Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.
Allein spiele wäre. Plato in seinem Minos berichtet ausdrücklich, daß man lange vor ihm Tragödien gemacht, welcher Nahme damahls auch die Comödien noch unter sich begriffen. Aber Thespis hat eine neue Art darinn eingeführt, und die alten Lieder mercklich ausgebessert. 382 Gesang und Spiel, quae canerent agerentque. Die Veränderung die Thespis eingeführt, hat fürnehmlich darinn bestanden, daß er zwischen die Oden des singenden Chores, eine Person auf seinen mit Brettern belegten Wagen reden lassen, welche etwa eine merckwürdige Begebenheit eines grossen Helden in Verßen erzehlen müssen. Dieses legte den Grund zu den nachfolgenden Vollkommenheiten der Tragödie, und war freylich was wichtigers, als daß er seinen Leuten das Ge- sichte mit Hefen überstrichen, oder sie auf Wagen herumgeführet. 384 Aeschilus. Dieser hat die Larven und langen Kleidungen seiner Comö- dianten erfunden. Allein das Beste hat Horatz vergessen, so uns aber Aristoteles meldet. Er hat auch das Singen des Chores eingeschräncket, und zu der einen Person, die Thespis darzwischen eingeschaltet hatte, noch eine andre auf die Bühne gestellt, die sich mit der ersten unterreden konnte. Das machte nun die Tragödie schon sehr ansehnlich, zumahl da er auch zuerst die Jdee einer Haupt-Person in seiner Fabel erdacht hat. 396 Hohem Schuh. Cothurnus, war eine Art von Schuhen, so bey den Alten nur von Fürstlichen oder andern vornehmen Personen getragen wurde. Die Tragischen Fabeln Aeschili bestunden nun aus Begebenheiten der Könige und Hel- den, drum hat er sie auch Standes-mäßig kleiden müssen. Hernach ist dieß Wort auch von der erhabenen Schreibart gebraucht worden, die in der Tragödie vorkam, und gleichfals vom Aeschilus zuerst gebraucht worden, weil sie sich vor Könige und Fürsten wohl schickte. 387 Das Lustspiel, die Comödie ist neuer als die Tragödie, beyde aber sind aus den singenden Chören der Bacchus-Lieder entstanden. Einige Sänger und Poeten machtens hübsch erbar; daraus entstund die Tragödie. Andre waren frech und machten allerley grobe Possen; daraus kam die Comödie: Aber nur die alte Comödie, wie Horatz sagt; denn es hat sich dieselbe hernach geändert, so daß eine mittlere und neue entstanden ist Jene war noch sehr unstätig und bäurisch grob, wie auch ihr Nahme zeiget, der eigentlich so viel als ein Dorflied bedeutet. Sie ward auch anfangs nur auf Dörfern gespielet, bis sie sich besserte: und darauf kam sie auch in der Stadt auf. C 2
Allein ſpiele waͤre. Plato in ſeinem Minos berichtet ausdruͤcklich, daß man lange vor ihm Tragoͤdien gemacht, welcher Nahme damahls auch die Comoͤdien noch unter ſich begriffen. Aber Thespis hat eine neue Art darinn eingefuͤhrt, und die alten Lieder mercklich ausgebeſſert. 