Ausser diesen wahren Scharfsinnigkeiten, da der Witz mit den Sachen beschäfftiget ist, giebt es noch viel andre, die in blossen Wortspielen bestehen. Zum Ex. Ein Schü- ler der Jesuiten in Franckreich hat seinen Lehrern zu Eh- ren folgendes gemacht. Man muß aber wissen, daß ihre beyde berühmteste Schulen zu Dole und la Fleche sind, davon jene einen Bogen, und diese einen Pfeil im Wapen führt.
Arcum Dola dedit Patribus: dedit alma sagittam, Flexia. Quis funem, quem meruere dabit?
Hier will man dem Scheine nach sagen: Bogen und Pfeile hätten die Jesuiten schon an ihren zwey berühmten Schulen. Nun fehle ihnen nichts mehr, als die Sehne zum Bogen, das ist die dritte Schule. Weil aber das Wort Funis zweydeu- tig ist: So kan es auch heissen, wer wird ihnen zu dem längstverdienten Stricke, d. i. an den Galgen verhelfen? Hier ist die Absicht boßhafft genug, aber der gantze Witz kommt nur auf die Worte und nicht auf die Sache an.
So sehr nun der gute Geschmack den Wortspielen über- haupt zu wieder ist, so hat mans doch in solchen Sinngedich- ten nicht eben so genau nehmen wollen. So gar Boileau hat dieses verstattet, wenn er schreibt:
La Raison outragee enfin ouvrit les yeux, La chassa pour jamais des discours serieux, Et dans tous les ecrits le declarant infame, Par grace lui laissa l'entree en l'Epigramme. Peurvau que sa finesse eclatant a propos, Roula sur la pensee & non pas sur les mots.
Man sieht aber wohl, daß er auch in Wortspielen, die Spitz- findigkeit in den Gedancken, nicht aber in den Worten allein gesucht haben will: denn gleich darauf schimpft er auf die Pritschmeister, so noch bey Hofe geblieben, und nennt sie
Insipides Plaisans, Bouffons infortunez, D'un jeu de mots grossier partisans surannez.
Will man Exempel von solchem elenden Zeuge haben, so lese man das XL. Stück im II. Theil der vern. Tadlerinnen, wo etliche von der Gattung beurtheilet worden, die gewiß recht kindisch und lächerlich sind. Von solchen aber die erträg-
lich
Des II Theils VII Capitel
Auſſer dieſen wahren Scharfſinnigkeiten, da der Witz mit den Sachen beſchaͤfftiget iſt, giebt es noch viel andre, die in bloſſen Wortſpielen beſtehen. Zum Ex. Ein Schuͤ- ler der Jeſuiten in Franckreich hat ſeinen Lehrern zu Eh- ren folgendes gemacht. Man muß aber wiſſen, daß ihre beyde beruͤhmteſte Schulen zu Dole und la Fleche ſind, davon jene einen Bogen, und dieſe einen Pfeil im Wapen fuͤhrt.
Arcum Dola dedit Patribus: dedit alma ſagittam, Flexia. Quis funem, quem meruere dabit?
Hier will man dem Scheine nach ſagen: Bogen und Pfeile haͤtten die Jeſuiten ſchon an ihren zwey beruͤhmten Schulen. Nun fehle ihnen nichts mehr, als die Sehne zum Bogen, das iſt die dritte Schule. Weil aber das Wort Funis zweydeu- tig iſt: So kan es auch heiſſen, wer wird ihnen zu dem laͤngſtverdienten Stricke, d. i. an den Galgen verhelfen? Hier iſt die Abſicht boßhafft genug, aber der gantze Witz kommt nur auf die Worte und nicht auf die Sache an.
