Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.
Man sieht auch endlich nicht, warum ein böser Geist, Poeten solcher Art zum Verse machen reisst. Ob sie des Vaters Grab durch ihren Koth entweyhet? Ob sie kein Heiligthum in ihrer Wuth gescheuet? 675Ob sie durch geile Lust ihr eigen Haus befleckt? Das weiß ich, sie sind toll, und wie ein Bär uns schreckt, Wenn er des Kerckers Schloß und Riegel durchgebrochen; So flüchtet alles weg, wenn sie ein Wort gesprochen. Denn wer ergriffen wird, daß er sie hören muß, 680Der kommt so bald nicht loß, und stirbt fast vor Verdruß: Weil sie den Egeln gleich nicht eh die Haut verlassen, Bis sie nicht fähig sind mehr Blut in sich zu fassen. 667 673 974 679 Ver- gekommen, und also schliessen möchte, er wäre gen Himmel gefahren. Allein seine Pautoffeln die er entweder oben gelassen, oder vom Feuer ausgeworfen worden, ha- ben die Art seines Endes verrathen. 667 Nach Unglück ringt. Die Römischen Poeten machten sich durch ihre obwohl schlechte Theatralische Stücke, überaus viel Feinde, und kamen zuweilen mit ihrer handgreiflichen Satire in Comödien sehr übel an. Darauf zielt Horatz an diesem Orte. 673 Des Vaters Grab. Die Gräber der Alten waren heilig, und durften durch nichts unreines befleckt werden. Jm Lateinischen heißt es zwar ob er seinen Urin in die Asche seines Vaters gelassen; weil man nehmiich die römischen Todten verbrannte. Allein es läuft auf eines hinaus. 974 Kein Heiligthum. Triste bidental. Dieses war ein vom Donner getroffener Ort, von welchem man viel Wesens in Rom machte. Denn weil man ihn vor heilig hielte; so umzäunte man ihn rings umher, und es muste sich dem- selben niemand nähern, vielweniger die Grentzen desselben verrücken. Dergleichen grosse Ubelthaten nun vermuthet Horatz von solchen Poeten, die gleichsam zur Strafe von den Göttern mit der Reimsucht heimgesuchet würden, weil man sonst nicht absehen könnte warum sie Verße machten. 679 Daß er sie hören muß. Die Römischen Poeten konnten ihre Sachen
nicht so leicht unter die Leute bringen, als itzo vermittelst der Buchdruckerey ge- schieht. Daher musten sie denn ihre Gedichte den Leuten selbst vorlesen. Damit quälten nun die Stümper rechtfchaffene Leute, die ihnen offt aus Gefälligkeit zuhö- ren musten. Andre aber giengen ihnen so weit als möglich, aus dem Wege.
Man ſieht auch endlich nicht, warum ein boͤſer Geiſt, Poeten ſolcher Art zum Verſe machen reiſſt. Ob ſie des Vaters Grab durch ihren Koth entweyhet? Ob ſie kein Heiligthum in ihrer Wuth geſcheuet? 675Ob ſie durch geile Luſt ihr eigen Haus befleckt? Das weiß ich, ſie ſind toll, und wie ein Baͤr uns ſchreckt, Wenn er des Kerckers Schloß und Riegel durchgebrochen; So fluͤchtet alles weg, wenn ſie ein Wort geſprochen. Denn wer ergriffen wird, daß er ſie hoͤren muß, 680Der kommt ſo bald nicht loß, und ſtirbt faſt vor Verdruß: Weil ſie den Egeln gleich nicht eh die Haut verlaſſen, Bis ſie nicht faͤhig ſind mehr Blut in ſich zu faſſen. 667 673 974 679 Ver- gekommen, und alſo ſchlieſſen moͤchte, er waͤre gen Himmel gefahren. Allein ſeine Pautoffeln die er entweder oben gelaſſen, oder vom Feuer ausgeworfen worden, ha- ben die Art ſeines Endes verrathen. 667 Nach Unglück ringt. Die Roͤmiſchen Poeten machten ſich durch ihre obwohl ſchlechte Theatraliſche Stuͤcke, uͤberaus viel Feinde, und kamen zuweilen mit ihrer handgreiflichen Satire in Comoͤdien ſehr uͤbel an. Darauf zielt Horatz an dieſem Orte. 673 Des Vaters Grab. Die Graͤber der Alten waren heilig, und durften durch nichts unreines befleckt werden. Jm Lateiniſchen heißt es zwar ob er ſeinen Urin in die Aſche ſeines Vaters gelaſſen; weil man nehmiich die roͤmiſchen Todten verbrannte. Allein es laͤuft auf eines hinaus. 974 Kein Heiligthum. Triſte bidental. Dieſes war ein vom Donner getroffener Ort, von welchem man viel Weſens in Rom machte. Denn weil man ihn vor heilig hielte; ſo umzaͤunte man ihn rings umher, und es muſte ſich dem- ſelben niemand naͤhern, vielweniger die Grentzen deſſelben verruͤcken. Dergleichen groſſe Ubelthaten nun vermuthet Horatz von ſolchen Poeten, die gleichſam zur Strafe von den Goͤttern mit der Reimſucht heimgeſuchet wuͤrden, weil man ſonſt nicht abſehen koͤnnte warum ſie Verße machten. 679 Daß er ſie hören muß. Die Roͤmiſchen Poeten konnten ihre Sachen
