daran, und verlangte, Boileau sollte ihm helfen, oder zum wenig- sten den Prologum machen. Dieser wehrte sich, so viel ihm mög- lich war; that doch aber insgeheim einen Versuch, davon wir her- nach hören werden. Jndessen fuhr jener fort an seinem Wercke zu arbeiten, und Boileau stund ihm mit gutem Rathe bey; als zu al- lem Glücke etwas darzwischen kam, und sie von dieser Quaal be- freyete. Quinaut, der vielleicht fürchtete von diesen großen Mei- stern übertroffen zu werden, that dem Könige mit Thränen einen Fußfall, und stellete ihm aufs beweglichste vor, was ihm das vor ein Schimpf seyn würde, wenn er nicht mehr die Ehre hätte, vor Sei- ne Majestät zu arbeiten: Worauf der König aus Mitleiden obge- dachten Damen zu verstehen gab; er könne unmöglich dem armen Manne den Verdruß wiederfahren lassen. Sic nos seruauit A- pollo, rufft Boileau aus, da er diese kleine Geschicht erzehlet; und der gute Racine legte seine Oper mit Freuden an die Seite: ja da man selbige auch nach seinem Tode nicht einmahl gefunden hat; so ist zu vermuthen, es habe derselbe aus Zärtlichkeit seines poetischen Gewissens, dieselbe gar unterdrücket.
Das IIIte Zeugniß giebt Boileau selbst, der nicht nur in dieser Er- zehlung, die ich von ihm habe, seinen Abscheu vor Opern genug- sam entdecket: sondern auch in eben dem Prologo, den er aufzu- setzen angefangen, seine Meynung deutlich an den Tag gelegt. Er führt darinn die Poesie und Music redend ein, davon ich einen kleinen Theil übersetzen will: Die Poesie. Was! glaubst du durch eitle Accordten und ohnmächtige Thöne alles das auszudrü- cken, was ich sage? Die Music. Ja, ich glaube, daß ich in die süssen Entzückungen, womit dich Apollo begeistert, die Süs- sigkeit meiner Melodien einmischen könne. Die Poesie. Ja, ja, bey dem Rande eines Brunnens kanst du zwar, nebst mir, eine ver- liebte Marter beseufzen, den Thirsis klagen, und Climenen äch- zen lassen. Allein wenn ich Helden und Götter reden lasse; so kan dein verwegnes Singen, mir nichts als einen eitlen Tact geben: darum schlage diese stoltze Bemühung nur aus dem Sinne. Die Music. Jch verstehe aber die Kunst, deine seltsamste Wunder noch schöner zu machen. Die Poesie. Man mag alsdann deine Stimme nicht hören. Die Music. Vorzeiten haben ja Felsen und Wälder Ohren bekommen, meine Thöne zu hören. Die Poe-
sie.
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Von Opern oder Singſpielen.
daran, und verlangte, Boileau ſollte ihm helfen, oder zum wenig- ſten den Prologum machen. Dieſer wehrte ſich, ſo viel ihm moͤg- lich war; that doch aber insgeheim einen Verſuch, davon wir her- nach hoͤren werden. Jndeſſen fuhr jener fort an ſeinem Wercke zu arbeiten, und Boileau ſtund ihm mit gutem Rathe bey; als zu al- lem Gluͤcke etwas darzwiſchen kam, und ſie von dieſer Quaal be- freyete. Quinaut, der vielleicht fuͤrchtete von dieſen großen Mei- ſtern uͤbertroffen zu werden, that dem Koͤnige mit Thraͤnen einen Fußfall, und ſtellete ihm aufs beweglichſte vor, was ihm das vor ein Schimpf ſeyn wuͤrde, wenn er nicht mehr die Ehre haͤtte, vor Sei- ne Majeſtaͤt zu arbeiten: Worauf der Koͤnig aus Mitleiden obge- dachten Damen zu verſtehen gab; er koͤnne unmoͤglich dem armen Manne den Verdruß wiederfahren laſſen. Sic nos ſeruauit A- pollo, rufft Boileau aus, da er dieſe kleine Geſchicht erzehlet; und der gute Racine legte ſeine Oper mit Freuden an die Seite: ja da man ſelbige auch nach ſeinem Tode nicht einmahl gefunden hat; ſo iſt zu vermuthen, es habe derſelbe aus Zaͤrtlichkeit ſeines poetiſchen Gewiſſens, dieſelbe gar unterdruͤcket.
