Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite

Von dogmatischen Poesien.
Classe gewiß eins von den schönsten und erbaulichsten ist, die
ich je gelesen habe.

Nichts ist übrig, als daß ich noch ein Wort von grossen
Lob-Schrifften beyfüge. Von diesen gilt fast alles, was von
den obigen gesagt worden. Opitz hat auf den König in Poh-
len und Schweden, ingleichen auf den Hertzog zu Hollstein
dergleichen gemacht, so uns zu Mustern dienen können. Sei-
ne Lob-Gesänge auf den Mars und Bachus, ingleichen auf die
Geburt Christi u. d. g. sind auch bekannt. Was sind nicht
unter seinen und seiner Nachfolger, Flemmings, Dachs,
Tschernings, Franckens, Bessers, Neukirchs, Amthors und
Günthers Schrifften vor eine Menge solcher Poesien, darinn
sie ausführliche Lob-Redner ihrer Helden abgeben. Alle
diese poetische Stücke, sind nicht dem Jnnhalte, sondern nur
der äußerlichen Form nach poetisch: Es wäre denn, daß sie
auch in eine Fabel eingekleidet wären, oder hier und da durch
poetische Zierrathe sehr ausstaffiret würden. Was dabey
überhaupt zu beobachten ist, kan man mit wenig Worten
sagen.

Zuförderst muß der, so jemanden loben will, wissen, was
vor Eigenschafften eigentlich ein wahres Lob verdienen; denn
sonst läuft er Gefahr, auch scheinbare Laster als grosse Tu-
genden heraus zu streichen, und dadurch bey den Verständi-
gen zum Gelächter zu werden; bey Unverständigen aber viel
Schaden zu stifften. Zweytens muß man den Character
derjenigen Person wohl kennen, die man loben will: damit
man ihr nicht unrechte Eigenschafften beylege. Denn aus
den allgemeinen Qvellen der Lob-Sprüche solche Schmeiche-
leyen zu schöpfen, die sich auf hundert andere eben so wohl
schicken, als auf den, so man nennet; das heißt kein rech-
tes Lob, sondern eine niederträchtige Lobe-Sucht,

Da keiner Weisheit Spur,
Kein Saltz noch Eßig ist, als bloß der Fuchs-Schwantz nur.

wie Rachelius sie beschreibt. Eine rechte Lob-Schrifft muß
sich gantz sonderbar auf denjenigen Helden schicken, den man
lobt, und auf keinen andern gebraucht werden können. Es ist
Gratulanten-mäßig, wenn man auf alle seine Gönner gleich-

sam
K k 4

Von dogmatiſchen Poeſien.
Claſſe gewiß eins von den ſchoͤnſten und erbaulichſten iſt, die
ich je geleſen habe.

Nichts iſt uͤbrig, als daß ich noch ein Wort von groſſen
Lob-Schrifften beyfuͤge. Von dieſen gilt faſt alles, was von
den obigen geſagt worden. Opitz hat auf den Koͤnig in Poh-
len und Schweden, ingleichen auf den Hertzog zu Hollſtein
dergleichen gemacht, ſo uns zu Muſtern dienen koͤnnen. Sei-
ne Lob-Geſaͤnge auf den Mars und Bachus, ingleichen auf die
Geburt Chriſti u. d. g. ſind auch bekannt. Was ſind nicht
unter ſeinen und ſeiner Nachfolger, Flemmings, Dachs,
Tſchernings, Franckens, Beſſers, Neukirchs, Amthors und
Guͤnthers Schrifften vor eine Menge ſolcher Poeſien, darinn
ſie ausfuͤhrliche Lob-Redner ihrer Helden abgeben. Alle
dieſe poetiſche Stuͤcke, ſind nicht dem Jnnhalte, ſondern nur
der aͤußerlichen Form nach poetiſch: Es waͤre denn, daß ſie
auch in eine Fabel eingekleidet waͤren, oder hier und da durch
poetiſche Zierrathe ſehr ausſtaffiret wuͤrden. Was dabey
uͤberhaupt zu beobachten iſt, kan man mit wenig Worten
ſagen.

