Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.
So wie der Mäckler sonst das Volck, so ihn umringt, Zu der verlegnen Waar in einen Klumpen zwingt: So lockt ein Dichter offt die Schmeichler seiner Künste Weil er begütert ist, zum schändlichsten Gewinnste. 585 589 593 597 Wer Poeten machten. Sie schreiben also in den Tag hinein, und dichten auf ein gera- the wohl. Alle ihre Einfälle müssen gut, und alle Fehler lauter Orackel seyn. Andre, die kein Fünckchen natürlichen Witz besitzen, wollen alles aus Regeln lernen. Aber bey de fehlen, und Horatz hilft ihnen zurechte. 585 Wer das erwünschte etc. Horatz erweist seinen Satz durch Gleichnisse. Die Natur ist in keiner Ubung allein zulänglich. Ein Läufer muß freylich schnelle Füsse und einen leichten Cörper haben: Aber doch muß er sichs sauer werden lassen, gewisse Regeln beobachten, gewisse Dinge meiden, wenn ers andern im Laufe zuvor thun will. So ist es auch in der Poesie. Mit der Music geht es nicht anders, das Naturell wird durch die Regeln der Kunst vollkommener. Sollte denn das poetische Talent nicht durch einen guten Unterricht gebessert werden können? 589 Jch dichte trefflich schön. Die schlimmen Poeten krönen sich immer am ersten, und loben sich fleißig. Sie haben Ursache dazu, denn andre wollen es nicht thun. Der eine meynt in Schertz-Gedichten sey er sehr glücklich; der andre sagt seine Stärcke sey in Satyren; Der dritte hält sich in Lob-Gedichten vor einen Meister u. s. w. Daher halten sie es vor überflüßig, die Regeln der Alten zu lesen, oder sonst Lehren anzunehmen. 593 Der allerlezte seyn. Wer sich lange mit Regeln aufhält, der bleibt hin- ten, und kan nicht so geschwinde gantze Bände mit seinen Gedichten angefüllet herausgeben. Andre kommen ihm zuvor, und werden eher Poeten. Daher hat er keine Zeit die Kunst recht zu fassen. Man wird es auch ohne dem wohl glauben müssen daß er sie verstanden habe. Es mag sich sonst um die Regeln bekümmern wer da will. 597 So lockt. Horatz kömmt hier auf ein andres nöthiges Stücke. Natur und Kunst ist noch nicht genug. Ein Poet muß auch gute Freunde haben, die seine Gedichte scharf beurtheilen. Daran fehlt es nun den reichen Poeten. Jedermann scheuet sich ihnen die Wahrheit zu sagen: das macht Sie tractiren ihre Schmeich- ler gut, und aus Erkenntlichkeit lobet man sie davor. Dahin gehört das Gleichniß von dem Mäckler. D D
So wie der Maͤckler ſonſt das Volck, ſo ihn umringt, Zu der verlegnen Waar in einen Klumpen zwingt: So lockt ein Dichter offt die Schmeichler ſeiner Kuͤnſte Weil er beguͤtert iſt, zum ſchaͤndlichſten Gewinnſte. 585 589 593 597 Wer Poeten machten. Sie ſchreiben alſo in den Tag hinein, und dichten auf ein gera- the wohl. Alle ihre Einfaͤlle muͤſſen gut, und alle Fehler lauter Orackel ſeyn. Andre, die kein Fuͤnckchen natuͤrlichen Witz beſitzen, wollen alles aus Regeln lernen. Aber bey de fehlen, und Horatz hilft ihnen zurechte. 585 Wer das erwünſchte ꝛc. Horatz erweiſt ſeinen Satz durch Gleichniſſe. Die Natur iſt in keiner Ubung allein zulaͤnglich. Ein Laͤufer muß freylich ſchnelle Fuͤſſe und einen leichten Coͤrper haben: Aber doch muß er ſichs ſauer werden laſſen, gewiſſe Regeln beobachten, gewiſſe Dinge meiden, wenn ers andern im Laufe zuvor thun will. So iſt es auch in der Poeſie. Mit der Muſic geht es nicht anders, das Naturell wird durch die Regeln der Kunſt vollkommener. Sollte denn das poetiſche Talent nicht durch einen guten Unterricht gebeſſert werden koͤnnen? 589 Jch dichte trefflich ſchön. Die ſchlimmen Poeten kroͤnen ſich immer am erſten, und loben ſich fleißig. Sie haben Urſache dazu, denn andre wollen es nicht thun. Der eine meynt in Schertz-Gedichten ſey er ſehr gluͤcklich; der andre ſagt ſeine Staͤrcke ſey in Satyren; Der dritte haͤlt ſich in Lob-Gedichten vor einen Meiſter u. ſ. w. Daher halten ſie es vor uͤberfluͤßig, die Regeln der Alten zu leſen, oder ſonſt Lehren anzunehmen. 593 Der allerlezte ſeyn. Wer ſich lange mit Regeln aufhaͤlt, der bleibt hin- ten, und kan nicht ſo geſchwinde gantze Baͤnde mit ſeinen Gedichten angefuͤllet herausgeben. Andre kommen ihm zuvor, und werden eher Poeten. Daher hat er keine Zeit die Kunſt recht zu faſſen. Man wird es auch ohne dem wohl glauben muͤſſen daß er ſie verſtanden habe. Es mag ſich ſonſt um die Regeln bekuͤmmern wer da will. 597 So lockt. Horatz koͤmmt hier auf ein andres noͤthiges Stuͤcke. Natur und Kunſt iſt noch nicht genug. Ein Poet muß auch gute Freunde haben, die ſeine Gedichte ſcharf beurtheilen. Daran fehlt es nun den reichen Poeten. Jedermann ſcheuet ſich ihnen die Wahrheit zu ſagen: das macht Sie tractiren ihre Schmeich- ler gut, und aus Erkenntlichkeit lobet man ſie davor. Dahin gehoͤrt das Gleichniß von dem Maͤckler. D D
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Horatius von der Dicht-Kunſt.