So ſehr nun der gute Geſchmack den Wortſpielen uͤber- haupt zu wieder iſt, ſo hat mans doch in ſolchen Sinngedich- ten nicht eben ſo genau nehmen wollen. So gar Boileau hat dieſes verſtattet, wenn er ſchreibt:
La Raiſon outragée enfin ouvrit les yeux, La chaſſa pour jamais des diſcours ſerieux, Et dans tous les ecrits le declarant infame, Par grace lui laiſſa l’entrée en l’Epigramme. Peurvû que ſa fineſſe eclatant à propos, Roula ſur la penſée & non pas ſur les mots.
Man ſieht aber wohl, daß er auch in Wortſpielen, die Spitz- findigkeit in den Gedancken, nicht aber in den Worten allein geſucht haben will: denn gleich darauf ſchimpft er auf die Pritſchmeiſter, ſo noch bey Hofe geblieben, und nennt ſie
Inſipides Plaiſans, Bouffons infortunez, D’un jeu de mots groſſier partiſans ſurannez.
Will man Exempel von ſolchem elenden Zeuge haben, ſo leſe man das XL. Stuͤck im II. Theil der vern. Tadlerinnen, wo etliche von der Gattung beurtheilet worden, die gewiß recht kindiſch und laͤcherlich ſind. Von ſolchen aber die ertraͤg-
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[484/0512]
Des II Theils VII Capitel
Auſſer dieſen wahren Scharfſinnigkeiten, da der Witz
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in bloſſen Wortſpielen beſtehen. Zum Ex. Ein Schuͤ-
ler der Jeſuiten in Franckreich hat ſeinen Lehrern zu Eh-
ren folgendes gemacht. Man muß aber wiſſen, daß ihre
beyde beruͤhmteſte Schulen zu Dole und la Fleche ſind, davon
jene einen Bogen, und dieſe einen Pfeil im Wapen fuͤhrt.
Arcum Dola dedit Patribus: dedit alma ſagittam,
Flexia. Quis funem, quem meruere dabit?
Hier will man dem Scheine nach ſagen: Bogen und Pfeile
haͤtten die Jeſuiten ſchon an ihren zwey beruͤhmten Schulen.
Nun fehle ihnen nichts mehr, als die Sehne zum Bogen, das
iſt die dritte Schule. Weil aber das Wort Funis zweydeu-
tig iſt: So kan es auch heiſſen, wer wird ihnen zu dem
laͤngſtverdienten Stricke, d. i. an den Galgen verhelfen?
Hier iſt die Abſicht boßhafft genug, aber der gantze Witz
kommt nur auf die Worte und nicht auf die Sache an.
So ſehr nun der gute Geſchmack den Wortſpielen uͤber-
haupt zu wieder iſt, ſo hat mans doch in ſolchen Sinngedich-
ten nicht eben ſo genau nehmen wollen. So gar Boileau
hat dieſes verſtattet, wenn er ſchreibt:
La Raiſon outragée enfin ouvrit les yeux,
La chaſſa pour jamais des diſcours ſerieux,
Et dans tous les ecrits le declarant infame,
Par grace lui laiſſa l’entrée en l’Epigramme.
Peurvû que ſa fineſſe eclatant à propos,
Roula ſur la penſée & non pas ſur les mots.
Man ſieht aber wohl, daß er auch in Wortſpielen, die Spitz-
findigkeit in den Gedancken, nicht aber in den Worten allein
geſucht haben will: denn gleich darauf ſchimpft er auf die
Pritſchmeiſter, ſo noch bey Hofe geblieben, und nennt ſie
Inſipides Plaiſans, Bouffons infortunez,
D’un jeu de mots groſſier partiſans ſurannez.
Will man Exempel von ſolchem elenden Zeuge haben, ſo leſe
man das XL. Stuͤck im II. Theil der vern. Tadlerinnen, wo
etliche von der Gattung beurtheilet worden, die gewiß recht
kindiſch und laͤcherlich ſind. Von ſolchen aber die ertraͤg-
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 484. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/512>, abgerufen am 22.11.2024.
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