Zufoͤrderſt muß der, ſo jemanden loben will, wiſſen, was
vor Eigenſchafften eigentlich ein wahres Lob verdienen; denn
ſonſt laͤuft er Gefahr, auch ſcheinbare Laſter als groſſe Tu-
genden heraus zu ſtreichen, und dadurch bey den Verſtaͤndi-
gen zum Gelaͤchter zu werden; bey Unverſtaͤndigen aber viel
Schaden zu ſtifften. Zweytens muß man den Character
derjenigen Perſon wohl kennen, die man loben will: damit
man ihr nicht unrechte Eigenſchafften beylege. Denn aus
den allgemeinen Qvellen der Lob-Spruͤche ſolche Schmeiche-
leyen zu ſchoͤpfen, die ſich auf hundert andere eben ſo wohl
ſchicken, als auf den, ſo man nennet; das heißt kein rech-
tes Lob, ſondern eine niedertraͤchtige Lobe-Sucht,

Da keiner Weisheit Spur,
Kein Saltz noch Eßig iſt, als bloß der Fuchs-Schwantz nur.

wie Rachelius ſie beſchreibt. Eine rechte Lob-Schrifft muß
ſich gantz ſonderbar auf denjenigen Helden ſchicken, den man
lobt, und auf keinen andern gebraucht werden koͤnnen. Es iſt
Gratulanten-maͤßig, wenn man auf alle ſeine Goͤnner gleich-

