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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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den Schriftsteller grade in seinem Schlafrock der Welt vorführen? All die
vergilbten Blätter, die man in neuerer Zeit aus den Papierkörben Schil¬
lers und Göthes hervorgekratzt hat, haben nicht im mindesten dazu beige¬
tragen, den Glanz unsrer beiden großen Dichter zu erhöhen. Und wäre
Jean Paul rücksichtsvoller gegen sich selbst und ökonomischer gegen seinen
Schreibpult gewesen, hätte er nicht den ganzen Wust von Papieren, Zetteln
und Notizen, die sein stets erregter Witz und sein unbegrenztes Gedächtniß
thurmhoch gehäuft, mit unwählerischer Hand ins Publikum geworfen, dann
würden seine Bücher die treuesten Begleiter des deutschen Volkes sein, wie
Schillers Bücher es sind, dann würde es nicht einer so langen Reihe von
Jahren bedurft haben, ehe die zweite Ausgabe seiner Gesammtwerke nöthig
wurde, dann würde er nicht nur mehr bewundert, sondern auch mehr ge¬
lesen sein.

Börne, dessen heißgeliebtes Ideal Jean Paul Richter war, trat in
dieser Beziehung keineswegs in die Fußstapfen seines Herrn und Meisters,
im Gegentheile, wir kennen kaum einen Schriftsteller, der strenger gegen
sich selbst, ehrfurchtsvoller gegen das Publikum und mißtrauischer gegen sei¬
nen eigenen Werth gewesen ist, als er. Die neue Ausgabe von Börne's
Schriften mit ihren Supplementen und Zusätzen ist daher eine wahrhaft
schöne Gabe, welche Deutschland der Pietät einiger dem Verstorbenen näher
stehenden Freunde dankt, die mit Eifer aber mit umsichtsvoller Zurückhal¬
tung eine Menge von Aufsätzen und Glanzstellen, die Börnes allzu strenge
Selbstkritik aus der ersten von ihm selbst besorgten Ausgabe seiner gesam¬
melten Schriften ausgelassen und gestrichen hatte, wieder restaurirten. Hierzu
gehören die Aufsätze: "Zwangsgottesdienst," "Ernsthafte Betrachtungen über
den Frankfurter Comödienzettel," "Für die Juden," "Ein Gulden und etwas
mehr" und namentlich die vielen schlagenden Urtheile über die Schauspieler
seiner Zeit, die er in seiner großen Gewissenhaftigkeit seinen dramaturgischen
Blättern nicht beifügte, weil er den Personen nicht nahe treten wollte.

Aber die Bereicherung mit einer Reihe werthvoller Aufsätze und glän¬
zender Bemerkungen, mit welchen diese Ausgabe das Publikum beschenkt,
gilt uns nur als secondärer Werth derselben. Was uns vorzüglich diesel¬
be bedeutend und hochwillkommen macht, das ist das Licht, welches sie auf
Börne in seinem Verhältnisse zu sich selbst wirft. Der Schriftsteller Börne
erklärt uns den Politiker Börne. Wer mit solcher Abnegation gegen sich
selbst verfahren, wer so viele reiche Gedanken aus so weitausgedehnter
Ehrfurcht vor der Oeffentlichkeit unterdrücken konnte, wer so stark war, lie¬
ber sich selbst zu kasteien, als die Gesammtheit mit einem unreifen Gedanken zu
sättigen, wer solche Hochachtung für den Beruf der Presse hatte, daß er ihr
nur das Geläutertste zu übergeben wagte, wer solche Selbstbeherrschung be¬

den Schriftsteller grade in seinem Schlafrock der Welt vorführen? All die
vergilbten Blätter, die man in neuerer Zeit aus den Papierkörben Schil¬
lers und Göthes hervorgekratzt hat, haben nicht im mindesten dazu beige¬
tragen, den Glanz unsrer beiden großen Dichter zu erhöhen. Und wäre
Jean Paul rücksichtsvoller gegen sich selbst und ökonomischer gegen seinen
Schreibpult gewesen, hätte er nicht den ganzen Wust von Papieren, Zetteln
und Notizen, die sein stets erregter Witz und sein unbegrenztes Gedächtniß
thurmhoch gehäuft, mit unwählerischer Hand ins Publikum geworfen, dann
würden seine Bücher die treuesten Begleiter des deutschen Volkes sein, wie
Schillers Bücher es sind, dann würde es nicht einer so langen Reihe von
Jahren bedurft haben, ehe die zweite Ausgabe seiner Gesammtwerke nöthig
wurde, dann würde er nicht nur mehr bewundert, sondern auch mehr ge¬
lesen sein.

