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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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brauchen? Was träumt der idealistischste Politiker lieber, als eine allge¬
meine Verbrüderung wodurch allen Menschen eine gleiche Erziehung, gleicher
Glücksstand gesichert und die Bevölkerung im Gleichgewicht mit der Frucht¬
barkeit des Erdbodens gehalten werde, wo die Gewalt durch Wahl dem
Würdigsten verliehen und Gehorsam den Minderwürdigen durch ihre Ue¬
berzeugung zur Pflicht wird? Diese Wünsche und Träume, das Mögliche
wie das Unwahrscheinliche wird durch die religiöse Verbrüderung erfüllt."

"Durch das Gelübde der Armuth werden alle diejenigen, die sich dem¬
selben unterwerfen einander gleich, ohne Unterschied der Geburt und voran¬
gegangenen Verdienstes*). Die Zelle des Fürsten unterscheidet sich in
Nichts von der des geringsten Viehhirten. Und diese Gleichheit ist nicht etwa
auf die engen Mauern des Klosters beschränkt, sondern sie erstreckt sich über
alle menschliche Beziehungen."

"Durch das Opfer der Keuschheit macht er andern die Ehe möglich,
indem er denjenigen mit seinem Beispiele vorangeht, denen ihre Mittellosig¬
keit diese lockende und lästige Verbindung unmöglich macht. Denn weder
die Ehelosigkeit noch die Armuth sind eine Schöpfung des Mönchthums.
Beide bestanden vor ihm, es hat sie nur zur Würde der Tugend erho¬
ben. Der Soldat, der Dienstbote, der dürftige Handwerker, die Mädchen
ohne Aussteuer sind alle zum Cölibat verdammt. Und wie sonderbar, un¬
sere Dienstboten schicken wir weg, wenn sie heirathen, und die Mönche ver¬
folgen wir, weil sie nicht heirathen!"

"Was soll ich zu Gunsten des Gehorsamsgelübdes sagen? Glaubt nicht
Jedermann, es sei dieß ein passiver Gehorsam? Doch möchte ich das Ge¬
gentheil behaupten und sagen, daß es in der ganzen Welt nur einen freien
Gehorsam giebt, nämlich den der Klostergeistlichen. Niemand verkennt die
Nothwendigkeit des Gehorsams, worin sich Jedermann befindet, mit Recht
aber sucht man den Gehorsam vor dem Uebermaße der Erniedrigung und
der Ungerechtigkeit zu behüten. Dazu giebt es zwei Mittel -- die Wahl
und das Gesetz. Der Zweck der Wahl ist, daß die Gewalt in den Hän¬
den des Würdigsten sein mag; der Zweck des Gesetzes ist, dem Inhaber der
Gewalt Beschränkungen aufzulegen. Aber bei der Mangelhaftigkeit aller
menschlichen Dinge ist die Wahl immer in den Händen der Minderzahl, so
daß dieselbe die Mehrzahl unterdrücken kann und da hinwiederum das Ge-

*) Man sieht, wie der Herr Abbe seinen Gegenstand selbst mit den extremsten socia¬
len Ansichten zu vereinen sucht.Anmerk. d. Red.

brauchen? Was träumt der idealistischste Politiker lieber, als eine allge¬
meine Verbrüderung wodurch allen Menschen eine gleiche Erziehung, gleicher
Glücksstand gesichert und die Bevölkerung im Gleichgewicht mit der Frucht¬
barkeit des Erdbodens gehalten werde, wo die Gewalt durch Wahl dem
Würdigsten verliehen und Gehorsam den Minderwürdigen durch ihre Ue¬
berzeugung zur Pflicht wird? Diese Wünsche und Träume, das Mögliche
wie das Unwahrscheinliche wird durch die religiöse Verbrüderung erfüllt.“

„Durch das Gelübde der Armuth werden alle diejenigen, die sich dem¬
selben unterwerfen einander gleich, ohne Unterschied der Geburt und voran¬
gegangenen Verdienstes*). Die Zelle des Fürsten unterscheidet sich in
Nichts von der des geringsten Viehhirten. Und diese Gleichheit ist nicht etwa
auf die engen Mauern des Klosters beschränkt, sondern sie erstreckt sich über
alle menschliche Beziehungen.“

„Durch das Opfer der Keuschheit macht er andern die Ehe möglich,
indem er denjenigen mit seinem Beispiele vorangeht, denen ihre Mittellosig¬
keit diese lockende und lästige Verbindung unmöglich macht. Denn weder
die Ehelosigkeit noch die Armuth sind eine Schöpfung des Mönchthums.
Beide bestanden vor ihm, es hat sie nur zur Würde der Tugend erho¬
ben. Der Soldat, der Dienstbote, der dürftige Handwerker, die Mädchen
ohne Aussteuer sind alle zum Cölibat verdammt. Und wie sonderbar, un¬
sere Dienstboten schicken wir weg, wenn sie heirathen, und die Mönche ver¬
folgen wir, weil sie nicht heirathen!“

