bern der Music zu gefallen, alles durchgehends musicalisch vorstellen lässet; aber dabey gantz und gar von der Natur ab- gehet, und die gantze Wahrscheinlichkeit aufhebet.
Endlich und zuletzt müssen wir noch von den Maschinen und andern Zierrathen der Schaubühne handeln. Durch Maschinen versteht man die Erscheinungen der Götter, die vom Himmel herunter kommen. Weil die Tragödie mensch- liche, nicht aber göttliche Handlungen nachahmet: so kan auch die Hauptperson niemahls eine Gottheit seyn. Weil aber der Held zuweilen in solche Umstände gerathen kan; daß er eines sichtbaren göttlichen Beystandes benöthiget ist: So kan freylich wohl der Poet sich der Maschinen zuweilen bedie- nen, seiner Fabel dadurch auszuhelfen. Allein er muß frey- lich wohl zusehen, daß dieses wahrscheinlich heraus komme. Die Erscheinungen der Götter in neuern Zeiten kommen uns sehr unglaublich vor, weil wir selbst dergleichen nie gesehen, und uns nicht einbilden können, daß es vor hundert oder zwey- hundert Jahren anders gewesen seyn solle. Aber aus der al- ten fabelhafften Zeit, sind wir es längst gewohnt, von Erschei- nungen zu hören: und also nimmt es uns nicht Wunder, wenn wir davon lesen. Wenn also Perseus etwa die An- dromeda erlösen; oder Diana zum Endimion in die Höle des Berges Latmos kommen; oder die drey Göttinnen dem Pa- ris erscheinen sollten, u. d. g. so müsten wir schon die Götter auf der Schaubühne vor nöthig ansehen, und sie nach ihrer Art kleiden und characterisiren. Aber wer solches allezeit und ohne die gröste Nothwendigkeit thun wollte; der würde wieder die Regel Horatii handeln:
Nec Deus intersit, nisi dignus vindice nodus Inciderit.
Es ist nehmlich keine Kunst, durch einen unmittelbaren Bey- stand des Himmels und durch Wunderwercke, eine Fabel glücklich auszuführen: Daher haben sich auch die berühmte- sten Tragödienschreiber unter den Alten dieses Kunststückes selten bedienet.
Eben dahin gehören auch die Zaubereyen, welche man die Maschinen der neuern Zeiten nennen könnte. Sie schi-
cken
Des II Theils X Capitel
bern der Muſic zu gefallen, alles durchgehends muſicaliſch vorſtellen laͤſſet; aber dabey gantz und gar von der Natur ab- gehet, und die gantze Wahrſcheinlichkeit aufhebet.
Endlich und zuletzt muͤſſen wir noch von den Maſchinen und andern Zierrathen der Schaubuͤhne handeln. Durch Maſchinen verſteht man die Erſcheinungen der Goͤtter, die vom Himmel herunter kommen. Weil die Tragoͤdie menſch- liche, nicht aber goͤttliche Handlungen nachahmet: ſo kan auch die Hauptperſon niemahls eine Gottheit ſeyn. Weil aber der Held zuweilen in ſolche Umſtaͤnde gerathen kan; daß er eines ſichtbaren goͤttlichen Beyſtandes benoͤthiget iſt: So kan freylich wohl der Poet ſich der Maſchinen zuweilen bedie- nen, ſeiner Fabel dadurch auszuhelfen. Allein er muß frey- lich wohl zuſehen, daß dieſes wahrſcheinlich heraus komme. Die Erſcheinungen der Goͤtter in neuern Zeiten kommen uns ſehr unglaublich vor, weil wir ſelbſt dergleichen nie geſehen, und uns nicht einbilden koͤnnen, daß es vor hundert oder zwey- hundert Jahren anders geweſen ſeyn ſolle. Aber aus der al- ten fabelhafften Zeit, ſind wir es laͤngſt gewohnt, von Erſchei- nungen zu hoͤren: und alſo nimmt es uns nicht Wunder, wenn wir davon leſen. Wenn alſo Perſeus etwa die An- dromeda erloͤſen; oder Diana zum Endimion in die Hoͤle des Berges Latmos kommen; oder die drey Goͤttinnen dem Pa- ris erſcheinen ſollten, u. d. g. ſo muͤſten wir ſchon die Goͤtter auf der Schaubuͤhne vor noͤthig anſehen, und ſie nach ihrer Art kleiden und characteriſiren. Aber wer ſolches allezeit und ohne die groͤſte Nothwendigkeit thun wollte; der wuͤrde wieder die Regel Horatii handeln:
Nec Deus interſit, niſi dignus vindice nodus Inciderit.
