sam einerley Verse macht, und ihre Gottesfurcht, Wohlthä- tigkeit etc. mit grossem Geschrey erhebt. Eben so verächtlich ist der Kunst-Griff, in dem Lobe eines neuern allemahl einen alten Held herunter zu machen. Venus muß nicht mehr schön, Ale- xander kein Held, Plato kein Philosoph und Cicero kein Red- ner mehr seyn, wenn der Poet es so haben will. Ein recht- schaffener Poet schämet sich also dieser verächtlichen Schmei- cheleyen, und lobet keinen, als von dem man was besonders zu sagen und zu rühmen weiß.
Doch da die Gewohnheit es eingeführet hat, auf viele Leute Verse zu machen, wenn uns gleich keine solche ruhm- würdige Eigenschafften bekannt sind: So bedienet man sich des Kunst-Griffes, den Pindar ersonnen hat, wenn er auf die Uberwinder in den Olympischen Spielen nicht viel zu sagen wuste. Er lobte etwa einen andern Griechischen Held oder Gott, oder handelte eine gantz andere Materie ab, die nütz- lich und angenehm war. Zuletzt aber dachte er nur mit we- nigen Worten an denjenigen, dem zu Ehren es verfertiget wurde. Diese Erfindung hilft uns zuweilen gantze Bogen füllen, ehe mans gewahr wird. Man sehe nur zu, daß man nicht gar zu weit gesuchte Materien ausführe; die sich auf keine andre Weise auf unsern Held deuten lassen, als wenn man sagt: Doch wo gerath ich hin?
Die Schreib-Art aller dieser Gedichte muß nach Be- schaffenheit der Sachen und Personen, davon sie handeln, bald prächtig und erhaben, bald sinnreich und nachdencklich; bald pathetisch, bald auch natürlich werden. Die langen jambischen Verse mit ungetrennten Reimen schicken sich am besten dazu, man mag sie nun entweder in einem hinterein- ander fort laufen lassen, und nur zuweilen an bequemen Orten einen Absatz machen, oder auch acht oder zehnzeilichte Stro- phen machen, wie Neukirch in vielen Gedichten gethan hat, die man sich aber dem Jnnhalte und der Schreib-Art nach nicht zum Muster nehmen muß; weil es Wercke seiner hitzigen Jugend sind, da er noch dem Lohensteinischen Ge- schmack gefolget ist. Und so viel auch von dieser Gattung. Folgende Exempel sollen zur Probe dienen:
Wett-
Des II Theils VIII Capitel
ſam einerley Verſe macht, und ihre Gottesfurcht, Wohlthaͤ- tigkeit ꝛc. mit groſſem Geſchrey erhebt. Eben ſo veraͤchtlich iſt der Kunſt-Griff, in dem Lobe eines neuern allemahl einen alten Held herunter zu machen. Venus muß nicht mehr ſchoͤn, Ale- xander kein Held, Plato kein Philoſoph und Cicero kein Red- ner mehr ſeyn, wenn der Poet es ſo haben will. Ein recht- ſchaffener Poet ſchaͤmet ſich alſo dieſer veraͤchtlichen Schmei- cheleyen, und lobet keinen, als von dem man was beſonders zu ſagen und zu ruͤhmen weiß.
Doch da die Gewohnheit es eingefuͤhret hat, auf viele Leute Verſe zu machen, wenn uns gleich keine ſolche ruhm- wuͤrdige Eigenſchafften bekannt ſind: So bedienet man ſich des Kunſt-Griffes, den Pindar erſonnen hat, wenn er auf die Uberwinder in den Olympiſchen Spielen nicht viel zu ſagen wuſte. Er lobte etwa einen andern Griechiſchen Held oder Gott, oder handelte eine gantz andere Materie ab, die nuͤtz- lich und angenehm war. Zuletzt aber dachte er nur mit we- nigen Worten an denjenigen, dem zu Ehren es verfertiget wurde. Dieſe Erfindung hilft uns zuweilen gantze Bogen fuͤllen, ehe mans gewahr wird. Man ſehe nur zu, daß man nicht gar zu weit geſuchte Materien ausfuͤhre; die ſich auf keine andre Weiſe auf unſern Held deuten laſſen, als wenn man ſagt: Doch wo gerath ich hin?
