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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Des II Theils VIII Capitel
Ein Schwindel rührt mein Haupt: Kein Wunder! Dreßdens Pracht
Bezaubert Blick und Sinn, hat mich entzückt gemacht.
Jch sehe Thor und Wall und Graben und Basteyen,
Der Brücke Bogen-Last, die Wunder an Gebäuen,
Des Zwingers Kostbarkeit, des Landes-Vaters Sitz,
Ein weites Waffen-Hauß voll Küraß und Geschütz,
Soldaten, von der Art, die Troja dort verbrannten,
Und manchen tapfern Trupp von Rittern und Trabanten.
Hier, lehrt die Muse mich, hier wohnet Sachsens Held,
Den selbst die Vorsicht ihm zum Schutzgott vorgestellt.
Sein Bruder hat vor ihm die gantze Chur besessen,
Den zwar das treue Land so wenig wird vergessen;
Als den der sie gezeugt: Doch dessen frühes Grab
Dem Volcke dieses Haupt zum weisen Führer gab,
Das nicht allein ein Preis im deutschen Fürsten-Orden,
Das auch Sarmatiens erwehlter König worden.
So spricht sie, und ergreift mich eifrig bey der Hand,
Und macht mir Volck und Stadt und Straßen wohlbekannt;
Sie führt mich hin und her durch die beglückten Gassen,
Und zeigt mir was mein Blick vor andern solle fassen.
Da steht, dies ist ihr Wort, der Fürstliche Pallast,
Des Grafen, den du längst nebst mir bewundert hast;
Der theure Flemming wars, den man durch alles Loben,
So groß war sein Verdienst! doch nie genug erhoben.
Dort wohnt Graf Wackerbart; dieß Haus gab ihm August,
Auf den, vor kurtzer Zeit erlittenen Verlust.
Denn als ein hohes Haupt, ein Herr von vielen Staaten,
Ein klug und tapfrer Held und Muster der Soldaten,
Sich jüngst, als Dreßdens Gast, in seiner Wohnung fand;
Gerieth sie unverhofft bey später Nacht in Brand:
So daß die schnelle Glut die Stein und Kalck verzehrte,
Holtz, Mauren, Dach und Grund in Graus und Asche kehrte
Sie schweigt; wir gehen fort und bleiben wieder stehn,
Da, spricht sie, wohnt der Graf, der Sächsische Mäcen,
Apollens Freund und Schutz und meiner Schwestern Freude,
Ja dessen Dichter-Kiel ich seber offt beneide.
Er selber ist gelehrt und liebt Gelehrsamkeit,
Und ist im Cabinet ein Nestor seiner Zeit,
Des Landes Lust und Ruhm: ich darf ihn gar nicht nennen,
Ein jeder wird ihn schon an diesem Abriß kennen.
Wir
Des II Theils VIII Capitel
Ein Schwindel ruͤhrt mein Haupt: Kein Wunder! Dreßdens Pracht
Bezaubert Blick und Sinn, hat mich entzuͤckt gemacht.
Jch ſehe Thor und Wall und Graben und Baſteyen,
Der Bruͤcke Bogen-Laſt, die Wunder an Gebaͤuen,
Des Zwingers Koſtbarkeit, des Landes-Vaters Sitz,
Ein weites Waffen-Hauß voll Kuͤraß und Geſchuͤtz,
Soldaten, von der Art, die Troja dort verbrannten,
Und manchen tapfern Trupp von Rittern und Trabanten.
Hier, lehrt die Muſe mich, hier wohnet Sachſens Held,
Den ſelbſt die Vorſicht ihm zum Schutzgott vorgeſtellt.
Sein Bruder hat vor ihm die gantze Chur beſeſſen,
Den zwar das treue Land ſo wenig wird vergeſſen;
Als den der ſie gezeugt: Doch deſſen fruͤhes Grab
Dem Volcke dieſes Haupt zum weiſen Fuͤhrer gab,
Das nicht allein ein Preis im deutſchen Fuͤrſten-Orden,
Das auch Sarmatiens erwehlter Koͤnig worden.
So ſpricht ſie, und ergreift mich eifrig bey der Hand,
Und macht mir Volck und Stadt und Straßen wohlbekannt;
Sie fuͤhrt mich hin und her durch die begluͤckten Gaſſen,
Und zeigt mir was mein Blick vor andern ſolle faſſen.