382 Geſang und Spiel, quae canerent agerentque. Die Veraͤnderung die Thespis eingefuͤhrt, hat fuͤrnehmlich darinn beſtanden, daß er zwiſchen die Oden des ſingenden Chores, eine Perſon auf ſeinen mit Brettern belegten Wagen reden laſſen, welche etwa eine merckwuͤrdige Begebenheit eines groſſen Helden in Verßen erzehlen muͤſſen. Dieſes legte den Grund zu den nachfolgenden Vollkommenheiten der Tragoͤdie, und war freylich was wichtigers, als daß er ſeinen Leuten das Ge- ſichte mit Hefen uͤberſtrichen, oder ſie auf Wagen herumgefuͤhret. 384 Aeſchilus. Dieſer hat die Larven und langen Kleidungen ſeiner Comoͤ- dianten erfunden. Allein das Beſte hat Horatz vergeſſen, ſo uns aber Ariſtoteles meldet. Er hat auch das Singen des Chores eingeſchraͤncket, und zu der einen Perſon, die Thespis darzwiſchen eingeſchaltet hatte, noch eine andre auf die Buͤhne geſtellt, die ſich mit der erſten unterreden konnte. Das machte nun die Tragoͤdie ſchon ſehr anſehnlich, zumahl da er auch zuerſt die Jdee einer Haupt-Perſon in ſeiner Fabel erdacht hat. 396 Hohem Schuh. Cothurnus, war eine Art von Schuhen, ſo bey den Alten nur von Fuͤrſtlichen oder andern vornehmen Perſonen getragen wurde. Die Tragiſchen Fabeln Aeſchili beſtunden nun aus Begebenheiten der Koͤnige und Hel- den, drum hat er ſie auch Standes-maͤßig kleiden muͤſſen. Hernach iſt dieß Wort auch von der erhabenen Schreibart gebraucht worden, die in der Tragoͤdie vorkam, und gleichfals vom Aeſchilus zuerſt gebraucht worden, weil ſie ſich vor Koͤnige und Fuͤrſten wohl ſchickte. 387 Das Luſtſpiel, die Comoͤdie iſt neuer als die Tragoͤdie, beyde aber ſind aus den ſingenden Choͤren der Bacchus-Lieder entſtanden. Einige Saͤnger und Poeten machtens huͤbſch erbar; daraus entſtund die Tragoͤdie. Andre waren frech und machten allerley grobe Poſſen; daraus kam die Comoͤdie: Aber nur die alte Comoͤdie, wie Horatz ſagt; denn es hat ſich dieſelbe hernach geaͤndert, ſo daß eine mittlere und neue entſtanden iſt Jene war noch ſehr unſtaͤtig und baͤuriſch grob, wie auch ihr Nahme zeiget, der eigentlich ſo viel als ein Dorflied bedeutet. Sie ward auch anfangs nur auf Doͤrfern geſpielet, bis ſie ſich beſſerte: und darauf kam ſie auch in der Stadt auf. C 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="16"> <l><pb facs="#f0063" n="35"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Horatius von der Dicht Kunſt.</hi></fw><lb/><note place="left">380</note>Jndem vor ſeiner Zeit kein andrer dran gedacht.</l><lb/> <l>Er fuhr von Dorf zu Dorf mit ſeinen Lieder-Choͤren,</l><lb/> <l>Und ließ Geſang und Spiel auf ſchlechten Wagen hoͤren.</l><lb/> <l>Mit Hefen ſalbte man den Saͤngern das Geſicht,</l><lb/> <l>Bis Aeſchilus hernach die Larven zugericht,<lb/><note place="left">385</note>Die Kleidung ausgedacht und auf erhoͤhten Buͤhnen,</l><lb/> <l>Mit ſtolzer Woͤrter-Pracht und hohem Schuh erſchienen.</l><lb/> <l>Das Luſt-Spiel folgte bald dem Trauer-Spiele nach,</l><lb/> <l>Davon man denn ſogleich mit vielem Lobe ſprach:<lb/> <fw place="bottom" type="sig">C 2</fw><fw place="bottom" type="catch">Allein</fw><lb/><note xml:id="f32" prev="#f31" place="foot" n="379">ſpiele waͤre. Plato in ſeinem Minos berichtet ausdruͤcklich, daß man lange vor<lb/> ihm Tragoͤdien gemacht, welcher Nahme damahls auch die Comoͤdien noch unter ſich<lb/> begriffen. Aber Thespis hat eine neue Art darinn eingefuͤhrt, und die alten Lieder<lb/> mercklich ausgebeſſert.