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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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kniete an der Evangelium-Seite unter dem Baldachin, der stets mitgeführt
wurde. Ein langes, gesungenes Hochamt ward unter Begleitung der Garde-
Musik abgehalten. Nach dem Evangelium hielt der Hofprediger Fray Do-
mingo
, ein Franziskaner-Mönch aus Puente la Reina, eine spanische Pre¬
digt, indem er den König anredete und sich allein an ihn zu wenden schien.
Als er geendet, predigte ein baskischer Geistlicher dasselbe für die baskischen
Zuhörer, Dieß dauerte sehr lange, so daß ich erst um 1 Uhr zur Audienz
kam. Ich trug das erste Mal das carlistische Kriegscostüm, einen eng an¬
schließenden, dunkelblauen kurzen Oberrock mit zwei Reihen gelber Knöpfe,
worauf die königliche Lilie von Bourbon mit der Umschrift: Carlos quinto;
krapprothe Beinkleider mit schwarzem Besatz und scharlachrothe Boina mit
silberner Troddel. - - -"

Wir führen diese Stellen absichtlich an, weil sie die Jugend des Ver¬
fassers am deutlichsten abspiegeln. In Mitte eines blutigen Krieges, in
Mitte der vielfachen Aufregungen und Gefahren, welche die wilden Scenen
in einem abentheuerliche[n], unbekannten Lande dem jungen Krieger bringen
mußten, blieb ihm noch Lust und froher Muth genug, an seine Toilette zu
denken, und sich darüber zu freuen, wie seine hübsche schlanke Gestalt in
dem fremdartigen Costüme sich ausnimmt. Es wird nicht an Personen feh¬
len, die über diese Schwäche spöttisch die Nase rümpfen werden; wir für
unsern Theil finden sie liebenswürdig. Der Jugend kömmt es zu, eitel zu sein.
Der Kraft kann man es verzeihen, wenn sie sich überstürzt, und der Phan¬
tasie steht es wohl an, wenn sie über die Häuser fliegt.

Wahrlich, nicht der Rang oder die Stellung des Fürsten Lichnowsky
ist es was uns für ihn einnimmt. Wir werden in diesen Blättern noch
manche Gelegenheit finden, unser Glaubensbekenntniß über solche Dinge an
den Tag zu legen. Aber wir finden es lächerlich, wenn man an alle Per¬
sönlichkeiten den gleichen Maaßstab legen will, wenn man mit einer Scheere
die Halme beschneidet, damit sie hübsch gleich sein sollen, und alle Menschen
in ein und dasselbe Prokustusbett einpferchen will.

In dieser weisen Welt, in diesem hochreifen Zeitalter, wo die Men¬
schen mit Brillen auf der Nase geboren werden, und am Tage nach der
Taufe schon fünfzig Jahre alt sind, da giebt es kein größeres Verbrechen
als -- jung zu sein.

Wir unsrer Seits gratuliren unserer Literatur zu dem neuen Genos¬
sen, welcher mit diesen Erinnerungen aus Spanien sich ihr einverleibt. Die
neueste Zeit hat unsern Meßcatalog steril gemacht. Wir bedürfen der neuen
Elemente, der neuen Aufregung.

In dieser Beziehung kann die adelige Literatur noch vielen Nutzen
stiften; sowohl als Veranlassung zur Opposition, als Stoff zur Reibung, als

kniete an der Evangelium-Seite unter dem Baldachin, der stets mitgeführt
wurde. Ein langes, gesungenes Hochamt ward unter Begleitung der Garde-
Musik abgehalten. Nach dem Evangelium hielt der Hofprediger Fray Do-
mingo
, ein Franziskaner-Mönch aus Puente la Reina, eine spanische Pre¬
digt, indem er den König anredete und sich allein an ihn zu wenden schien.
Als er geendet, predigte ein baskischer Geistlicher dasselbe für die baskischen
Zuhörer, Dieß dauerte sehr lange, so daß ich erst um 1 Uhr zur Audienz
kam. Ich trug das erste Mal das carlistische Kriegscostüm, einen eng an¬
schließenden, dunkelblauen kurzen Oberrock mit zwei Reihen gelber Knöpfe,
worauf die königliche Lilie von Bourbon mit der Umschrift: Carlos quinto;
krapprothe Beinkleider mit schwarzem Besatz und scharlachrothe Boina mit
silberner Troddel. – – –“

Wir führen diese Stellen absichtlich an, weil sie die Jugend des Ver¬
fassers am deutlichsten abspiegeln. In Mitte eines blutigen Krieges, in
Mitte der vielfachen Aufregungen und Gefahren, welche die wilden Scenen
in einem abentheuerliche[n], unbekannten Lande dem jungen Krieger bringen
mußten, blieb ihm noch Lust und froher Muth genug, an seine Toilette zu
denken, und sich darüber zu freuen, wie seine hübsche schlanke Gestalt in
dem fremdartigen Costüme sich ausnimmt. Es wird nicht an Personen feh¬
len, die über diese Schwäche spöttisch die Nase rümpfen werden; wir für
unsern Theil finden sie liebenswürdig. Der Jugend kömmt es zu, eitel zu sein.
Der Kraft kann man es verzeihen, wenn sie sich überstürzt, und der Phan¬
tasie steht es wohl an, wenn sie über die Häuser fliegt.

