die Liebhaber der Rätzel vor Unflätereyen warnen. Nichts ist gemeiner, als daß schmutzige Verßmacher ihre Leser vor ih- res Gleichen ansehen, und ihnen alle die Zoten zu lesen geben, die sie selbst gern haben. Allein, wenn sie nicht anders, als durch solche unanständige Zweydeutigkeiten zu schertzen wis- sen, mögen sie sich mit ihren Schertzgedichten entweder in eine Dorfschencke machen; oder gar damit zu Hause bleiben.
Man pflegt zum Schertze auch Knittelverße zu machen, das ist, solche altfränckische, achtsylbige, gestümpelte Reime, als man vor Opitzens Zeiten gemacht. Die Schönheit dieser Verße besteht darinn, daß sie wohl nachgeahmet seyn. Wer also dergleichen machen will, muß den Theuerdanck, Hans Sachs, Froschmäuseler und Reincke Fuchs fleißig lesen; und sich bemühen, die altfränckischen Wörter, Rei- me und Redensarten, imgleichen eine gewisse ungekünstelte natürliche Einfalt der Gedancken, nebst der vormahligen Rechtschreibung der Alten recht nachzuahmen. Jch habe es ein paarmahl versucht, aber das erste ist mir ohne Zweifel so gut nicht gerathen, als das andre, weil es noch zu neumo- disch ist. Canitzens Schreiben an einen guten Freund, Mein lieber Bruder zürne nicht etc. ist auch meines Erach- tens zu zierlich und gekünstelt; ob es gleich sehr viel schönes an sich hat.
Endlich kommt auch die Reyhe ans Quodlibet. Die- ses ist nichts anders, als ein Mischmasch von einer Menge kleiner Satiren, die ohne Ordnung und Zusammenhang auf einander folgen. Man nimmt dazu gemeiniglich eine ungleich lange Art von Verßen, die man Madrigalische, Recitativische, oder die Poesie der Faulen nennen könnte. Diese ist der ungemessenen Freyheit der Gedancken, so in Quodlibeten herrschet, am bequemsten. Wollte man aber ein Quodlibet zum Singen machen; so müste mans wohl in Strophen abtheilen, die einander gleich wären, und sich zu einer gewissen Melodie schickten. Viele meynen, ein Quodlibet müsse nur ein Haufe ungereimter Einfälle, ohne Sinn und Verstand, eine Vermischung der wiedrigsten Dinge, mit einem Worte, die Geburt eines rasenden Ge-
hir-
Des II Theils VII Capitel
die Liebhaber der Raͤtzel vor Unflaͤtereyen warnen. Nichts iſt gemeiner, als daß ſchmutzige Verßmacher ihre Leſer vor ih- res Gleichen anſehen, und ihnen alle die Zoten zu leſen geben, die ſie ſelbſt gern haben. Allein, wenn ſie nicht anders, als durch ſolche unanſtaͤndige Zweydeutigkeiten zu ſchertzen wiſ- ſen, moͤgen ſie ſich mit ihren Schertzgedichten entweder in eine Dorfſchencke machen; oder gar damit zu Hauſe bleiben.
Man pflegt zum Schertze auch Knittelverße zu machen, das iſt, ſolche altfraͤnckiſche, achtſylbige, geſtuͤmpelte Reime, als man vor Opitzens Zeiten gemacht. Die Schoͤnheit dieſer Verße beſteht darinn, daß ſie wohl nachgeahmet ſeyn. Wer alſo dergleichen machen will, muß den Theuerdanck, Hans Sachs, Froſchmaͤuſeler und Reincke Fuchs fleißig leſen; und ſich bemuͤhen, die altfraͤnckiſchen Woͤrter, Rei- me und Redensarten, imgleichen eine gewiſſe ungekuͤnſtelte natuͤrliche Einfalt der Gedancken, nebſt der vormahligen Rechtſchreibung der Alten recht nachzuahmen. Jch habe es ein paarmahl verſucht, aber das erſte iſt mir ohne Zweifel ſo gut nicht gerathen, als das andre, weil es noch zu neumo- diſch iſt. Canitzens Schreiben an einen guten Freund, Mein lieber Bruder zuͤrne nicht ꝛc. iſt auch meines Erach- tens zu zierlich und gekuͤnſtelt; ob es gleich ſehr viel ſchoͤnes an ſich hat.
