lich sind, fallen mir ein paar ein, davon eins auf den Nostra- damus, das andre auf den Erasmus gemacht war. Jenes hub an: Nostra damus dum falsa damus &c. Das andre sagte, den Erasmus hätte der Tod uns zwar rauben können, und schloß: Sed desiderium tollere non potuit. Doch wenn die gantze Welt nach meinem Sinn urtheilete, so würde man auch diese vor thöricht erklären.
Man braucht die Sinngedichte zu Unter- oder Uber- schrifften bey Gemählden, zu Grabschrifften, zu Jllumina- tionen, Ehrenpforten, oder wo man sonst will. Gemei- niglich loben oder tadeln sie etwas; zuweilen aber ist der Ge- dancke auch nur wegen seines Nachdruckes, oder der Neuig- keit halber angenehm. Ein lobendes war jenes auf des Königs in Franckreich Residentz-Schloß:
Par vrbi domus est, vrbs orbi, neutra triumphis, Et belli & pacis par Ludovice tuis. Dein Haus kan man der Stadt, die Stadt der Welt vergleichen, Doch beydes, Ludewig, muß deinen Siegen weichen.
Ein tadelndes mag folgendes abgeben:
In mare cornutos jaciendos, Pontius inquit. Pontia respondet: disce natare prius. Ersäuft, was Hörner trägt! schreyt Mops mit lauter Stimmen: Ach Schatz, versetzt sein Weib: So lernt beyzeiten schwimmen.
Von der dritten Art darf man die Exempel nur in Catonis moralischen Lehrverßen suchen; davon Opitz viele sehr rein und glücklich ins Deutsche übersetzt hat. Uberhaupt kan man auch Tschernings Frühling nachsehen; wo viel artiges, theils neues, theils übersetztes vorkommt.
Aus diesen wenigen angeführten Exempeln, da ich von Lateinischen Sinngedichten lauter zweyzeilichte Ubersetzun- gen gegeben, wird man leicht sehen, daß unsre Sprache nicht eben so ungeschickt zu einem kurtzgefaßten und scharfsinni- gen Ausdrucke sey, als wohl einige dencken. Ja man könnte vielmehr einem Lateiner zu thun machen, eine jede ursprünglich deutsch abgefaßte Uberschrifft, in eben so viel gleichlangen Zeilen zu geben. Man hat aber in dieser Art hauptsächlich auf die Kürtze zu sehen, in so weit dieselbe mit
der
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Von Sinn- und Schertzgedichten.
lich ſind, fallen mir ein paar ein, davon eins auf den Noſtra- damus, das andre auf den Erasmus gemacht war. Jenes hub an: Noſtra damus dum falſa damus &c. Das andre ſagte, den Erasmus haͤtte der Tod uns zwar rauben koͤnnen, und ſchloß: Sed deſiderium tollere non potuit. Doch wenn die gantze Welt nach meinem Sinn urtheilete, ſo wuͤrde man auch dieſe vor thoͤricht erklaͤren.
Man braucht die Sinngedichte zu Unter- oder Uber- ſchrifften bey Gemaͤhlden, zu Grabſchrifften, zu Jllumina- tionen, Ehrenpforten, oder wo man ſonſt will. Gemei- niglich loben oder tadeln ſie etwas; zuweilen aber iſt der Ge- dancke auch nur wegen ſeines Nachdruckes, oder der Neuig- keit halber angenehm. Ein lobendes war jenes auf des Koͤnigs in Franckreich Reſidentz-Schloß:
Par vrbi domus eſt, vrbs orbi, neutra triumphis, Et belli & pacis par Ludovice tuis. Dein Haus kan man der Stadt, die Stadt der Welt vergleichen, Doch beydes, Ludewig, muß deinen Siegen weichen.
Ein tadelndes mag folgendes abgeben:
In mare cornutos jaciendos, Pontius inquit. Pontia reſpondet: diſce natare prius. Erſaͤuft, was Hoͤrner traͤgt! ſchreyt Mops mit lauter Stimmen: Ach Schatz, verſetzt ſein Weib: So lernt beyzeiten ſchwimmen.
