Art, wegen ihrer Charactere entschuldigen. Man kan aber die Fehler, so er begangen haben möchte, leicht durch die Grobheit seiner Zeiten entschuldigen. Virgil hat schon ge- sundre Begriffe von der Gottheit haben können, und daher sind auch seine Charactere von den göttlichen Personen besser eingerichtet.
Ein Poet muß aber die Götter nicht ohne Noth in seine Fabeln mischen: wie Horatz ausdrücklich erinnert hat.
Nec Deus intersit, nisi dignus vindice nodus Inciderit.
Homerus könnte hier leicht der Sache zu viel gethan haben, weil seine Götter überall mit dabey sind. Tasso und Milton haben die Engel und Teufel in ihren Gedichten anstatt der alten Götter eingeführt. Boileau aber hat jenen in seiner Dichtkunst deswegen getadelt. Jn der That ist es besser allegorische Gottheiten zu dichten: Als z. E. die Zwietracht; die Politick, die Gottesfurcht u. d. gl. die er selbst in dem Lutrin eingeführet hat; derer zu geschweigen die im Voltaire auf die Art vorkommen. Jm übrigen gilt hier eben das, was oben von den menschlichen Charactern gesagt worden.
Endlich und zum VIten kommen wir auf den poetischen Ausdruck, oder die Schreibart eines Helden-Gedichtes. Wir wissen, daß die Schreibart überhaupt nur ein Vortrag unsrer Gedancken ist; und folglich gehen wir hier auch auf die Art zu dencken, die in einem Helden-Gedichte statt findet. Viele bilden sich ein, die Schönheit der Epopee bestehe in schönen Worten und Redensarten, in künstlichen Gedan- cken, vielen Gegensätzen, langen Beschreibungen und hohen Metaphoren, die nicht ein jeder verstehen kan. Ein Gedichte derowegen, das so aussieht, wie Lucan oder Claudian, dünckt ihnen ein Meisterstück zu seyn. Virgil kommt ihnen herge- gen gantz wässerigt und frostig vor. Und wenn man sie fragt, warum sie jene Poeten so lieben: so verweisen sie uns auf etliche hochtrabende, aber nach ihrer Meynung scharfsin- nige Stellen; so sie bewundern. Schreiben sie nun selber was, so suchen sie auch, in einzelnen Zeilen, lauter solche ge- sammlete Blumen und Edelgesteine anzubringen. Ueberall
ist
Des II Theils IX Capitel
Art, wegen ihrer Charactere entſchuldigen. Man kan aber die Fehler, ſo er begangen haben moͤchte, leicht durch die Grobheit ſeiner Zeiten entſchuldigen. Virgil hat ſchon ge- ſundre Begriffe von der Gottheit haben koͤnnen, und daher ſind auch ſeine Charactere von den goͤttlichen Perſonen beſſer eingerichtet.
Ein Poet muß aber die Goͤtter nicht ohne Noth in ſeine Fabeln miſchen: wie Horatz ausdruͤcklich erinnert hat.
Nec Deus interſit, niſi dignus vindice nodus Inciderit.
Homerus koͤnnte hier leicht der Sache zu viel gethan haben, weil ſeine Goͤtter uͤberall mit dabey ſind. Taſſo und Milton haben die Engel und Teufel in ihren Gedichten anſtatt der alten Goͤtter eingefuͤhrt. Boileau aber hat jenen in ſeiner Dichtkunſt deswegen getadelt. Jn der That iſt es beſſer allegoriſche Gottheiten zu dichten: Als z. E. die Zwietracht; die Politick, die Gottesfurcht u. d. gl. die er ſelbſt in dem Lutrin eingefuͤhret hat; derer zu geſchweigen die im Voltaire auf die Art vorkommen. Jm uͤbrigen gilt hier eben das, was oben von den menſchlichen Charactern geſagt worden.