</note><lb/><note place="foot" n="382"><hi rendition="#fr">Geſang und Spiel,</hi><hi rendition="#aq">quae canerent agerentque.</hi> Die Veraͤnderung<lb/> die Thespis eingefuͤhrt, hat fuͤrnehmlich darinn beſtanden, daß er zwiſchen die Oden<lb/> des ſingenden Chores, eine Perſon auf ſeinen mit Brettern belegten Wagen reden<lb/> laſſen, welche etwa eine merckwuͤrdige Begebenheit eines groſſen Helden in Verßen<lb/> erzehlen muͤſſen. Dieſes legte den Grund zu den nachfolgenden Vollkommenheiten<lb/> der Tragoͤdie, und war freylich was wichtigers, als daß er ſeinen Leuten das Ge-<lb/> ſichte mit Hefen uͤberſtrichen, oder ſie auf Wagen herumgefuͤhret.</note><lb/><note place="foot" n="384"><hi rendition="#fr">Aeſchilus.</hi> Dieſer hat die Larven und langen Kleidungen ſeiner Comoͤ-<lb/> dianten erfunden. Allein das Beſte hat Horatz vergeſſen, ſo uns aber Ariſtoteles<lb/> meldet. Er hat auch das Singen des Chores eingeſchraͤncket, und zu der einen<lb/> Perſon, die Thespis darzwiſchen eingeſchaltet hatte, noch eine andre auf die Buͤhne<lb/> geſtellt, die ſich mit der erſten unterreden konnte. Das machte nun die Tragoͤdie<lb/> ſchon ſehr anſehnlich, zumahl da er auch zuerſt die Jdee einer Haupt-Perſon in ſeiner<lb/> Fabel erdacht hat.</note><lb/><note place="foot" n="396"><hi rendition="#fr">Hohem Schuh.</hi><hi rendition="#aq">Cothurnus,</hi> war eine Art von Schuhen, ſo bey den<lb/> Alten nur von Fuͤrſtlichen oder andern vornehmen Perſonen getragen wurde. Die<lb/> Tragiſchen Fabeln Aeſchili beſtunden nun aus Begebenheiten der Koͤnige und Hel-<lb/> den, drum hat er ſie auch Standes-maͤßig kleiden muͤſſen. Hernach iſt dieß Wort<lb/> auch von der erhabenen Schreibart gebraucht worden, die in der Tragoͤdie vorkam,<lb/> und gleichfals vom Aeſchilus zuerſt gebraucht worden, weil ſie ſich vor Koͤnige und<lb/> Fuͤrſten wohl ſchickte.</note><lb/><note place="foot" n="387"><hi rendition="#fr">Das Luſtſpiel,</hi> die Comoͤdie iſt neuer als die Tragoͤdie, beyde aber ſind<lb/> aus den ſingenden Choͤren der Bacchus-Lieder entſtanden. Einige Saͤnger und<lb/> Poeten machtens huͤbſch erbar; daraus entſtund die Tragoͤdie. Andre waren frech<lb/> und machten allerley grobe Poſſen; daraus kam die Comoͤdie: Aber nur die alte<lb/> Comoͤdie, wie Horatz ſagt; denn es hat ſich dieſelbe hernach geaͤndert, ſo daß eine<lb/> mittlere und neue entſtanden iſt Jene war noch ſehr unſtaͤtig und baͤuriſch grob, wie<lb/> auch ihr Nahme zeiget, der eigentlich ſo viel als ein <hi rendition="#fr">Dorflied</hi> bedeutet. Sie ward<lb/> auch anfangs nur auf Doͤrfern geſpielet, bis ſie ſich beſſerte: und darauf kam ſie<lb/> auch in der Stadt auf.</note><lb/></l> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [35/0063]
Horatius von der Dicht Kunſt.
Jndem vor ſeiner Zeit kein andrer dran gedacht.
Er fuhr von Dorf zu Dorf mit ſeinen Lieder-Choͤren,
Und ließ Geſang und Spiel auf ſchlechten Wagen hoͤren.