Da ſteht, dies iſt ihr Wort, der Fuͤrſtliche Pallaſt,
Des Grafen, den du laͤngſt nebſt mir bewundert haſt;
Der theure Flemming wars, den man durch alles Loben,
So groß war ſein Verdienſt! doch nie genug erhoben.
Dort wohnt Graf Wackerbart; dieß Haus gab ihm Auguſt,
Auf den, vor kurtzer Zeit erlittenen Verluſt.
Denn als ein hohes Haupt, ein Herr von vielen Staaten,
Ein klug und tapfrer Held und Muſter der Soldaten,
Sich juͤngſt, als Dreßdens Gaſt, in ſeiner Wohnung fand;
Gerieth ſie unverhofft bey ſpaͤter Nacht in Brand:
So daß die ſchnelle Glut die Stein und Kalck verzehrte,
Holtz, Mauren, Dach und Grund in Graus und Aſche kehrte
Sie ſchweigt; wir gehen fort und bleiben wieder ſtehn,
Da, ſpricht ſie, wohnt der Graf, der Saͤchſiſche Maͤcen,
Apollens Freund und Schutz und meiner Schweſtern Freude,
Ja deſſen Dichter-Kiel ich ſeber offt beneide.
Er ſelber iſt gelehrt und liebt Gelehrſamkeit,
Und iſt im Cabinet ein Neſtor ſeiner Zeit,
Des Landes Luſt und Ruhm: ich darf ihn gar nicht nennen,
Ein jeder wird ihn ſchon an dieſem Abriß kennen.
Wir
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[522/0550] Des II Theils VIII Capitel Ein Schwindel ruͤhrt mein Haupt: Kein Wunder! Dreßdens Pracht Bezaubert Blick und Sinn, hat mich entzuͤckt gemacht. Jch ſehe Thor und Wall und Graben und Baſteyen, Der Bruͤcke Bogen-Laſt, die Wunder an Gebaͤuen, Des Zwingers Koſtbarkeit, des Landes-Vaters Sitz, Ein weites Waffen-Hauß voll Kuͤraß und Geſchuͤtz, Soldaten, von der Art, die Troja dort verbrannten, Und manchen tapfern Trupp von Rittern und Trabanten. Hier, lehrt die Muſe mich, hier wohnet Sachſens Held, Den ſelbſt die Vorſicht ihm zum Schutzgott vorgeſtellt. Sein Bruder hat vor ihm die gantze Chur beſeſſen, Den zwar das treue Land ſo wenig wird vergeſſen; Als den der ſie gezeugt: Doch deſſen fruͤhes Grab Dem Volcke dieſes Haupt zum weiſen Fuͤhrer gab, Das nicht allein ein Preis im deutſchen Fuͤrſten-Orden, Das auch Sarmatiens erwehlter Koͤnig worden. So ſpricht ſie, und ergreift mich eifrig bey der Hand, Und macht mir Volck und Stadt und Straßen wohlbekannt; Sie fuͤhrt mich hin und her durch die begluͤckten Gaſſen, Und zeigt mir was mein Blick vor andern ſolle faſſen. Da ſteht, dies iſt ihr Wort, der Fuͤrſtliche Pallaſt, Des Grafen, den du laͤngſt nebſt mir bewundert haſt; Der theure Flemming wars, den man durch alles Loben, So groß war ſein Verdienſt! doch nie genug erhoben. Dort wohnt Graf Wackerbart; dieß Haus gab ihm Auguſt, Auf den, vor kurtzer Zeit erlittenen Verluſt. Denn als ein hohes Haupt, ein Herr von vielen Staaten, Ein klug und tapfrer Held und Muſter der Soldaten, Sich juͤngſt, als Dreßdens Gaſt, in ſeiner Wohnung fand; Gerieth ſie unverhofft bey ſpaͤter Nacht in Brand: So daß die ſchnelle Glut die Stein und Kalck verzehrte, Holtz, Mauren, Dach und Grund in Graus und Aſche kehrte Sie ſchweigt; wir gehen fort und bleiben wieder ſtehn, Da, ſpricht ſie, wohnt der Graf, der Saͤchſiſche Maͤcen, Apollens Freund und Schutz und meiner Schweſtern Freude, Ja deſſen Dichter-Kiel ich ſeber offt beneide. Er ſelber iſt gelehrt und liebt Gelehrſamkeit, Und iſt im Cabinet ein Neſtor ſeiner Zeit, Des Landes Luſt und Ruhm: ich darf ihn gar nicht nennen, Ein jeder wird ihn ſchon an dieſem Abriß kennen. Wir

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 522. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/550>, abgerufen am 22.11.2024.