Das IIIte Zeugniß giebt Boileau ſelbſt, der nicht nur in dieſer Er- zehlung, die ich von ihm habe, ſeinen Abſcheu vor Opern genug- ſam entdecket: ſondern auch in eben dem Prologo, den er aufzu- ſetzen angefangen, ſeine Meynung deutlich an den Tag gelegt. Er fuͤhrt darinn die Poeſie und Muſic redend ein, davon ich einen kleinen Theil uͤberſetzen will: Die Poeſie. Was! glaubſt du durch eitle Accordten und ohnmaͤchtige Thoͤne alles das auszudruͤ- cken, was ich ſage? Die Muſic. Ja, ich glaube, daß ich in die ſuͤſſen Entzuͤckungen, womit dich Apollo begeiſtert, die Suͤſ- ſigkeit meiner Melodien einmiſchen koͤnne. Die Poeſie. Ja, ja, bey dem Rande eines Brunnens kanſt du zwar, nebſt mir, eine ver- liebte Marter beſeufzen, den Thirſis klagen, und Climenen aͤch- zen laſſen. Allein wenn ich Helden und Goͤtter reden laſſe; ſo kan dein verwegnes Singen, mir nichts als einen eitlen Tact geben: darum ſchlage dieſe ſtoltze Bemuͤhung nur aus dem Sinne. Die Muſic. Jch verſtehe aber die Kunſt, deine ſeltſamſte Wunder noch ſchoͤner zu machen. Die Poeſie. Man mag alsdann deine Stimme nicht hoͤren. Die Muſic. Vorzeiten haben ja Felſen und Waͤlder Ohren bekommen, meine Thoͤne zu hoͤren. Die Poe-
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Von Opern oder Singſpielen.
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lich war; that doch aber insgeheim einen Verſuch, davon wir her-
nach hoͤren werden. Jndeſſen fuhr jener fort an ſeinem Wercke zu
arbeiten, und Boileau ſtund ihm mit gutem Rathe bey; als zu al-
lem Gluͤcke etwas darzwiſchen kam, und ſie von dieſer Quaal be-
freyete. Quinaut, der vielleicht fuͤrchtete von dieſen großen Mei-
ſtern uͤbertroffen zu werden, that dem Koͤnige mit Thraͤnen einen
Fußfall, und ſtellete ihm aufs beweglichſte vor, was ihm das vor ein
Schimpf ſeyn wuͤrde, wenn er nicht mehr die Ehre haͤtte, vor Sei-
ne Majeſtaͤt zu arbeiten: Worauf der Koͤnig aus Mitleiden obge-
dachten Damen zu verſtehen gab; er koͤnne unmoͤglich dem armen
Manne den Verdruß wiederfahren laſſen. Sic nos ſeruauit A-
pollo, rufft Boileau aus, da er dieſe kleine Geſchicht erzehlet; und
der gute Racine legte ſeine Oper mit Freuden an die Seite: ja da
man ſelbige auch nach ſeinem Tode nicht einmahl gefunden hat; ſo
iſt zu vermuthen, es habe derſelbe aus Zaͤrtlichkeit ſeines poetiſchen
Gewiſſens, dieſelbe gar unterdruͤcket.
Das IIIte Zeugniß giebt Boileau ſelbſt, der nicht nur in dieſer Er-
zehlung, die ich von ihm habe, ſeinen Abſcheu vor Opern genug-
ſam entdecket: ſondern auch in eben dem Prologo, den er aufzu-
ſetzen angefangen, ſeine Meynung deutlich an den Tag gelegt. Er
fuͤhrt darinn die Poeſie und Muſic redend ein, davon ich einen
kleinen Theil uͤberſetzen will: Die Poeſie. Was! glaubſt du
durch eitle Accordten und ohnmaͤchtige Thoͤne alles das auszudruͤ-
cken, was ich ſage? Die Muſic. Ja, ich glaube, daß ich in die
ſuͤſſen Entzuͤckungen, womit dich Apollo begeiſtert, die Suͤſ-
ſigkeit meiner Melodien einmiſchen koͤnne. Die Poeſie. Ja, ja,
bey dem Rande eines Brunnens kanſt du zwar, nebſt mir, eine ver-
liebte Marter beſeufzen, den Thirſis klagen, und Climenen aͤch-
zen laſſen. Allein wenn ich Helden und Goͤtter reden laſſe; ſo kan
dein verwegnes Singen, mir nichts als einen eitlen Tact geben:
darum ſchlage dieſe ſtoltze Bemuͤhung nur aus dem Sinne. Die
Muſic. Jch verſtehe aber die Kunſt, deine ſeltſamſte Wunder
noch ſchoͤner zu machen. Die Poeſie. Man mag alsdann deine
Stimme nicht hoͤren. Die Muſic. Vorzeiten haben ja Felſen
und Waͤlder Ohren bekommen, meine Thoͤne zu hoͤren. Die Poe-
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 609. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/637>, abgerufen am 23.07.2024.
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