Es iſt nehmlich keine Kunſt, durch einen unmittelbaren Bey- ſtand des Himmels und durch Wunderwercke, eine Fabel gluͤcklich auszufuͤhren: Daher haben ſich auch die beruͤhmte- ſten Tragoͤdienſchreiber unter den Alten dieſes Kunſtſtuͤckes ſelten bedienet.
Eben dahin gehoͤren auch die Zaubereyen, welche man die Maſchinen der neuern Zeiten nennen koͤnnte. Sie ſchi-
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Des II Theils X Capitel
bern der Muſic zu gefallen, alles durchgehends muſicaliſch
vorſtellen laͤſſet; aber dabey gantz und gar von der Natur ab-
gehet, und die gantze Wahrſcheinlichkeit aufhebet.
Endlich und zuletzt muͤſſen wir noch von den Maſchinen
und andern Zierrathen der Schaubuͤhne handeln. Durch
Maſchinen verſteht man die Erſcheinungen der Goͤtter, die
vom Himmel herunter kommen. Weil die Tragoͤdie menſch-
liche, nicht aber goͤttliche Handlungen nachahmet: ſo kan
auch die Hauptperſon niemahls eine Gottheit ſeyn. Weil
aber der Held zuweilen in ſolche Umſtaͤnde gerathen kan; daß
er eines ſichtbaren goͤttlichen Beyſtandes benoͤthiget iſt: So
kan freylich wohl der Poet ſich der Maſchinen zuweilen bedie-
nen, ſeiner Fabel dadurch auszuhelfen. Allein er muß frey-
lich wohl zuſehen, daß dieſes wahrſcheinlich heraus komme.
Die Erſcheinungen der Goͤtter in neuern Zeiten kommen uns
ſehr unglaublich vor, weil wir ſelbſt dergleichen nie geſehen,
und uns nicht einbilden koͤnnen, daß es vor hundert oder zwey-
hundert Jahren anders geweſen ſeyn ſolle. Aber aus der al-
ten fabelhafften Zeit, ſind wir es laͤngſt gewohnt, von Erſchei-
nungen zu hoͤren: und alſo nimmt es uns nicht Wunder,
wenn wir davon leſen. Wenn alſo Perſeus etwa die An-
dromeda erloͤſen; oder Diana zum Endimion in die Hoͤle des
Berges Latmos kommen; oder die drey Goͤttinnen dem Pa-
ris erſcheinen ſollten, u. d. g. ſo muͤſten wir ſchon die Goͤtter
auf der Schaubuͤhne vor noͤthig anſehen, und ſie nach ihrer
Art kleiden und characteriſiren. Aber wer ſolches allezeit
und ohne die groͤſte Nothwendigkeit thun wollte; der wuͤrde
wieder die Regel Horatii handeln:
Nec Deus interſit, niſi dignus vindice nodus
Inciderit.
Es iſt nehmlich keine Kunſt, durch einen unmittelbaren Bey-
ſtand des Himmels und durch Wunderwercke, eine Fabel
gluͤcklich auszufuͤhren: Daher haben ſich auch die beruͤhmte-
ſten Tragoͤdienſchreiber unter den Alten dieſes Kunſtſtuͤckes
ſelten bedienet.
Eben dahin gehoͤren auch die Zaubereyen, welche man
die Maſchinen der neuern Zeiten nennen koͤnnte. Sie ſchi-
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 582. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/610>, abgerufen am 24.11.2024.
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