Mit Hefen ſalbte man den Saͤngern das Geſicht,
Bis Aeſchilus hernach die Larven zugericht,
Die Kleidung ausgedacht und auf erhoͤhten Buͤhnen,
Mit ſtolzer Woͤrter-Pracht und hohem Schuh erſchienen.
Das Luſt-Spiel folgte bald dem Trauer-Spiele nach,
Davon man denn ſogleich mit vielem Lobe ſprach:
Allein
379
382
384
396
387
379 ſpiele waͤre. Plato in ſeinem Minos berichtet ausdruͤcklich, daß man lange vor
ihm Tragoͤdien gemacht, welcher Nahme damahls auch die Comoͤdien noch unter ſich
begriffen. Aber Thespis hat eine neue Art darinn eingefuͤhrt, und die alten Lieder
mercklich ausgebeſſert.
382 Geſang und Spiel, quae canerent agerentque. Die Veraͤnderung
die Thespis eingefuͤhrt, hat fuͤrnehmlich darinn beſtanden, daß er zwiſchen die Oden
des ſingenden Chores, eine Perſon auf ſeinen mit Brettern belegten Wagen reden
laſſen, welche etwa eine merckwuͤrdige Begebenheit eines groſſen Helden in Verßen
erzehlen muͤſſen. Dieſes legte den Grund zu den nachfolgenden Vollkommenheiten
der Tragoͤdie, und war freylich was wichtigers, als daß er ſeinen Leuten das Ge-
ſichte mit Hefen uͤberſtrichen, oder ſie auf Wagen herumgefuͤhret.
384 Aeſchilus. Dieſer hat die Larven und langen Kleidungen ſeiner Comoͤ-
dianten erfunden. Allein das Beſte hat Horatz vergeſſen, ſo uns aber Ariſtoteles
meldet. Er hat auch das Singen des Chores eingeſchraͤncket, und zu der einen
Perſon, die Thespis darzwiſchen eingeſchaltet hatte, noch eine andre auf die Buͤhne
geſtellt, die ſich mit der erſten unterreden konnte. Das machte nun die Tragoͤdie
ſchon ſehr anſehnlich, zumahl da er auch zuerſt die Jdee einer Haupt-Perſon in ſeiner
Fabel erdacht hat.
396 Hohem Schuh. Cothurnus, war eine Art von Schuhen, ſo bey den
Alten nur von Fuͤrſtlichen oder andern vornehmen Perſonen getragen wurde. Die
Tragiſchen Fabeln Aeſchili beſtunden nun aus Begebenheiten der Koͤnige und Hel-
den, drum hat er ſie auch Standes-maͤßig kleiden muͤſſen. Hernach iſt dieß Wort
auch von der erhabenen Schreibart gebraucht worden, die in der Tragoͤdie vorkam,
und gleichfals vom Aeſchilus zuerſt gebraucht worden, weil ſie ſich vor Koͤnige und
Fuͤrſten wohl ſchickte.
387 Das Luſtſpiel, die Comoͤdie iſt neuer als die Tragoͤdie, beyde aber ſind
aus den ſingenden Choͤren der Bacchus-Lieder entſtanden. Einige Saͤnger und
Poeten machtens huͤbſch erbar; daraus entſtund die Tragoͤdie. Andre waren frech
und machten allerley grobe Poſſen; daraus kam die Comoͤdie: Aber nur die alte
Comoͤdie, wie Horatz ſagt; denn es hat ſich dieſelbe hernach geaͤndert, ſo daß eine
mittlere und neue entſtanden iſt Jene war noch ſehr unſtaͤtig und baͤuriſch grob, wie
auch ihr Nahme zeiget, der eigentlich ſo viel als ein Dorflied bedeutet. Sie ward
auch anfangs nur auf Doͤrfern geſpielet, bis ſie ſich beſſerte: und darauf kam ſie
auch in der Stadt auf.
C 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |