allen Umständen, so ihm begegnen. Er bequemet sich nie der Gemüths-Art eines andern: sondern geht unverrückt seinen Weg fort. Alle andre Personen hergegen müssen sich offt nach ihm richten, und dieses ist der Vorzug den die Haupt- Person einer Fabel, vor allen andern Neben-Personen ha- ben muß: daß nehmlich das gantze Gedichte sich nach seiner Art richten, nicht aber hin und her ausschweifen müsse. Claudian in seinem Raptu Proserpinae hat diese Regel gantz und gar nicht beobachtet: weil er bald die schrecklichsten, bald die angenehmsten Dinge von der Welt, durch einander gemi- schet hat.
Zum Vten kommen wir auf die Erscheinungen und den Beystand der Götter, welches man auf der Schaubühne Maschinen zu nennen pflegt. Weil in dem Heldengedichte alles wunderbar klingen soll, so müssen nicht nur gewöhnliche Personen; sondern auch ungewöhnliche darinnen aufge- führt werden. Dieses sind nun die Gottheiten und Geister, die der Poet allegorischer Weise dichten, und ihnen eben so wohl als den Menschen, gewisse Charaetere geben muß. So muß bey den Alten Jupiter die Allmacht, Minerva die Weisheit, das Verhängniß den unveränderlichen Willen GOttes, u. s. w. vorstellen. Z. E. Jm zehnten Buche der Eneis stellt Virgil in einem Götterrathe auch die Juno als die Gerechtigkeit, und die Venus als die liebreiche Barm- hertzigkeit GOttes vor. Sind sich diese heydnische Gotthei- ten bisweilen zuwieder; so bequemet sich hierinn der Poet unserm schwachen Begriffe, die sich auch die göttlichen Ei- genschafften zuweilen als wiederwärtig vorstellen. Wollen wir einen Beweis davon, so dörfen wir nur die Furien be- trachten, die Jupiter dem Turnus zugeschickt. Was glaub- ten nun die klugen Römer von den Furien? Cicero hat es in einer öffentlichen Rede wieder den Piso gesagt. Nolite puta- re, vt in Scena videtis, homines sceleratos impulsu deorum terreri suriarum taedis ardentibus. Sua quemque fraus, suum scelus, sua audacia de sanitate & mente deturbat. Hae sunt impiorum furiae, hae flammae, hae faces. Jndessen kan man doch die Götter Homeri nicht allezeit auf diese allegorische
Art,
N n
Von der Epopee oder dem Helden-Gedichte.
allen Umſtaͤnden, ſo ihm begegnen. Er bequemet ſich nie der Gemuͤths-Art eines andern: ſondern geht unverruͤckt ſeinen Weg fort. Alle andre Perſonen hergegen muͤſſen ſich offt nach ihm richten, und dieſes iſt der Vorzug den die Haupt- Perſon einer Fabel, vor allen andern Neben-Perſonen ha- ben muß: daß nehmlich das gantze Gedichte ſich nach ſeiner Art richten, nicht aber hin und her ausſchweifen muͤſſe. Claudian in ſeinem Raptu Proſerpinae hat dieſe Regel gantz und gar nicht beobachtet: weil er bald die ſchrecklichſten, bald die angenehmſten Dinge von der Welt, durch einander gemi- ſchet hat.