Endlich und zum VIten kommen wir auf den poetiſchen Ausdruck, oder die Schreibart eines Helden-Gedichtes. Wir wiſſen, daß die Schreibart uͤberhaupt nur ein Vortrag unſrer Gedancken iſt; und folglich gehen wir hier auch auf die Art zu dencken, die in einem Helden-Gedichte ſtatt findet. Viele bilden ſich ein, die Schoͤnheit der Epopee beſtehe in ſchoͤnen Worten und Redensarten, in kuͤnſtlichen Gedan- cken, vielen Gegenſaͤtzen, langen Beſchreibungen und hohen Metaphoren, die nicht ein jeder verſtehen kan. Ein Gedichte derowegen, das ſo ausſieht, wie Lucan oder Claudian, duͤnckt ihnen ein Meiſterſtuͤck zu ſeyn. Virgil kommt ihnen herge- gen gantz waͤſſerigt und froſtig vor. Und wenn man ſie fragt, warum ſie jene Poeten ſo lieben: ſo verweiſen ſie uns auf etliche hochtrabende, aber nach ihrer Meynung ſcharfſin- nige Stellen; ſo ſie bewundern. Schreiben ſie nun ſelber was, ſo ſuchen ſie auch, in einzelnen Zeilen, lauter ſolche ge- ſammlete Blumen und Edelgeſteine anzubringen. Ueberall
iſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0590"n="562"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Des <hirendition="#aq">II</hi> Theils <hirendition="#aq">IX</hi> Capitel</hi></fw><lb/>
Art, wegen ihrer Charactere entſchuldigen. Man kan aber<lb/>
die Fehler, ſo er begangen haben moͤchte, leicht durch die<lb/>
Grobheit ſeiner Zeiten entſchuldigen. Virgil hat ſchon ge-<lb/>ſundre Begriffe von der Gottheit haben koͤnnen, und daher<lb/>ſind auch ſeine Charactere von den goͤttlichen Perſonen beſſer<lb/>
eingerichtet.</p><lb/><p>Ein Poet muß aber die Goͤtter nicht ohne Noth in ſeine<lb/>
Fabeln miſchen: wie Horatz ausdruͤcklich erinnert hat.</p><lb/><cit><quote><hirendition="#aq">Nec Deus interſit, niſi dignus vindice nodus<lb/>
Inciderit.</hi></quote></cit><lb/><p>Homerus koͤnnte hier leicht der Sache zu viel gethan haben,<lb/>
weil ſeine Goͤtter uͤberall mit dabey ſind. Taſſo und Milton<lb/>
haben die Engel und Teufel in ihren Gedichten anſtatt der<lb/>
alten Goͤtter eingefuͤhrt. Boileau aber hat jenen in ſeiner<lb/>
Dichtkunſt deswegen getadelt. Jn der That iſt es beſſer<lb/>
allegoriſche Gottheiten zu dichten: Als z. E. die Zwietracht;<lb/>
die Politick, die Gottesfurcht u. d. gl. die er ſelbſt in dem<lb/>
Lutrin eingefuͤhret hat; derer zu geſchweigen die im Voltaire<lb/>
auf die Art vorkommen. Jm uͤbrigen gilt hier eben das,<lb/>
was oben von den menſchlichen Charactern geſagt worden.</p><lb/><p>Endlich und zum <hirendition="#aq">VI</hi>ten kommen wir auf den poetiſchen<lb/>
Ausdruck, oder die Schreibart eines Helden-Gedichtes.<lb/>
Wir wiſſen, daß die Schreibart uͤberhaupt nur ein Vortrag<lb/>
unſrer Gedancken iſt; und folglich gehen wir hier auch auf<lb/>
die Art zu dencken, die in einem Helden-Gedichte ſtatt findet.<lb/>
Viele bilden ſich ein, die Schoͤnheit der Epopee beſtehe in<lb/>ſchoͤnen Worten und Redensarten, in kuͤnſtlichen Gedan-<lb/>
cken, vielen Gegenſaͤtzen, langen Beſchreibungen und hohen<lb/>