Die Schreib-Art aller dieſer Gedichte muß nach Be- ſchaffenheit der Sachen und Perſonen, davon ſie handeln, bald praͤchtig und erhaben, bald ſinnreich und nachdencklich; bald pathetiſch, bald auch natuͤrlich werden. Die langen jambiſchen Verſe mit ungetrennten Reimen ſchicken ſich am beſten dazu, man mag ſie nun entweder in einem hinterein- ander fort laufen laſſen, und nur zuweilen an bequemen Orten einen Abſatz machen, oder auch acht oder zehnzeilichte Stro- phen machen, wie Neukirch in vielen Gedichten gethan hat, die man ſich aber dem Jnnhalte und der Schreib-Art nach nicht zum Muſter nehmen muß; weil es Wercke ſeiner hitzigen Jugend ſind, da er noch dem Lohenſteiniſchen Ge- ſchmack gefolget iſt. Und ſo viel auch von dieſer Gattung. Folgende Exempel ſollen zur Probe dienen:
Wett-
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Des II Theils VIII Capitel
ſam einerley Verſe macht, und ihre Gottesfurcht, Wohlthaͤ-
tigkeit ꝛc. mit groſſem Geſchrey erhebt. Eben ſo veraͤchtlich iſt
der Kunſt-Griff, in dem Lobe eines neuern allemahl einen alten
Held herunter zu machen. Venus muß nicht mehr ſchoͤn, Ale-
xander kein Held, Plato kein Philoſoph und Cicero kein Red-
ner mehr ſeyn, wenn der Poet es ſo haben will. Ein recht-
ſchaffener Poet ſchaͤmet ſich alſo dieſer veraͤchtlichen Schmei-
cheleyen, und lobet keinen, als von dem man was beſonders zu
ſagen und zu ruͤhmen weiß.
Doch da die Gewohnheit es eingefuͤhret hat, auf viele
Leute Verſe zu machen, wenn uns gleich keine ſolche ruhm-
wuͤrdige Eigenſchafften bekannt ſind: So bedienet man ſich
des Kunſt-Griffes, den Pindar erſonnen hat, wenn er auf die
Uberwinder in den Olympiſchen Spielen nicht viel zu ſagen
wuſte. Er lobte etwa einen andern Griechiſchen Held oder
Gott, oder handelte eine gantz andere Materie ab, die nuͤtz-
lich und angenehm war. Zuletzt aber dachte er nur mit we-
nigen Worten an denjenigen, dem zu Ehren es verfertiget
wurde. Dieſe Erfindung hilft uns zuweilen gantze Bogen
fuͤllen, ehe mans gewahr wird. Man ſehe nur zu, daß man
nicht gar zu weit geſuchte Materien ausfuͤhre; die ſich auf
keine andre Weiſe auf unſern Held deuten laſſen, als wenn
man ſagt: Doch wo gerath ich hin?
Die Schreib-Art aller dieſer Gedichte muß nach Be-
ſchaffenheit der Sachen und Perſonen, davon ſie handeln,
bald praͤchtig und erhaben, bald ſinnreich und nachdencklich;
bald pathetiſch, bald auch natuͤrlich werden. Die langen
jambiſchen Verſe mit ungetrennten Reimen ſchicken ſich am
beſten dazu, man mag ſie nun entweder in einem hinterein-
ander fort laufen laſſen, und nur zuweilen an bequemen Orten
einen Abſatz machen, oder auch acht oder zehnzeilichte Stro-
phen machen, wie Neukirch in vielen Gedichten gethan
hat, die man ſich aber dem Jnnhalte und der Schreib-Art
nach nicht zum Muſter nehmen muß; weil es Wercke ſeiner
hitzigen Jugend ſind, da er noch dem Lohenſteiniſchen Ge-
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/548>, abgerufen am 25.11.2024.
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