gegen poetische Empfindungslaute. Wenn er mit den oben citirten Worten die Jugend von Poesie und Gefühlsleben abziehen und auf Politik verweisen will, so können wir in der ganzen Hei߬ sporn-Tirade nur eine verpuffende Rakete erkennen. Ihm schließt sich ein ebenso trefflicher Mann, Arnold Ruge, an, wenn er bei Beurtheilung des Rheinlieds von Prutz sagt: nichts sei poetisch, als die Freiheit; — ein Lob, das die Freiheit ebenso wenig verdient, als sie darauf Anspruch macht. Wie im Drama bis auf unsere Tage das mittelmäßige, praktische Talent die Bretter besetzt hielt, und das tiefere poetische Gemüth einsam blieb, so war es bis zur Julirevolution mit unserer Lyrik. Man betrachte die Anthologieen und Almanache aus den zwanziger Jahren; da dominiren die glücklichen, leichten und oberflächlichen Talente eines Langbein und Ca- stelli, der romantische Anflug eines Kind, die Wehmuth des Matthison. — Rückert hatte sich in orientalische Studien begraben, Chamisso schlief, Uhland verhallte, Wilhelm Müller's Waldhornlieder waren wenig bekannt, Platen erregte nur durch seine Komödienpolemik größeres Auf¬ sehen, seine herrlichen Gedichte drangen nicht sehr über den engen Kreis phi¬ lologischer Anerkennung hinaus. Die politische Tendenz ist es, die unsere Lyrik in das Volk eingeführt hat, sie ist es, welche die oben angeführten Aussprüche von Gervinus und Ruge einigermaßen rechtfertigt. In der so¬ genannten Restaurationsperiode kommen in dieser Beziehung blos Müllers Griechenlieder zu größerer Bedeutung; sonst galt sogar Theodor Körner in jener Zeit mehr durch das, was er mit der Abendzeitung, mit Fr. Kind, mit dem Freischützen gemein hatte, als durch „Leier und Schwert“. Daß einige der eben genannten oberflächlichen Talente allerdings auf die öffentliche Theil¬ nahme Anspruch machen konnten, soll nicht geläugnet werden. So hat Lang¬ bein, unter vielem Wust, eine Anzahl guter Gedichte geliefert, worin er nie die Sprache verrenkt, nie versäumt hat, schöne und ansprechende Gedanken auszudrücken. Auch producirten diese praktischen Köpfe sehr viel; sie begeg¬ neten dem Publikum in jedem Taschenbuch, und erinnern nicht blos in dieser Hinsicht an mehrere talentvolle Wiener Polygraphen, die ebenfalls einiges Balladen- und Novellenfutter für jeden Almanach in Bereitschaft haben, wie Joh. Nep. Vogel, G. Seidel u. s. w. Der Liederfrühling, der seit 1830 in Deutschland aufging, ist von allen Seiten schon besprochen. Die lyrischen Dichter sind vor allen andern dadurch glücklich, daß sie schon bei Lebzeiten auf ein Ruhmespostament ge¬

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-19T17:23:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Signatur Per 61 k-1). (2013-11-19T17:23:38Z)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/168>, abgerufen am 22.11.2024.