Von der dritten Art darf man die Exempel nur in Catonis moraliſchen Lehrverßen ſuchen; davon Opitz viele ſehr rein und gluͤcklich ins Deutſche uͤberſetzt hat. Uberhaupt kan man auch Tſchernings Fruͤhling nachſehen; wo viel artiges, theils neues, theils uͤberſetztes vorkommt.
Aus dieſen wenigen angefuͤhrten Exempeln, da ich von Lateiniſchen Sinngedichten lauter zweyzeilichte Uberſetzun- gen gegeben, wird man leicht ſehen, daß unſre Sprache nicht eben ſo ungeſchickt zu einem kurtzgefaßten und ſcharfſinni- gen Ausdrucke ſey, als wohl einige dencken. Ja man koͤnnte vielmehr einem Lateiner zu thun machen, eine jede urſpruͤnglich deutſch abgefaßte Uberſchrifft, in eben ſo viel gleichlangen Zeilen zu geben. Man hat aber in dieſer Art hauptſaͤchlich auf die Kuͤrtze zu ſehen, in ſo weit dieſelbe mit
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Von Sinn- und Schertzgedichten.
lich ſind, fallen mir ein paar ein, davon eins auf den Noſtra-
damus, das andre auf den Erasmus gemacht war. Jenes
hub an: Noſtra damus dum falſa damus &c. Das andre
ſagte, den Erasmus haͤtte der Tod uns zwar rauben koͤnnen,
und ſchloß: Sed deſiderium tollere non potuit. Doch wenn
die gantze Welt nach meinem Sinn urtheilete, ſo wuͤrde
man auch dieſe vor thoͤricht erklaͤren.
Man braucht die Sinngedichte zu Unter- oder Uber-
ſchrifften bey Gemaͤhlden, zu Grabſchrifften, zu Jllumina-
tionen, Ehrenpforten, oder wo man ſonſt will. Gemei-
niglich loben oder tadeln ſie etwas; zuweilen aber iſt der Ge-
dancke auch nur wegen ſeines Nachdruckes, oder der Neuig-
keit halber angenehm. Ein lobendes war jenes auf des
Koͤnigs in Franckreich Reſidentz-Schloß:
Par vrbi domus eſt, vrbs orbi, neutra triumphis,
Et belli & pacis par Ludovice tuis.
Dein Haus kan man der Stadt, die Stadt der Welt vergleichen,
Doch beydes, Ludewig, muß deinen Siegen weichen.
Ein tadelndes mag folgendes abgeben:
In mare cornutos jaciendos, Pontius inquit.
Pontia reſpondet: diſce natare prius.
Erſaͤuft, was Hoͤrner traͤgt! ſchreyt Mops mit lauter Stimmen:
Ach Schatz, verſetzt ſein Weib: So lernt beyzeiten ſchwimmen.
Von der dritten Art darf man die Exempel nur in Catonis
moraliſchen Lehrverßen ſuchen; davon Opitz viele ſehr rein
und gluͤcklich ins Deutſche uͤberſetzt hat. Uberhaupt kan
man auch Tſchernings Fruͤhling nachſehen; wo viel artiges,
theils neues, theils uͤberſetztes vorkommt.
Aus dieſen wenigen angefuͤhrten Exempeln, da ich von
Lateiniſchen Sinngedichten lauter zweyzeilichte Uberſetzun-
gen gegeben, wird man leicht ſehen, daß unſre Sprache nicht
eben ſo ungeſchickt zu einem kurtzgefaßten und ſcharfſinni-
gen Ausdrucke ſey, als wohl einige dencken. Ja man
koͤnnte vielmehr einem Lateiner zu thun machen, eine jede
urſpruͤnglich deutſch abgefaßte Uberſchrifft, in eben ſo viel
gleichlangen Zeilen zu geben. Man hat aber in dieſer Art
hauptſaͤchlich auf die Kuͤrtze zu ſehen, in ſo weit dieſelbe mit
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/513>, abgerufen am 22.11.2024.
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