Wer das erwuͤnſchte Ziel im Laufen will ereilen,
Der thut und duldet viel, und ſchwitzt und friert zuweilen,
Vermeidet Lieb und Wein. Ja wenn an Phoͤbus Feſt
Ein Pfeifer ſeinen Thon vor andern hoͤren laͤßt,
So hat er laͤngſt zuvor die ſchwere Kunſt gefaſſet,
Und iſt in ſtrenger Zucht gar offt vor Furcht erblaſſet.
Doch itzo iſt es gnug, wenn einer ſelber ſpricht:
Jch dichte trefflich ſchoͤn! zum mindſten darf ich nicht
Der allerletzte ſeyn; vielweniger geſtehen,
Jch haͤtte nicht gelernt den Alten nachzugehen.
So wie der Maͤckler ſonſt das Volck, ſo ihn umringt,
Zu der verlegnen Waar in einen Klumpen zwingt:
So lockt ein Dichter offt die Schmeichler ſeiner Kuͤnſte
Weil er beguͤtert iſt, zum ſchaͤndlichſten Gewinnſte.
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the wohl. Alle ihre Einfaͤlle muͤſſen gut, und alle Fehler lauter Orackel ſeyn.
Andre, die kein Fuͤnckchen natuͤrlichen Witz beſitzen, wollen alles aus Regeln lernen.
Aber bey de fehlen, und Horatz hilft ihnen zurechte.
585 Wer das erwünſchte ꝛc. Horatz erweiſt ſeinen Satz durch Gleichniſſe.
Die Natur iſt in keiner Ubung allein zulaͤnglich. Ein Laͤufer muß freylich ſchnelle
Fuͤſſe und einen leichten Coͤrper haben: Aber doch muß er ſichs ſauer werden laſſen,
gewiſſe Regeln beobachten, gewiſſe Dinge meiden, wenn ers andern im Laufe
zuvor thun will. So iſt es auch in der Poeſie. Mit der Muſic geht es nicht anders,
das Naturell wird durch die Regeln der Kunſt vollkommener. Sollte denn das
poetiſche Talent nicht durch einen guten Unterricht gebeſſert werden koͤnnen?
589 Jch dichte trefflich ſchön. Die ſchlimmen Poeten kroͤnen ſich immer
am erſten, und loben ſich fleißig. Sie haben Urſache dazu, denn andre wollen es
nicht thun. Der eine meynt in Schertz-Gedichten ſey er ſehr gluͤcklich; der andre
ſagt ſeine Staͤrcke ſey in Satyren; Der dritte haͤlt ſich in Lob-Gedichten vor einen
Meiſter u. ſ. w. Daher halten ſie es vor uͤberfluͤßig, die Regeln der Alten zu leſen,
oder ſonſt Lehren anzunehmen.
593 Der allerlezte ſeyn. Wer ſich lange mit Regeln aufhaͤlt, der bleibt hin-
ten, und kan nicht ſo geſchwinde gantze Baͤnde mit ſeinen Gedichten angefuͤllet
herausgeben. Andre kommen ihm zuvor, und werden eher Poeten. Daher hat
er keine Zeit die Kunſt recht zu faſſen. Man wird es auch ohne dem wohl glauben
muͤſſen daß er ſie verſtanden habe. Es mag ſich ſonſt um die Regeln bekuͤmmern
wer da will.
597 So lockt. Horatz koͤmmt hier auf ein andres noͤthiges Stuͤcke. Natur
und Kunſt iſt noch nicht genug. Ein Poet muß auch gute Freunde haben, die ſeine
Gedichte ſcharf beurtheilen. Daran fehlt es nun den reichen Poeten. Jedermann
ſcheuet ſich ihnen die Wahrheit zu ſagen: das macht Sie tractiren ihre Schmeich-
ler gut, und aus Erkenntlichkeit lobet man ſie davor. Dahin gehoͤrt das Gleichniß
von dem Maͤckler.
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