Metaphoren, die nicht ein jeder verſtehen kan. Ein Gedichte<lb/>
derowegen, das ſo ausſieht, wie Lucan oder Claudian, duͤnckt<lb/>
ihnen ein Meiſterſtuͤck zu ſeyn. Virgil kommt ihnen herge-<lb/>
gen gantz waͤſſerigt und froſtig vor. Und wenn man ſie<lb/>
fragt, warum ſie jene Poeten ſo lieben: ſo verweiſen ſie uns<lb/>
auf etliche hochtrabende, aber nach ihrer Meynung ſcharfſin-<lb/>
nige Stellen; ſo ſie bewundern. Schreiben ſie nun ſelber<lb/>
was, ſo ſuchen ſie auch, in einzelnen Zeilen, lauter ſolche ge-<lb/>ſammlete Blumen und Edelgeſteine anzubringen. Ueberall<lb/><fwplace="bottom"type="catch">iſt</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[562/0590]
Des II Theils IX Capitel
Art, wegen ihrer Charactere entſchuldigen. Man kan aber
die Fehler, ſo er begangen haben moͤchte, leicht durch die
Grobheit ſeiner Zeiten entſchuldigen. Virgil hat ſchon ge-
ſundre Begriffe von der Gottheit haben koͤnnen, und daher
ſind auch ſeine Charactere von den goͤttlichen Perſonen beſſer
eingerichtet.
Ein Poet muß aber die Goͤtter nicht ohne Noth in ſeine
Fabeln miſchen: wie Horatz ausdruͤcklich erinnert hat.
Nec Deus interſit, niſi dignus vindice nodus
Inciderit.
Homerus koͤnnte hier leicht der Sache zu viel gethan haben,
weil ſeine Goͤtter uͤberall mit dabey ſind. Taſſo und Milton
haben die Engel und Teufel in ihren Gedichten anſtatt der
alten Goͤtter eingefuͤhrt. Boileau aber hat jenen in ſeiner
Dichtkunſt deswegen getadelt. Jn der That iſt es beſſer
allegoriſche Gottheiten zu dichten: Als z. E. die Zwietracht;
die Politick, die Gottesfurcht u. d. gl. die er ſelbſt in dem
Lutrin eingefuͤhret hat; derer zu geſchweigen die im Voltaire
auf die Art vorkommen. Jm uͤbrigen gilt hier eben das,
was oben von den menſchlichen Charactern geſagt worden.
Endlich und zum VIten kommen wir auf den poetiſchen
Ausdruck, oder die Schreibart eines Helden-Gedichtes.
Wir wiſſen, daß die Schreibart uͤberhaupt nur ein Vortrag
unſrer Gedancken iſt; und folglich gehen wir hier auch auf
die Art zu dencken, die in einem Helden-Gedichte ſtatt findet.
Viele bilden ſich ein, die Schoͤnheit der Epopee beſtehe in
ſchoͤnen Worten und Redensarten, in kuͤnſtlichen Gedan-
cken, vielen Gegenſaͤtzen, langen Beſchreibungen und hohen
Metaphoren, die nicht ein jeder verſtehen kan. Ein Gedichte
derowegen, das ſo ausſieht, wie Lucan oder Claudian, duͤnckt
ihnen ein Meiſterſtuͤck zu ſeyn. Virgil kommt ihnen herge-
gen gantz waͤſſerigt und froſtig vor. Und wenn man ſie
fragt, warum ſie jene Poeten ſo lieben: ſo verweiſen ſie uns
auf etliche hochtrabende, aber nach ihrer Meynung ſcharfſin-
nige Stellen; ſo ſie bewundern. Schreiben ſie nun ſelber
was, ſo ſuchen ſie auch, in einzelnen Zeilen, lauter ſolche ge-
ſammlete Blumen und Edelgeſteine anzubringen. Ueberall
iſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 562. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/590>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.