nicht ſo leicht unter die Leute bringen, als itzo vermittelſt der Buchdruckerey ge- ſchieht. Daher muſten ſie denn ihre Gedichte den Leuten ſelbſt vorleſen. Damit quaͤlten nun die Stuͤmper rechtfchaffene Leute, die ihnen offt aus Gefaͤlligkeit zuhoͤ- ren muſten. Andre aber giengen ihnen ſo weit als moͤglich, aus dem Wege. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="32"> <l><pb facs="#f0082" n="54"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Horatius von der Dicht-Kunſt.</hi></fw><lb/><note place="left">665</note>Wer wieder Willen hilſt, wird ſchlechten Danck erwerben,</l><lb/> <l>Drum laſſe man getroſt den tollen Dichter ſterben.</l><lb/> <l>Es iſt ſein erſtes nicht, daß er nach Ungluͤck ringt;</l><lb/> <l>Und wenn man ihn gleich itzt mit Fleiß zurechte bringt,</l><lb/> <l>So wird er darum doch die Thorheit nicht verlaſſen,<lb/><note place="left">670</note>Vielweniger den Weg zum Untergange haſſen</l> </lg><lb/> <lg n="33"> <l>Man ſieht auch endlich nicht, warum ein boͤſer Geiſt,</l><lb/> <l>Poeten ſolcher Art zum Verſe machen reiſſt.</l><lb/> <l>Ob ſie des Vaters Grab durch ihren Koth entweyhet?</l><lb/> <l>Ob ſie kein Heiligthum in ihrer Wuth geſcheuet?<lb/><note place="left">675</note>Ob ſie durch geile Luſt ihr eigen Haus befleckt?</l><lb/> <l>Das weiß ich, ſie ſind toll, und wie ein Baͤr uns ſchreckt,</l><lb/> <l>Wenn er des Kerckers Schloß und Riegel durchgebrochen;</l><lb/> <l>So fluͤchtet alles weg, wenn ſie ein Wort geſprochen.</l><lb/> <l>Denn wer ergriffen wird, daß er ſie hoͤren muß,<lb/><note place="left">680</note>Der kommt ſo bald nicht loß, und ſtirbt faſt vor Verdruß:</l><lb/> <l>Weil ſie den Egeln gleich nicht eh die Haut verlaſſen,</l><lb/> <l>Bis ſie nicht faͤhig ſind mehr Blut in ſich zu faſſen.</l> </lg> </lg><lb/> <note xml:id="f54" prev="#f53" place="foot" n="660">gekommen, und alſo ſchlieſſen moͤchte, er waͤre gen Himmel gefahren. Allein ſeine<lb/> Pautoffeln die er entweder oben gelaſſen, oder vom Feuer ausgeworfen worden, ha-<lb/> ben die Art ſeines Endes verrathen.</note><lb/> <note place="foot" n="667"><hi rendition="#fr">Nach Unglück ringt.</hi> Die Roͤmiſchen Poeten machten ſich durch ihre<lb/> obwohl ſchlechte Theatraliſche Stuͤcke, uͤberaus viel Feinde, und kamen zuweilen<lb/> mit ihrer handgreiflichen Satire in Comoͤdien ſehr uͤbel an. Darauf zielt Horatz<lb/> an dieſem Orte.</note><lb/> <note place="foot" n="673"><hi rendition="#fr">Des Vaters Grab.</hi> Die Graͤber der Alten waren heilig, und durften<lb/> durch nichts unreines befleckt werden. Jm Lateiniſchen heißt es zwar <hi rendition="#fr">ob er ſeinen<lb/> Urin in die Aſche ſeines Vaters gelaſſen;</hi> weil man nehmiich die roͤmiſchen<lb/> Todten verbrannte. Allein es laͤuft auf eines hinaus.</note><lb/> <note place="foot" n="974"><hi rendition="#fr">Kein Heiligthum.</hi><hi rendition="#aq">Triſte bidental.</hi> Dieſes war ein vom Donner<lb/> getroffener Ort, von welchem man viel Weſens in Rom machte. Denn weil man<lb/> ihn vor heilig hielte; ſo umzaͤunte man ihn rings umher, und es muſte ſich dem-<lb/> ſelben niemand naͤhern, vielweniger die Grentzen deſſelben verruͤcken. Dergleichen<lb/> groſſe Ubelthaten nun vermuthet Horatz von ſolchen Poeten, die gleichſam zur<lb/> Strafe von den Goͤttern mit der Reimſucht heimgeſuchet wuͤrden, weil man ſonſt<lb/> nicht abſehen koͤnnte warum ſie Verße machten.</note><lb/> <note place="foot" n="679"><hi rendition="#fr">Daß er ſie hören muß.</hi> Die Roͤmiſchen Poeten konnten ihre Sachen<lb/> nicht ſo leicht unter die Leute bringen, als itzo vermittelſt der Buchdruckerey ge-<lb/> ſchieht. Daher muſten ſie denn ihre Gedichte den Leuten ſelbſt vorleſen. Damit<lb/> quaͤlten nun die Stuͤmper rechtfchaffene Leute, die ihnen offt aus Gefaͤlligkeit zuhoͤ-<lb/> ren muſten. Andre aber giengen ihnen ſo weit als moͤglich, aus dem Wege.</note> </div> </div><lb/> <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Ver-</hi> </fw><lb/> </body> </text> </TEI> [54/0082]
Horatius von der Dicht-Kunſt.