„Was soll ich zu Gunsten des Gehorsamsgelübdes sagen? Glaubt nicht
Jedermann, es sei dieß ein passiver Gehorsam? Doch möchte ich das Ge¬
gentheil behaupten und sagen, daß es in der ganzen Welt nur einen freien
Gehorsam giebt, nämlich den der Klostergeistlichen. Niemand verkennt die
Nothwendigkeit des Gehorsams, worin sich Jedermann befindet, mit Recht
aber sucht man den Gehorsam vor dem Uebermaße der Erniedrigung und
der Ungerechtigkeit zu behüten. Dazu giebt es zwei Mittel — die Wahl
und das Gesetz. Der Zweck der Wahl ist, daß die Gewalt in den Hän¬
den des Würdigsten sein mag; der Zweck des Gesetzes ist, dem Inhaber der
Gewalt Beschränkungen aufzulegen. Aber bei der Mangelhaftigkeit aller
menschlichen Dinge ist die Wahl immer in den Händen der Minderzahl, so
daß dieselbe die Mehrzahl unterdrücken kann und da hinwiederum das Ge-

*) Man sieht, wie der Herr Abbé seinen Gegenstand selbst mit den extremsten socia¬
len Ansichten zu vereinen sucht.Anmerk. d. Red.
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[147/0155] brauchen? Was träumt der idealistischste Politiker lieber, als eine allge¬ meine Verbrüderung wodurch allen Menschen eine gleiche Erziehung, gleicher Glücksstand gesichert und die Bevölkerung im Gleichgewicht mit der Frucht¬ barkeit des Erdbodens gehalten werde, wo die Gewalt durch Wahl dem Würdigsten verliehen und Gehorsam den Minderwürdigen durch ihre Ue¬ berzeugung zur Pflicht wird? Diese Wünsche und Träume, das Mögliche wie das Unwahrscheinliche wird durch die religiöse Verbrüderung erfüllt.“ „Durch das Gelübde der Armuth werden alle diejenigen, die sich dem¬ selben unterwerfen einander gleich, ohne Unterschied der Geburt und voran¬ gegangenen Verdienstes *). Die Zelle des Fürsten unterscheidet sich in Nichts von der des geringsten Viehhirten. Und diese Gleichheit ist nicht etwa auf die engen Mauern des Klosters beschränkt, sondern sie erstreckt sich über alle menschliche Beziehungen.“ „Durch das Opfer der Keuschheit macht er andern die Ehe möglich, indem er denjenigen mit seinem Beispiele vorangeht, denen ihre Mittellosig¬ keit diese lockende und lästige Verbindung unmöglich macht. Denn weder die Ehelosigkeit noch die Armuth sind eine Schöpfung des Mönchthums. Beide bestanden vor ihm, es hat sie nur zur Würde der Tugend erho¬ ben. Der Soldat, der Dienstbote, der dürftige Handwerker, die Mädchen ohne Aussteuer sind alle zum Cölibat verdammt. Und wie sonderbar, un¬ sere Dienstboten schicken wir weg, wenn sie heirathen, und die Mönche ver¬ folgen wir, weil sie nicht heirathen!“ „Was soll ich zu Gunsten des Gehorsamsgelübdes sagen? Glaubt nicht Jedermann, es sei dieß ein passiver Gehorsam? Doch möchte ich das Ge¬ gentheil behaupten und sagen, daß es in der ganzen Welt nur einen freien Gehorsam giebt, nämlich den der Klostergeistlichen. Niemand verkennt die Nothwendigkeit des Gehorsams, worin sich Jedermann befindet, mit Recht aber sucht man den Gehorsam vor dem Uebermaße der Erniedrigung und der Ungerechtigkeit zu behüten. Dazu giebt es zwei Mittel — die Wahl und das Gesetz. Der Zweck der Wahl ist, daß die Gewalt in den Hän¬ den des Würdigsten sein mag; der Zweck des Gesetzes ist, dem Inhaber der Gewalt Beschränkungen aufzulegen. Aber bei der Mangelhaftigkeit aller menschlichen Dinge ist die Wahl immer in den Händen der Minderzahl, so daß dieselbe die Mehrzahl unterdrücken kann und da hinwiederum das Ge- *) Man sieht, wie der Herr Abbé seinen Gegenstand selbst mit den extremsten socia¬ len Ansichten zu vereinen sucht.Anmerk. d. Red.

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Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-19T17:23:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/155>, abgerufen am 24.11.2024.