Zum Vten kommen wir auf die Erſcheinungen und den Beyſtand der Goͤtter, welches man auf der Schaubuͤhne Maſchinen zu nennen pflegt. Weil in dem Heldengedichte alles wunderbar klingen ſoll, ſo muͤſſen nicht nur gewoͤhnliche Perſonen; ſondern auch ungewoͤhnliche darinnen aufge- fuͤhrt werden. Dieſes ſind nun die Gottheiten und Geiſter, die der Poet allegoriſcher Weiſe dichten, und ihnen eben ſo wohl als den Menſchen, gewiſſe Charaetere geben muß. So muß bey den Alten Jupiter die Allmacht, Minerva die Weisheit, das Verhaͤngniß den unveraͤnderlichen Willen GOttes, u. ſ. w. vorſtellen. Z. E. Jm zehnten Buche der Eneis ſtellt Virgil in einem Goͤtterrathe auch die Juno als die Gerechtigkeit, und die Venus als die liebreiche Barm- hertzigkeit GOttes vor. Sind ſich dieſe heydniſche Gotthei- ten bisweilen zuwieder; ſo bequemet ſich hierinn der Poet unſerm ſchwachen Begriffe, die ſich auch die goͤttlichen Ei- genſchafften zuweilen als wiederwaͤrtig vorſtellen. Wollen wir einen Beweis davon, ſo doͤrfen wir nur die Furien be- trachten, die Jupiter dem Turnus zugeſchickt. Was glaub- ten nun die klugen Roͤmer von den Furien? Cicero hat es in einer oͤffentlichen Rede wieder den Piſo geſagt. Nolite puta- re, vt in Scena videtis, homines ſceleratos impulſu deorum terreri ſuriarum taedis ardentibus. Sua quemque fraus, ſuum ſcelus, ſua audacia de ſanitate & mente deturbat. Hae ſunt impiorum furiae, hae flammae, hae faces. Jndeſſen kan man doch die Goͤtter Homeri nicht allezeit auf dieſe allegoriſche
Art,
N n
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0589"n="561"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Von der Epopee oder dem Helden-Gedichte.</hi></fw><lb/>
allen Umſtaͤnden, ſo ihm begegnen. Er bequemet ſich nie der<lb/>
Gemuͤths-Art eines andern: ſondern geht unverruͤckt ſeinen<lb/>
Weg fort. Alle andre Perſonen hergegen muͤſſen ſich offt<lb/>
nach ihm richten, und dieſes iſt der Vorzug den die Haupt-<lb/>
Perſon einer Fabel, vor allen andern Neben-Perſonen ha-<lb/>
ben muß: daß nehmlich das gantze Gedichte ſich nach ſeiner<lb/>
Art richten, nicht aber hin und her ausſchweifen muͤſſe.<lb/>
Claudian in ſeinem <hirendition="#aq">Raptu Proſerpinae</hi> hat dieſe Regel gantz<lb/>
und gar nicht beobachtet: weil er bald die ſchrecklichſten, bald<lb/>
die angenehmſten Dinge von der Welt, durch einander gemi-<lb/>ſchet hat.</p><lb/><p>Zum <hirendition="#aq">V</hi>ten kommen wir auf die Erſcheinungen und den<lb/>
Beyſtand der Goͤtter, welches man auf der Schaubuͤhne<lb/>
Maſchinen zu nennen pflegt. Weil in dem Heldengedichte<lb/>
alles wunderbar klingen ſoll, ſo muͤſſen nicht nur gewoͤhnliche<lb/>
Perſonen; ſondern auch ungewoͤhnliche darinnen aufge-<lb/>
fuͤhrt werden. Dieſes ſind nun die Gottheiten und Geiſter,<lb/>
die der Poet allegoriſcher Weiſe dichten, und ihnen eben ſo<lb/>
wohl als den Menſchen, gewiſſe Charaetere geben muß. So<lb/>
muß bey den Alten Jupiter die Allmacht, Minerva die<lb/>
Weisheit, das Verhaͤngniß den unveraͤnderlichen Willen<lb/>
GOttes, u. ſ. w. vorſtellen. Z. E. Jm zehnten Buche der<lb/>
Eneis ſtellt Virgil in einem Goͤtterrathe auch die Juno als<lb/>
die Gerechtigkeit, und die Venus als die liebreiche Barm-<lb/>
hertzigkeit GOttes vor. Sind ſich dieſe heydniſche Gotthei-<lb/>
ten bisweilen zuwieder; ſo bequemet ſich hierinn der Poet<lb/>
unſerm ſchwachen Begriffe, die ſich auch die goͤttlichen Ei-<lb/>
genſchafften zuweilen als wiederwaͤrtig vorſtellen. Wollen<lb/>
wir einen Beweis davon, ſo doͤrfen wir nur die Furien be-<lb/>
trachten, die Jupiter dem Turnus zugeſchickt. Was glaub-<lb/>
ten nun die klugen Roͤmer von den Furien? Cicero hat es in<lb/>
einer oͤffentlichen Rede wieder den Piſo geſagt. <hirendition="#aq">Nolite puta-<lb/>
re, vt in Scena videtis, homines ſceleratos impulſu deorum<lb/>
terreri ſuriarum taedis ardentibus. Sua quemque fraus, ſuum<lb/>ſcelus, ſua audacia de ſanitate & mente deturbat. Hae ſunt<lb/>
impiorum furiae, hae flammae, hae faces.</hi> Jndeſſen kan<lb/>
man doch die Goͤtter Homeri nicht allezeit auf dieſe allegoriſche<lb/><fwplace="bottom"type="sig">N n</fw><fwplace="bottom"type="catch">Art,</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[561/0589]
Von der Epopee oder dem Helden-Gedichte.
allen Umſtaͤnden, ſo ihm begegnen. Er bequemet ſich nie der
Gemuͤths-Art eines andern: ſondern geht unverruͤckt ſeinen
Weg fort. Alle andre Perſonen hergegen muͤſſen ſich offt
nach ihm richten, und dieſes iſt der Vorzug den die Haupt-
Perſon einer Fabel, vor allen andern Neben-Perſonen ha-
ben muß: daß nehmlich das gantze Gedichte ſich nach ſeiner
Art richten, nicht aber hin und her ausſchweifen muͤſſe.
Claudian in ſeinem Raptu Proſerpinae hat dieſe Regel gantz
und gar nicht beobachtet: weil er bald die ſchrecklichſten, bald
die angenehmſten Dinge von der Welt, durch einander gemi-
ſchet hat.
Zum Vten kommen wir auf die Erſcheinungen und den
Beyſtand der Goͤtter, welches man auf der Schaubuͤhne
Maſchinen zu nennen pflegt. Weil in dem Heldengedichte
alles wunderbar klingen ſoll, ſo muͤſſen nicht nur gewoͤhnliche
Perſonen; ſondern auch ungewoͤhnliche darinnen aufge-
fuͤhrt werden. Dieſes ſind nun die Gottheiten und Geiſter,
die der Poet allegoriſcher Weiſe dichten, und ihnen eben ſo
wohl als den Menſchen, gewiſſe Charaetere geben muß. So
muß bey den Alten Jupiter die Allmacht, Minerva die
Weisheit, das Verhaͤngniß den unveraͤnderlichen Willen
GOttes, u. ſ. w. vorſtellen. Z. E. Jm zehnten Buche der
Eneis ſtellt Virgil in einem Goͤtterrathe auch die Juno als
die Gerechtigkeit, und die Venus als die liebreiche Barm-
hertzigkeit GOttes vor. Sind ſich dieſe heydniſche Gotthei-
ten bisweilen zuwieder; ſo bequemet ſich hierinn der Poet
unſerm ſchwachen Begriffe, die ſich auch die goͤttlichen Ei-
genſchafften zuweilen als wiederwaͤrtig vorſtellen. Wollen
wir einen Beweis davon, ſo doͤrfen wir nur die Furien be-
trachten, die Jupiter dem Turnus zugeſchickt. Was glaub-
ten nun die klugen Roͤmer von den Furien? Cicero hat es in
einer oͤffentlichen Rede wieder den Piſo geſagt. Nolite puta-
re, vt in Scena videtis, homines ſceleratos impulſu deorum
terreri ſuriarum taedis ardentibus. Sua quemque fraus, ſuum
ſcelus, ſua audacia de ſanitate & mente deturbat. Hae ſunt
impiorum furiae, hae flammae, hae faces. Jndeſſen kan
man doch die Goͤtter Homeri nicht allezeit auf dieſe allegoriſche
Art,
N n
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 561. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/589>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.