Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.Des II Theils VII Capitel Auf den Tod Herrn Bossecks eines meiner Philosophischen Zuhörer. 1727. Sonnet. WEr GOtt und Welt und Geist und seine Pflicht nicht kennt, Vermehrt aus Unverstand die Anzahl wilder Thiere. O daß uns Menschen nur der Schimpf nicht wiederführe, Daß offt die Dummheit selbst ihr Wesen menschlich nennt. Mein Bosseck, den das Grab so bald von uns getrennt, Geliebter, den ich früh, ach allzufrüh verliere, Erlaube, daß mein Kiel dein wahres Lob berühre. Dein Hertz hat vor Begier zur Wissenschafft gebrennt. Jhr Musen, klagt mit mir! Jhr Musen, tröstet mich. Jhr wißt wie eifrig er Minervens Brust gesogen, Und allem in der Welt die Weisheit vorgezogen. Doch nein, beklagt ihn nicht. Sein Zustand bessert sich, Der Tod erweitert nur des Geistes enge Schrancken, Nun schwebt ihm GOtt und Welt auf ewig in Gedancken. Auf Herrn Försters, meines Zuhörers in der Redekunst, Magister-Promotion. 1727. Sonnet. MEin Förster, wer wie du, mit Witz und Fähigkeit Und unverdroßnem Fleiß der Weisheit nachgegangen, Der kan ja wohl mit Recht den Lorber-Schmuck erlangen, Den Phöbus und sein Chor den Musen-Söhnen beut. Du blendst Minerven nicht durch ein verbremtes Kleid, Du hast dir nicht den Ruhm der Ahnen umgehangen, Man sieht dich anders nicht, als mit Verdiensten prangen, Und die verbirgst du noch durch die Bescheidenheit. Wie würdig bist du denn, daß der Magister-Krantz, Dem mancher finstre Kopf der Farben hohen Glantz Durch seine Schatten schwächt, dein lichtes Haupt bedecket! Glück zu, gelehrter Freund! zeuch in dein Vaterland, Und mache nach und nach gantz Schlesien bekannt, Was vor Verstand und Witz in deinem Geiste stecket. Ein
Des II Theils VII Capitel Auf den Tod Herrn Boſſecks eines meiner Philoſophiſchen Zuhoͤrer. 1727. Sonnet. WEr GOtt und Welt und Geiſt und ſeine Pflicht nicht kennt, Vermehrt aus Unverſtand die Anzahl wilder Thiere. O daß uns Menſchen nur der Schimpf nicht wiederfuͤhre, Daß offt die Dummheit ſelbſt ihr Weſen menſchlich nennt. Mein Boſſeck, den das Grab ſo bald von uns getrennt, Geliebter, den ich fruͤh, ach allzufruͤh verliere, Erlaube, daß mein Kiel dein wahres Lob beruͤhre. Dein Hertz hat vor Begier zur Wiſſenſchafft gebrennt. Jhr Muſen, klagt mit mir! Jhr Muſen, troͤſtet mich. Jhr wißt wie eifrig er Minervens Bruſt geſogen, Und allem in der Welt die Weisheit vorgezogen. Doch nein, beklagt ihn nicht. Sein Zuſtand beſſert ſich, Der Tod erweitert nur des Geiſtes enge Schrancken, Nun ſchwebt ihm GOtt und Welt auf ewig in Gedancken. Auf Herrn Foͤrſters, meines Zuhoͤrers in der Redekunſt, Magiſter-Promotion. 1727. Sonnet. MEin Foͤrſter, wer wie du, mit Witz und Faͤhigkeit Und unverdroßnem Fleiß der Weisheit nachgegangen, Der kan ja wohl mit Recht den Lorber-Schmuck erlangen, Den Phoͤbus und ſein Chor den Muſen-Soͤhnen beut. Du blendſt Minerven nicht durch ein verbremtes Kleid, Du haſt dir nicht den Ruhm der Ahnen umgehangen, Man ſieht dich anders nicht, als mit Verdienſten prangen, Und die verbirgſt du noch durch die Beſcheidenheit. Wie wuͤrdig biſt du denn, daß der Magiſter-Krantz, Dem mancher finſtre Kopf der Farben hohen Glantz Durch ſeine Schatten ſchwaͤcht, dein lichtes Haupt bedecket! Gluͤck zu, gelehrter Freund! zeuch in dein Vaterland, Und mache nach und nach gantz Schleſien bekannt, Was vor Verſtand und Witz in deinem Geiſte ſtecket. Ein
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Des II Theils VII Capitel
Auf den Tod Herrn Boſſecks eines meiner
Philoſophiſchen Zuhoͤrer. 1727.
Sonnet.
WEr GOtt und Welt und Geiſt und ſeine Pflicht nicht kennt,
Vermehrt aus Unverſtand die Anzahl wilder Thiere.
O daß uns Menſchen nur der Schimpf nicht wiederfuͤhre,
Daß offt die Dummheit ſelbſt ihr Weſen menſchlich nennt.
Mein Boſſeck, den das Grab ſo bald von uns getrennt,
Geliebter, den ich fruͤh, ach allzufruͤh verliere,
Erlaube, daß mein Kiel dein wahres Lob beruͤhre.
Dein Hertz hat vor Begier zur Wiſſenſchafft gebrennt.
Jhr Muſen, klagt mit mir! Jhr Muſen, troͤſtet mich.
Jhr wißt wie eifrig er Minervens Bruſt geſogen,
Und allem in der Welt die Weisheit vorgezogen.
Doch nein, beklagt ihn nicht. Sein Zuſtand beſſert ſich,
Der Tod erweitert nur des Geiſtes enge Schrancken,
Nun ſchwebt ihm GOtt und Welt auf ewig in Gedancken.
Auf Herrn Foͤrſters, meines Zuhoͤrers in der Redekunſt,
Magiſter-Promotion. 1727.
Sonnet.
MEin Foͤrſter, wer wie du, mit Witz und Faͤhigkeit
Und unverdroßnem Fleiß der Weisheit nachgegangen,
Der kan ja wohl mit Recht den Lorber-Schmuck erlangen,
Den Phoͤbus und ſein Chor den Muſen-Soͤhnen beut.
Du blendſt Minerven nicht durch ein verbremtes Kleid,
Du haſt dir nicht den Ruhm der Ahnen umgehangen,
Man ſieht dich anders nicht, als mit Verdienſten prangen,
Und die verbirgſt du noch durch die Beſcheidenheit.
Wie wuͤrdig biſt du denn, daß der Magiſter-Krantz,
Dem mancher finſtre Kopf der Farben hohen Glantz
Durch ſeine Schatten ſchwaͤcht, dein lichtes Haupt bedecket!
Gluͤck zu, gelehrter Freund! zeuch in dein Vaterland,
Und mache nach und nach gantz Schleſien bekannt,
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