habe Lust, alles aufs vollständigste zu beschreiben, und also was vollkommeners zu Stande zu bringen. Le Bossu hat ei- ne solche lange Kette von Fabeln zusammen gesetzt, und den Helden derselben, aus des Homeri Batrachomyomachie, Me- ridarpax genennet, welche man p. 80. u. s. w. nachlesen kan. So wenig aber ein solch zusammen gestümpeltes Werck der Batrachomyomachie des Homers, oder nur der geringsten Esopischen Fabel vorzuziehen seyn würde: Eben so wenig ist Statius mit seiner Achilleis dem Virgil oder Homer an die Seite zu setzen.
Ein gleiches kan man von Lucano sagen. Sein Phar- salischer Krieg ist eine wahrhaffte Historie, von einer unlängst vorgefallenen Schlacht, zwischen dem Cäsar und Pompejus. Er erzehlt dieselbe in der gehörigen Zeit-Ordnung, und ver- tritt also die Stelle eines Geschicht-Schreibers, nicht aber ei- nes Poeten. Hier ist gar keine allgemeine moralische Fabel zum Grunde gelegt, folglich ist auch seine Pharsale kein Ge- dichte, sondern eine in hochtrabenden Versen beschriebene Historie: die zwar in der That viel schöne Gedancken in sich hält, auch zuweilen in einigen Stellen die Natur gut genug nachahmet, Z. E. wenn er den Cato in den Lybischen Wü- steneyen vom Orackel Hammons reden läst; Allein über- haupt den Nahmen einer Epopee niemahls wird behaupten können. Eben das könnte auch von dem Silius Jtalicus, der den Punischen Krieg in Versen beschrieben hat, gewie- sen werden, wenn es sich der Mühe verlohnte, daß man sich dabey aufhielte.
Nachdem die Gelehrsamkeit in Europa, sonderlich im Occidente unter die Banck gerathen war, und die Völcker gegen das dreyzehende oder vierzehende Jahrhundert etwas zur Ruhe kamen, ward eine ne[tt]e Art von Fabeln erfunden, die den Helden-Gedichten sehr nahe kam. Dieses waren die Ritter-Bücher, Z. E. vom Amadis in Franckreich, vom grossen Rolandt u. a. m. deren Titel und Nahmen noch hier und da vorkommen. Die Gelegenheit dazu mögen wohl die Creutz-Züge nach dem gelobten Lande gegeben haben, so da- mahls mit so grossem Eifer gegen die Saracenen unternom-
men
Von der Epopee oder dem Helden-Gedichte.
habe Luſt, alles aufs vollſtaͤndigſte zu beſchreiben, und alſo was vollkommeners zu Stande zu bringen. Le Boſſu hat ei- ne ſolche lange Kette von Fabeln zuſammen geſetzt, und den Helden derſelben, aus des Homeri Batrachomyomachie, Me- ridarpax genennet, welche man p. 80. u. ſ. w. nachleſen kan. So wenig aber ein ſolch zuſammen geſtuͤmpeltes Werck der Batrachomyomachie des Homers, oder nur der geringſten Eſopiſchen Fabel vorzuziehen ſeyn wuͤrde: Eben ſo wenig iſt Statius mit ſeiner Achilleis dem Virgil oder Homer an die Seite zu ſetzen.
Ein gleiches kan man von Lucano ſagen. Sein Phar- ſaliſcher Krieg iſt eine wahrhaffte Hiſtorie, von einer unlaͤngſt vorgefallenen Schlacht, zwiſchen dem Caͤſar und Pompejus. Er erzehlt dieſelbe in der gehoͤrigen Zeit-Ordnung, und ver- tritt alſo die Stelle eines Geſchicht-Schreibers, nicht aber ei- nes Poeten. Hier iſt gar keine allgemeine moraliſche Fabel zum Grunde gelegt, folglich iſt auch ſeine Pharſale kein Ge- dichte, ſondern eine in hochtrabenden Verſen beſchriebene Hiſtorie: die zwar in der That viel ſchoͤne Gedancken in ſich haͤlt, auch zuweilen in einigen Stellen die Natur gut genug nachahmet, Z. E. wenn er den Cato in den Lybiſchen Wuͤ- ſteneyen vom Orackel Hammons reden laͤſt; Allein uͤber- haupt den Nahmen einer Epopee niemahls wird behaupten koͤnnen. Eben das koͤnnte auch von dem Silius Jtalicus, der den Puniſchen Krieg in Verſen beſchrieben hat, gewie- ſen werden, wenn es ſich der Muͤhe verlohnte, daß man ſich dabey aufhielte.