Wer wieder Willen hilſt, wird ſchlechten Danck erwerben,
Drum laſſe man getroſt den tollen Dichter ſterben.
Es iſt ſein erſtes nicht, daß er nach Ungluͤck ringt;
Und wenn man ihn gleich itzt mit Fleiß zurechte bringt,
So wird er darum doch die Thorheit nicht verlaſſen,
Vielweniger den Weg zum Untergange haſſen
Man ſieht auch endlich nicht, warum ein boͤſer Geiſt,
Poeten ſolcher Art zum Verſe machen reiſſt.
Ob ſie des Vaters Grab durch ihren Koth entweyhet?
Ob ſie kein Heiligthum in ihrer Wuth geſcheuet?
Ob ſie durch geile Luſt ihr eigen Haus befleckt?
Das weiß ich, ſie ſind toll, und wie ein Baͤr uns ſchreckt,
Wenn er des Kerckers Schloß und Riegel durchgebrochen;
So fluͤchtet alles weg, wenn ſie ein Wort geſprochen.
Denn wer ergriffen wird, daß er ſie hoͤren muß,
Der kommt ſo bald nicht loß, und ſtirbt faſt vor Verdruß:
Weil ſie den Egeln gleich nicht eh die Haut verlaſſen,
Bis ſie nicht faͤhig ſind mehr Blut in ſich zu faſſen.
660
667
673
974
679
Ver-
660 gekommen, und alſo ſchlieſſen moͤchte, er waͤre gen Himmel gefahren. Allein ſeine
Pautoffeln die er entweder oben gelaſſen, oder vom Feuer ausgeworfen worden, ha-
ben die Art ſeines Endes verrathen.
667 Nach Unglück ringt. Die Roͤmiſchen Poeten machten ſich durch ihre
obwohl ſchlechte Theatraliſche Stuͤcke, uͤberaus viel Feinde, und kamen zuweilen
mit ihrer handgreiflichen Satire in Comoͤdien ſehr uͤbel an. Darauf zielt Horatz
an dieſem Orte.
673 Des Vaters Grab. Die Graͤber der Alten waren heilig, und durften
durch nichts unreines befleckt werden. Jm Lateiniſchen heißt es zwar ob er ſeinen
Urin in die Aſche ſeines Vaters gelaſſen; weil man nehmiich die roͤmiſchen
Todten verbrannte. Allein es laͤuft auf eines hinaus.
974 Kein Heiligthum. Triſte bidental. Dieſes war ein vom Donner
getroffener Ort, von welchem man viel Weſens in Rom machte. Denn weil man
ihn vor heilig hielte; ſo umzaͤunte man ihn rings umher, und es muſte ſich dem-
ſelben niemand naͤhern, vielweniger die Grentzen deſſelben verruͤcken. Dergleichen
groſſe Ubelthaten nun vermuthet Horatz von ſolchen Poeten, die gleichſam zur
Strafe von den Goͤttern mit der Reimſucht heimgeſuchet wuͤrden, weil man ſonſt
nicht abſehen koͤnnte warum ſie Verße machten.
679 Daß er ſie hören muß. Die Roͤmiſchen Poeten konnten ihre Sachen
nicht ſo leicht unter die Leute bringen, als itzo vermittelſt der Buchdruckerey ge-
ſchieht. Daher muſten ſie denn ihre Gedichte den Leuten ſelbſt vorleſen. Damit
quaͤlten nun die Stuͤmper rechtfchaffene Leute, die ihnen offt aus Gefaͤlligkeit zuhoͤ-
ren muſten. Andre aber giengen ihnen ſo weit als moͤglich, aus dem Wege.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |