ten noch von den Helden in Geschichten die Nahmen: son- dern taufte sie selbst, wie es ihm gut dünckte. Seine Spiele aber blieben deßwegen doch eben so angenehm und erbaulich, als sie vorher gewesen waren. Diese Veränderung oder Verbesserung der Comödie hat Aristoteles nicht erlebt; weil die mittlere bis nach Alexanders Zeiten währete. Daher hat auch dieser grosse Criticus wohl gesehen, daß die Tragödie zu seiner Zeit zwar zur Vollkommenheit gebracht worden, aber nicht die Comödie, deren Wachsthum er also vorher sagen konnte: wie es auch in der That erfolget ist.
Die Römer müssen Leute von gantz andern Naturelle gewesen seyn; als die Griechen: denn bey ihnen hat die Co- mödie ein gantz wiederwärtig Glück gehabt. Dort war sie zuletzt in Aufnehmen gekommen, hier aber, ward sie zuerst be- liebt. Man kan sie hier ebenfalls in die alte, mittlere, und neue eintheilen; und jene zu Ennii, die andere zu Plauti, die dritte zu Terentii Zeiten antreffen. Die erste war noch ziem- lich ungestalt und grob; wie aus dem Zeugnisse Horatii von den Versen Ennii erhellet:
hic & in Acci Nobilibus trimetris apparet rarus & Enni. In scenam missos magno cum pondere versus Aut operae celeris nimium curaque carentis, Aut ignoratae premit artis crimine turpi.
Plautus trieb die Kunst in seinen Comödien etwas höher; aber er bequemte sich dem Geschmacke des Pöbels, und mach- te viel garstige Zoten und niederträchtige Fratzen hinein, die auch noch zu Horatii Zeiten vielen gefallen mochten: Weil sie gemeiniglich die alten Poeten lobten, die neuen aber verach- teten; wie er darüber in seinem langen Schreiben an Augu- stum klaget. Auch in der Arte poetica sagt er davon:
Non quiuis videt immodulata poemata iudex Et data Romanis venia est indigna Poetis. - - - - - At nostri Proaui Plautinos & numeros & Laudauere sales, nimium patienter vtrumque Ne dicam stulre mirati: si modo ego & vos Scimus inurbano lepidum seponere dicto.
Plau-
Des II Theils XI Capitel
ten noch von den Helden in Geſchichten die Nahmen: ſon- dern taufte ſie ſelbſt, wie es ihm gut duͤnckte. Seine Spiele aber blieben deßwegen doch eben ſo angenehm und erbaulich, als ſie vorher geweſen waren. Dieſe Veraͤnderung oder Verbeſſerung der Comoͤdie hat Ariſtoteles nicht erlebt; weil die mittlere bis nach Alexanders Zeiten waͤhrete. Daher hat auch dieſer groſſe Criticus wohl geſehen, daß die Tragoͤdie zu ſeiner Zeit zwar zur Vollkommenheit gebracht worden, aber nicht die Comoͤdie, deren Wachsthum er alſo vorher ſagen konnte: wie es auch in der That erfolget iſt.
Die Roͤmer muͤſſen Leute von gantz andern Naturelle geweſen ſeyn; als die Griechen: denn bey ihnen hat die Co- moͤdie ein gantz wiederwaͤrtig Gluͤck gehabt. Dort war ſie zuletzt in Aufnehmen gekommen, hier aber, ward ſie zuerſt be- liebt. Man kan ſie hier ebenfalls in die alte, mittlere, und neue eintheilen; und jene zu Ennii, die andere zu Plauti, die dritte zu Terentii Zeiten antreffen. Die erſte war noch ziem- lich ungeſtalt und grob; wie aus dem Zeugniſſe Horatii von den Verſen Ennii erhellet:
hic & in Acci Nobilibus trimetris apparet rarus & Enni. In ſcenam miſſos magno cum pondere verſus Aut operae celeris nimium curaque carentis, Aut ignoratae premit artis crimine turpi.
Plautus trieb die Kunſt in ſeinen Comoͤdien etwas hoͤher; aber er bequemte ſich dem Geſchmacke des Poͤbels, und mach- te viel garſtige Zoten und niedertraͤchtige Fratzen hinein, die auch noch zu Horatii Zeiten vielen gefallen mochten: Weil ſie gemeiniglich die alten Poeten lobten, die neuen aber verach- teten; wie er daruͤber in ſeinem langen Schreiben an Augu- ſtum klaget. Auch in der Arte poetica ſagt er davon:
Non quiuis videt immodulata poemata iudex Et data Romanis venia eſt indigna Poetis. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ At noſtri Proaui Plautinos & numeros & Laudauere ſales, nimium patienter vtrumque Ne dicam ſtulre mirati: ſi modo ego & vos Scimus inurbano lepidum ſeponere dicto.
Plau-
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Des II Theils XI Capitel
ten noch von den Helden in Geſchichten die Nahmen: ſon-
dern taufte ſie ſelbſt, wie es ihm gut duͤnckte. Seine Spiele
aber blieben deßwegen doch eben ſo angenehm und erbaulich,
als ſie vorher geweſen waren. Dieſe Veraͤnderung oder
Verbeſſerung der Comoͤdie hat Ariſtoteles nicht erlebt; weil
die mittlere bis nach Alexanders Zeiten waͤhrete. Daher hat
auch dieſer groſſe Criticus wohl geſehen, daß die Tragoͤdie
zu ſeiner Zeit zwar zur Vollkommenheit gebracht worden, aber
nicht die Comoͤdie, deren Wachsthum er alſo vorher ſagen
konnte: wie es auch in der That erfolget iſt.
Die Roͤmer muͤſſen Leute von gantz andern Naturelle
geweſen ſeyn; als die Griechen: denn bey ihnen hat die Co-
moͤdie ein gantz wiederwaͤrtig Gluͤck gehabt. Dort war ſie
zuletzt in Aufnehmen gekommen, hier aber, ward ſie zuerſt be-
liebt. Man kan ſie hier ebenfalls in die alte, mittlere, und
neue eintheilen; und jene zu Ennii, die andere zu Plauti, die
dritte zu Terentii Zeiten antreffen. Die erſte war noch ziem-
lich ungeſtalt und grob; wie aus dem Zeugniſſe Horatii von
den Verſen Ennii erhellet:
hic & in Acci
Nobilibus trimetris apparet rarus & Enni.
In ſcenam miſſos magno cum pondere verſus
Aut operae celeris nimium curaque carentis,
Aut ignoratae premit artis crimine turpi.
Plautus trieb die Kunſt in ſeinen Comoͤdien etwas hoͤher;
aber er bequemte ſich dem Geſchmacke des Poͤbels, und mach-
te viel garſtige Zoten und niedertraͤchtige Fratzen hinein, die
auch noch zu Horatii Zeiten vielen gefallen mochten: Weil ſie
gemeiniglich die alten Poeten lobten, die neuen aber verach-
teten; wie er daruͤber in ſeinem langen Schreiben an Augu-
ſtum klaget. Auch in der Arte poetica ſagt er davon:
Non quiuis videt immodulata poemata iudex
Et data Romanis venia eſt indigna Poetis.
‒ ‒ ‒ ‒ ‒
At noſtri Proaui Plautinos & numeros &
Laudauere ſales, nimium patienter vtrumque
Ne dicam ſtulre mirati: ſi modo ego & vos
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/616>, abgerufen am 27.11.2024.
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