Endlich kommt auch die Reyhe ans Quodlibet. Die- ſes iſt nichts anders, als ein Miſchmaſch von einer Menge kleiner Satiren, die ohne Ordnung und Zuſammenhang auf einander folgen. Man nimmt dazu gemeiniglich eine ungleich lange Art von Verßen, die man Madrigaliſche, Recitativiſche, oder die Poeſie der Faulen nennen koͤnnte. Dieſe iſt der ungemeſſenen Freyheit der Gedancken, ſo in Quodlibeten herrſchet, am bequemſten. Wollte man aber ein Quodlibet zum Singen machen; ſo muͤſte mans wohl in Strophen abtheilen, die einander gleich waͤren, und ſich zu einer gewiſſen Melodie ſchickten. Viele meynen, ein Quodlibet muͤſſe nur ein Haufe ungereimter Einfaͤlle, ohne Sinn und Verſtand, eine Vermiſchung der wiedrigſten Dinge, mit einem Worte, die Geburt eines raſenden Ge-
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Des II Theils VII Capitel
die Liebhaber der Raͤtzel vor Unflaͤtereyen warnen. Nichts
iſt gemeiner, als daß ſchmutzige Verßmacher ihre Leſer vor ih-
res Gleichen anſehen, und ihnen alle die Zoten zu leſen geben,
die ſie ſelbſt gern haben. Allein, wenn ſie nicht anders, als
durch ſolche unanſtaͤndige Zweydeutigkeiten zu ſchertzen wiſ-
ſen, moͤgen ſie ſich mit ihren Schertzgedichten entweder in eine
Dorfſchencke machen; oder gar damit zu Hauſe bleiben.
Man pflegt zum Schertze auch Knittelverße zu machen,
das iſt, ſolche altfraͤnckiſche, achtſylbige, geſtuͤmpelte Reime,
als man vor Opitzens Zeiten gemacht. Die Schoͤnheit
dieſer Verße beſteht darinn, daß ſie wohl nachgeahmet ſeyn.
Wer alſo dergleichen machen will, muß den Theuerdanck,
Hans Sachs, Froſchmaͤuſeler und Reincke Fuchs fleißig
leſen; und ſich bemuͤhen, die altfraͤnckiſchen Woͤrter, Rei-
me und Redensarten, imgleichen eine gewiſſe ungekuͤnſtelte
natuͤrliche Einfalt der Gedancken, nebſt der vormahligen
Rechtſchreibung der Alten recht nachzuahmen. Jch habe es
ein paarmahl verſucht, aber das erſte iſt mir ohne Zweifel
ſo gut nicht gerathen, als das andre, weil es noch zu neumo-
diſch iſt. Canitzens Schreiben an einen guten Freund,
Mein lieber Bruder zuͤrne nicht ꝛc. iſt auch meines Erach-
tens zu zierlich und gekuͤnſtelt; ob es gleich ſehr viel ſchoͤnes
an ſich hat.
Endlich kommt auch die Reyhe ans Quodlibet. Die-
ſes iſt nichts anders, als ein Miſchmaſch von einer Menge
kleiner Satiren, die ohne Ordnung und Zuſammenhang
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ungleich lange Art von Verßen, die man Madrigaliſche,
Recitativiſche, oder die Poeſie der Faulen nennen koͤnnte.
Dieſe iſt der ungemeſſenen Freyheit der Gedancken, ſo in
Quodlibeten herrſchet, am bequemſten. Wollte man aber
ein Quodlibet zum Singen machen; ſo muͤſte mans wohl
in Strophen abtheilen, die einander gleich waͤren, und ſich
zu einer gewiſſen Melodie ſchickten. Viele meynen, ein
Quodlibet muͤſſe nur ein Haufe ungereimter Einfaͤlle, ohne
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/520>, abgerufen am 22.11.2024.
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