Nachdem die Gelehrſamkeit in Europa, ſonderlich im Occidente unter die Banck gerathen war, und die Voͤlcker gegen das dreyzehende oder vierzehende Jahrhundert etwas zur Ruhe kamen, ward eine ne[tt]e Art von Fabeln erfunden, die den Helden-Gedichten ſehr nahe kam. Dieſes waren die Ritter-Buͤcher, Z. E. vom Amadis in Franckreich, vom groſſen Rolandt u. a. m. deren Titel und Nahmen noch hier und da vorkommen. Die Gelegenheit dazu moͤgen wohl die Creutz-Zuͤge nach dem gelobten Lande gegeben haben, ſo da- mahls mit ſo groſſem Eifer gegen die Saracenen unternom-
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[543/0571]
Von der Epopee oder dem Helden-Gedichte.
habe Luſt, alles aufs vollſtaͤndigſte zu beſchreiben, und alſo
was vollkommeners zu Stande zu bringen. Le Boſſu hat ei-
ne ſolche lange Kette von Fabeln zuſammen geſetzt, und den
Helden derſelben, aus des Homeri Batrachomyomachie, Me-
ridarpax genennet, welche man p. 80. u. ſ. w. nachleſen kan.
So wenig aber ein ſolch zuſammen geſtuͤmpeltes Werck der
Batrachomyomachie des Homers, oder nur der geringſten
Eſopiſchen Fabel vorzuziehen ſeyn wuͤrde: Eben ſo wenig iſt
Statius mit ſeiner Achilleis dem Virgil oder Homer an die
Seite zu ſetzen.
Ein gleiches kan man von Lucano ſagen. Sein Phar-
ſaliſcher Krieg iſt eine wahrhaffte Hiſtorie, von einer unlaͤngſt
vorgefallenen Schlacht, zwiſchen dem Caͤſar und Pompejus.
Er erzehlt dieſelbe in der gehoͤrigen Zeit-Ordnung, und ver-
tritt alſo die Stelle eines Geſchicht-Schreibers, nicht aber ei-
nes Poeten. Hier iſt gar keine allgemeine moraliſche Fabel
zum Grunde gelegt, folglich iſt auch ſeine Pharſale kein Ge-
dichte, ſondern eine in hochtrabenden Verſen beſchriebene
Hiſtorie: die zwar in der That viel ſchoͤne Gedancken in ſich
haͤlt, auch zuweilen in einigen Stellen die Natur gut genug
nachahmet, Z. E. wenn er den Cato in den Lybiſchen Wuͤ-
ſteneyen vom Orackel Hammons reden laͤſt; Allein uͤber-
haupt den Nahmen einer Epopee niemahls wird behaupten
koͤnnen. Eben das koͤnnte auch von dem Silius Jtalicus,
der den Puniſchen Krieg in Verſen beſchrieben hat, gewie-
ſen werden, wenn es ſich der Muͤhe verlohnte, daß man ſich
dabey aufhielte.
Nachdem die Gelehrſamkeit in Europa, ſonderlich im
Occidente unter die Banck gerathen war, und die Voͤlcker
gegen das dreyzehende oder vierzehende Jahrhundert etwas
zur Ruhe kamen, ward eine nette Art von Fabeln erfunden,
die den Helden-Gedichten ſehr nahe kam. Dieſes waren
die Ritter-Buͤcher, Z. E. vom Amadis in Franckreich, vom
groſſen Rolandt u. a. m. deren Titel und Nahmen noch hier
und da vorkommen. Die Gelegenheit dazu moͤgen wohl die
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mahls mit ſo groſſem Eifer gegen die Saracenen unternom-
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 543. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/571>, abgerufen am 25.11.2024.
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