ſam
K k 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0547" n="519"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von dogmati&#x017F;chen Poe&#x017F;ien.</hi></fw><lb/>
Cla&#x017F;&#x017F;e gewiß eins von den &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten und erbaulich&#x017F;ten i&#x017F;t, die<lb/>
ich je gele&#x017F;en habe.</p><lb/>
          <p>Nichts i&#x017F;t u&#x0364;brig, als daß ich noch ein Wort von gro&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Lob-Schrifften beyfu&#x0364;ge. Von die&#x017F;en gilt fa&#x017F;t alles, was von<lb/>
den obigen ge&#x017F;agt worden. Opitz hat auf den Ko&#x0364;nig in Poh-<lb/>
len und Schweden, ingleichen auf den Hertzog zu Holl&#x017F;tein<lb/>
dergleichen gemacht, &#x017F;o uns zu Mu&#x017F;tern dienen ko&#x0364;nnen. Sei-<lb/>
ne Lob-Ge&#x017F;a&#x0364;nge auf den Mars und Bachus, ingleichen auf die<lb/>
Geburt Chri&#x017F;ti u. d. g. &#x017F;ind auch bekannt. Was &#x017F;ind nicht<lb/>
unter &#x017F;einen und &#x017F;einer Nachfolger, Flemmings, Dachs,<lb/>
T&#x017F;chernings, Franckens, Be&#x017F;&#x017F;ers, Neukirchs, Amthors und<lb/>
Gu&#x0364;nthers Schrifften vor eine Menge &#x017F;olcher Poe&#x017F;ien, darinn<lb/>
&#x017F;ie ausfu&#x0364;hrliche Lob-Redner ihrer Helden abgeben. Alle<lb/>
die&#x017F;e poeti&#x017F;che Stu&#x0364;cke, &#x017F;ind nicht dem Jnnhalte, &#x017F;ondern nur<lb/>
der a&#x0364;ußerlichen Form nach poeti&#x017F;ch: Es wa&#x0364;re denn, daß &#x017F;ie<lb/>
auch in eine Fabel eingekleidet wa&#x0364;ren, oder hier und da durch<lb/>
poeti&#x017F;che Zierrathe &#x017F;ehr aus&#x017F;taffiret wu&#x0364;rden. Was dabey<lb/>
u&#x0364;berhaupt zu beobachten i&#x017F;t, kan man mit wenig Worten<lb/>
&#x017F;agen.</p><lb/>
          <p>Zufo&#x0364;rder&#x017F;t muß der, &#x017F;o jemanden loben will, wi&#x017F;&#x017F;en, was<lb/>
vor Eigen&#x017F;chafften eigentlich ein wahres Lob verdienen; denn<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t la&#x0364;uft er Gefahr, auch &#x017F;cheinbare La&#x017F;ter als gro&#x017F;&#x017F;e Tu-<lb/>
genden heraus zu &#x017F;treichen, und dadurch bey den Ver&#x017F;ta&#x0364;ndi-<lb/>
gen zum Gela&#x0364;chter zu werden; bey Unver&#x017F;ta&#x0364;ndigen aber viel<lb/>
Schaden zu &#x017F;tifften. Zweytens muß man den Character<lb/>
derjenigen Per&#x017F;on wohl kennen, die man loben will: damit<lb/>
man ihr nicht unrechte Eigen&#x017F;chafften beylege. Denn aus<lb/>
den allgemeinen Qvellen der Lob-Spru&#x0364;che &#x017F;olche Schmeiche-<lb/>
leyen zu &#x017F;cho&#x0364;pfen, die &#x017F;ich auf hundert andere eben &#x017F;o wohl<lb/>
&#x017F;chicken, als auf den, &#x017F;o man nennet; das heißt kein rech-<lb/>
tes Lob, &#x017F;ondern eine niedertra&#x0364;chtige Lobe-Sucht,</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l> <hi rendition="#et">Da keiner Weisheit Spur,</hi> </l><lb/>
            <l>Kein Saltz noch Eßig i&#x017F;t, als bloß der Fuchs-Schwantz nur.</l>
          </lg><lb/>
          <p>wie Rachelius &#x017F;ie be&#x017F;chreibt. Eine rechte Lob-Schrifft muß<lb/>
&#x017F;ich gantz &#x017F;onderbar auf denjenigen Helden &#x017F;chicken, den man<lb/>
lobt, und auf keinen andern gebraucht werden ko&#x0364;nnen. Es i&#x017F;t<lb/>
Gratulanten-ma&#x0364;ßig, wenn man auf alle &#x017F;eine Go&#x0364;nner gleich-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K k 4</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;am</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[519/0547] Von dogmatiſchen Poeſien. Claſſe gewiß eins von den ſchoͤnſten und erbaulichſten iſt, die ich je geleſen habe. Nichts iſt uͤbrig, als daß ich noch ein Wort von groſſen Lob-Schrifften beyfuͤge. Von dieſen gilt faſt alles, was von den obigen geſagt worden. Opitz hat auf den Koͤnig in Poh- len und Schweden, ingleichen auf den Hertzog zu Hollſtein dergleichen gemacht, ſo uns zu Muſtern dienen koͤnnen. Sei- ne Lob-Geſaͤnge auf den Mars und Bachus, ingleichen auf die Geburt Chriſti u. d. g. ſind auch bekannt. Was ſind nicht unter ſeinen und ſeiner Nachfolger, Flemmings, Dachs, Tſchernings, Franckens, Beſſers, Neukirchs, Amthors und Guͤnthers Schrifften vor eine Menge ſolcher Poeſien, darinn ſie ausfuͤhrliche Lob-Redner ihrer Helden abgeben. Alle dieſe poetiſche Stuͤcke, ſind nicht dem Jnnhalte, ſondern nur der aͤußerlichen Form nach poetiſch: Es waͤre denn, daß ſie auch in eine Fabel eingekleidet waͤren, oder hier und da durch poetiſche Zierrathe ſehr ausſtaffiret wuͤrden. Was dabey uͤberhaupt zu beobachten iſt, kan man mit wenig Worten ſagen. Zufoͤrderſt muß der, ſo jemanden loben will, wiſſen, was vor Eigenſchafften eigentlich ein wahres Lob verdienen; denn ſonſt laͤuft er Gefahr, auch ſcheinbare Laſter als groſſe Tu- genden heraus zu ſtreichen, und dadurch bey den Verſtaͤndi- gen zum Gelaͤchter zu werden; bey Unverſtaͤndigen aber viel Schaden zu ſtifften. Zweytens muß man den Character derjenigen Perſon wohl kennen, die man loben will: damit man ihr nicht unrechte Eigenſchafften beylege. Denn aus den allgemeinen Qvellen der Lob-Spruͤche ſolche Schmeiche- leyen zu ſchoͤpfen, die ſich auf hundert andere eben ſo wohl ſchicken, als auf den, ſo man nennet; das heißt kein rech- tes Lob, ſondern eine niedertraͤchtige Lobe-Sucht, Da keiner Weisheit Spur, Kein Saltz noch Eßig iſt, als bloß der Fuchs-Schwantz nur. wie Rachelius ſie beſchreibt. Eine rechte Lob-Schrifft muß ſich gantz ſonderbar auf denjenigen Helden ſchicken, den man lobt, und auf keinen andern gebraucht werden koͤnnen. Es iſt Gratulanten-maͤßig, wenn man auf alle ſeine Goͤnner gleich- ſam K k 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/547
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/547>, abgerufen am 22.11.2024.