Börne, dessen heißgeliebtes Ideal Jean Paul Richter war, trat in
dieser Beziehung keineswegs in die Fußstapfen seines Herrn und Meisters,
im Gegentheile, wir kennen kaum einen Schriftsteller, der strenger gegen
sich selbst, ehrfurchtsvoller gegen das Publikum und mißtrauischer gegen sei¬
nen eigenen Werth gewesen ist, als er. Die neue Ausgabe von Börne's
Schriften mit ihren Supplementen und Zusätzen ist daher eine wahrhaft
schöne Gabe, welche Deutschland der Pietät einiger dem Verstorbenen näher
stehenden Freunde dankt, die mit Eifer aber mit umsichtsvoller Zurückhal¬
tung eine Menge von Aufsätzen und Glanzstellen, die Börnes allzu strenge
Selbstkritik aus der ersten von ihm selbst besorgten Ausgabe seiner gesam¬
melten Schriften ausgelassen und gestrichen hatte, wieder restaurirten. Hierzu
gehören die Aufsätze: „Zwangsgottesdienst,“ „Ernsthafte Betrachtungen über
den Frankfurter Comödienzettel,“ „Für die Juden,“ „Ein Gulden und etwas
mehr“ und namentlich die vielen schlagenden Urtheile über die Schauspieler
seiner Zeit, die er in seiner großen Gewissenhaftigkeit seinen dramaturgischen
Blättern nicht beifügte, weil er den Personen nicht nahe treten wollte.

Aber die Bereicherung mit einer Reihe werthvoller Aufsätze und glän¬
zender Bemerkungen, mit welchen diese Ausgabe das Publikum beschenkt,
gilt uns nur als secondärer Werth derselben. Was uns vorzüglich diesel¬
be bedeutend und hochwillkommen macht, das ist das Licht, welches sie auf
Börne in seinem Verhältnisse zu sich selbst wirft. Der Schriftsteller Börne
erklärt uns den Politiker Börne. Wer mit solcher Abnegation gegen sich
selbst verfahren, wer so viele reiche Gedanken aus so weitausgedehnter
Ehrfurcht vor der Oeffentlichkeit unterdrücken konnte, wer so stark war, lie¬
ber sich selbst zu kasteien, als die Gesammtheit mit einem unreifen Gedanken zu
sättigen, wer solche Hochachtung für den Beruf der Presse hatte, daß er ihr
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[104/0112] den Schriftsteller grade in seinem Schlafrock der Welt vorführen? All die vergilbten Blätter, die man in neuerer Zeit aus den Papierkörben Schil¬ lers und Göthes hervorgekratzt hat, haben nicht im mindesten dazu beige¬ tragen, den Glanz unsrer beiden großen Dichter zu erhöhen. Und wäre Jean Paul rücksichtsvoller gegen sich selbst und ökonomischer gegen seinen Schreibpult gewesen, hätte er nicht den ganzen Wust von Papieren, Zetteln und Notizen, die sein stets erregter Witz und sein unbegrenztes Gedächtniß thurmhoch gehäuft, mit unwählerischer Hand ins Publikum geworfen, dann würden seine Bücher die treuesten Begleiter des deutschen Volkes sein, wie Schillers Bücher es sind, dann würde es nicht einer so langen Reihe von Jahren bedurft haben, ehe die zweite Ausgabe seiner Gesammtwerke nöthig wurde, dann würde er nicht nur mehr bewundert, sondern auch mehr ge¬ lesen sein. Börne, dessen heißgeliebtes Ideal Jean Paul Richter war, trat in dieser Beziehung keineswegs in die Fußstapfen seines Herrn und Meisters, im Gegentheile, wir kennen kaum einen Schriftsteller, der strenger gegen sich selbst, ehrfurchtsvoller gegen das Publikum und mißtrauischer gegen sei¬ nen eigenen Werth gewesen ist, als er. Die neue Ausgabe von Börne's Schriften mit ihren Supplementen und Zusätzen ist daher eine wahrhaft schöne Gabe, welche Deutschland der Pietät einiger dem Verstorbenen näher stehenden Freunde dankt, die mit Eifer aber mit umsichtsvoller Zurückhal¬ tung eine Menge von Aufsätzen und Glanzstellen, die Börnes allzu strenge Selbstkritik aus der ersten von ihm selbst besorgten Ausgabe seiner gesam¬ melten Schriften ausgelassen und gestrichen hatte, wieder restaurirten. Hierzu gehören die Aufsätze: „Zwangsgottesdienst,“ „Ernsthafte Betrachtungen über den Frankfurter Comödienzettel,“ „Für die Juden,“ „Ein Gulden und etwas mehr“ und namentlich die vielen schlagenden Urtheile über die Schauspieler seiner Zeit, die er in seiner großen Gewissenhaftigkeit seinen dramaturgischen Blättern nicht beifügte, weil er den Personen nicht nahe treten wollte. Aber die Bereicherung mit einer Reihe werthvoller Aufsätze und glän¬ zender Bemerkungen, mit welchen diese Ausgabe das Publikum beschenkt, gilt uns nur als secondärer Werth derselben. Was uns vorzüglich diesel¬ be bedeutend und hochwillkommen macht, das ist das Licht, welches sie auf Börne in seinem Verhältnisse zu sich selbst wirft. Der Schriftsteller Börne erklärt uns den Politiker Börne. Wer mit solcher Abnegation gegen sich selbst verfahren, wer so viele reiche Gedanken aus so weitausgedehnter Ehrfurcht vor der Oeffentlichkeit unterdrücken konnte, wer so stark war, lie¬ ber sich selbst zu kasteien, als die Gesammtheit mit einem unreifen Gedanken zu sättigen, wer solche Hochachtung für den Beruf der Presse hatte, daß er ihr nur das Geläutertste zu übergeben wagte, wer solche Selbstbeherrschung be¬

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Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-19T17:23:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/112>, abgerufen am 24.11.2024.