Wahrlich, nicht der Rang oder die Stellung des Fürsten Lichnowsky
ist es was uns für ihn einnimmt. Wir werden in diesen Blättern noch
manche Gelegenheit finden, unser Glaubensbekenntniß über solche Dinge an
den Tag zu legen. Aber wir finden es lächerlich, wenn man an alle Per¬
sönlichkeiten den gleichen Maaßstab legen will, wenn man mit einer Scheere
die Halme beschneidet, damit sie hübsch gleich sein sollen, und alle Menschen
in ein und dasselbe Prokustusbett einpferchen will.

In dieser weisen Welt, in diesem hochreifen Zeitalter, wo die Men¬
schen mit Brillen auf der Nase geboren werden, und am Tage nach der
Taufe schon fünfzig Jahre alt sind, da giebt es kein größeres Verbrechen
als — jung zu sein.

Wir unsrer Seits gratuliren unserer Literatur zu dem neuen Genos¬
sen, welcher mit diesen Erinnerungen aus Spanien sich ihr einverleibt. Die
neueste Zeit hat unsern Meßcatalog steril gemacht. Wir bedürfen der neuen
Elemente, der neuen Aufregung.

In dieser Beziehung kann die adelige Literatur noch vielen Nutzen
stiften; sowohl als Veranlassung zur Opposition, als Stoff zur Reibung, als

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[121/0129] kniete an der Evangelium-Seite unter dem Baldachin, der stets mitgeführt wurde. Ein langes, gesungenes Hochamt ward unter Begleitung der Garde- Musik abgehalten. Nach dem Evangelium hielt der Hofprediger Fray Do- mingo, ein Franziskaner-Mönch aus Puente la Reina, eine spanische Pre¬ digt, indem er den König anredete und sich allein an ihn zu wenden schien. Als er geendet, predigte ein baskischer Geistlicher dasselbe für die baskischen Zuhörer, Dieß dauerte sehr lange, so daß ich erst um 1 Uhr zur Audienz kam. Ich trug das erste Mal das carlistische Kriegscostüm, einen eng an¬ schließenden, dunkelblauen kurzen Oberrock mit zwei Reihen gelber Knöpfe, worauf die königliche Lilie von Bourbon mit der Umschrift: Carlos quinto; krapprothe Beinkleider mit schwarzem Besatz und scharlachrothe Boina mit silberner Troddel. – – –“ Wir führen diese Stellen absichtlich an, weil sie die Jugend des Ver¬ fassers am deutlichsten abspiegeln. In Mitte eines blutigen Krieges, in Mitte der vielfachen Aufregungen und Gefahren, welche die wilden Scenen in einem abentheuerlichen, unbekannten Lande dem jungen Krieger bringen mußten, blieb ihm noch Lust und froher Muth genug, an seine Toilette zu denken, und sich darüber zu freuen, wie seine hübsche schlanke Gestalt in dem fremdartigen Costüme sich ausnimmt. Es wird nicht an Personen feh¬ len, die über diese Schwäche spöttisch die Nase rümpfen werden; wir für unsern Theil finden sie liebenswürdig. Der Jugend kömmt es zu, eitel zu sein. Der Kraft kann man es verzeihen, wenn sie sich überstürzt, und der Phan¬ tasie steht es wohl an, wenn sie über die Häuser fliegt. Wahrlich, nicht der Rang oder die Stellung des Fürsten Lichnowsky ist es was uns für ihn einnimmt. Wir werden in diesen Blättern noch manche Gelegenheit finden, unser Glaubensbekenntniß über solche Dinge an den Tag zu legen. Aber wir finden es lächerlich, wenn man an alle Per¬ sönlichkeiten den gleichen Maaßstab legen will, wenn man mit einer Scheere die Halme beschneidet, damit sie hübsch gleich sein sollen, und alle Menschen in ein und dasselbe Prokustusbett einpferchen will. In dieser weisen Welt, in diesem hochreifen Zeitalter, wo die Men¬ schen mit Brillen auf der Nase geboren werden, und am Tage nach der Taufe schon fünfzig Jahre alt sind, da giebt es kein größeres Verbrechen als — jung zu sein. Wir unsrer Seits gratuliren unserer Literatur zu dem neuen Genos¬ sen, welcher mit diesen Erinnerungen aus Spanien sich ihr einverleibt. Die neueste Zeit hat unsern Meßcatalog steril gemacht. Wir bedürfen der neuen Elemente, der neuen Aufregung. In dieser Beziehung kann die adelige Literatur noch vielen Nutzen stiften; sowohl als Veranlassung zur Opposition, als Stoff zur Reibung, als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/129>, abgerufen am 27.11.2024.