Wodurch der Dichter Mund die Thörichten verlacht; So wären auch in mir die Triebe nicht erwacht, Die mich zum schelten ziehn. Was klagst du? hör ich sprechen: Was suchest du so sehr die Neigungen zu schwächen, Die ich in dir erweckt? Ein Stachelverß nützt sehr: Ein Dichter, der da schertzt, erbauet zehnmahl mehr, Als wenn ein Stagirit die Lehre guter Sitten, Voll Ernst und Gründlichkeit, der Kunst nach, zugeschnitten. Mein Handwerck ist erlaubt, sein Werth steht ewig fest, Seit dem so mancher Kiel die Schutz-Schrifft lesen läßt, Die er vor mich gemacht. Ja, lobe nur die Helden, Zermartre Geist und Kiel, der späten Welt zu melden, Was Carl, August, Eugen und Peters Faust gethan. Wer sieht ein Helden-Lob mit halben Augen an? Die Blätter schwitzen noch von ihren Drucker-Pressen, So ist dein Verß bereits gelesen und vergessen. Als neulich unser Chor einmahl zusammen kam, Und Phöbus, wie er pflegt, des Abends Abscheid nahm, Bemühte sich Mercur, lief hin und hohlte Lichte, Die wickelte Marcolph in ein gedruckt Gedichte. Erst ward ers nicht gewahr, hernach erschrack er sehr, Wir Musen insgesamt erstaunten noch vielmehr, Und weil der Jdiot das halbe Blat zerrissen, So laß man auch den Rest, den Jnhalt recht zu wissen. Calliope errieths, denn wie es klar erschien, So wars ein Helden-Lied vom Friedens-Schluß in Wien. Was dünckt dich nun davon? O, schreibe doch Satiren! Die läßt man nicht so leicht zum Krämer-Laden führen. Denn zeigt ein Blatt den Trieb, den ich dem Dichter gab, Das geht wie ein Gespräch im Reich der Todten ab. Man zahlet doppelt Geld, man stürmt des Druckers Thüren, Und in der gantzen Stadt ist kaum ein Haus zu spüren, Wo Jungfer, Mann und Frau nicht Speis und Tranck vergist, Bis solche Stachelschrifft erst durchgelesen ist. Jemehr die Laster nun vor Scham und Zorn erröthen: Jemehr erhebt man dich im Chore der Poeten.
Genug, du Schwätzerin, des Plauderns ist zu viel. Vergebens schmückest du dein scharfes Seytenspiel. Gesetzt, man läse nicht die stoltzen Helden-Lieder, So ist ihr Jnhalt doch den Thoren nicht zuwieder. Wo nicht ein Criticus ein scharfes Urtheil fällt, Wenn bald ein leerer Schwulst das gantze Werck verstellt, Wenn hier das Feuer fehlt, und dort ein Phöbus stehet, Wenn da ein prächtig Nichts den Verß zum Schein erhöhet,
Und
Des II Theils VI Capitel
Wodurch der Dichter Mund die Thoͤrichten verlacht; So waͤren auch in mir die Triebe nicht erwacht, Die mich zum ſchelten ziehn. Was klagſt du? hoͤr ich ſprechen: Was ſucheſt du ſo ſehr die Neigungen zu ſchwaͤchen, Die ich in dir erweckt? Ein Stachelverß nuͤtzt ſehr: Ein Dichter, der da ſchertzt, erbauet zehnmahl mehr, Als wenn ein Stagirit die Lehre guter Sitten, Voll Ernſt und Gruͤndlichkeit, der Kunſt nach, zugeſchnitten. Mein Handwerck iſt erlaubt, ſein Werth ſteht ewig feſt, Seit dem ſo mancher Kiel die Schutz-Schrifft leſen laͤßt, Die er vor mich gemacht. Ja, lobe nur die Helden, Zermartre Geiſt und Kiel, der ſpaͤten Welt zu melden, Was Carl, Auguſt, Eugen und Peters Fauſt gethan. Wer ſieht ein Helden-Lob mit halben Augen an? Die Blaͤtter ſchwitzen noch von ihren Drucker-Preſſen, So iſt dein Verß bereits geleſen und vergeſſen. Als neulich unſer Chor einmahl zuſammen kam, Und Phoͤbus, wie er pflegt, des Abends Abſcheid nahm, Bemuͤhte ſich Mercur, lief hin und hohlte Lichte, Die wickelte Marcolph in ein gedruckt Gedichte. Erſt ward ers nicht gewahr, hernach erſchrack er ſehr, Wir Muſen insgeſamt erſtaunten noch vielmehr, Und weil der Jdiot das halbe Blat zerriſſen, So laß man auch den Reſt, den Jnhalt recht zu wiſſen. Calliope errieths, denn wie es klar erſchien, So wars ein Helden-Lied vom Friedens-Schluß in Wien. Was duͤnckt dich nun davon? O, ſchreibe doch Satiren! Die laͤßt man nicht ſo leicht zum Kraͤmer-Laden fuͤhren. Denn zeigt ein Blatt den Trieb, den ich dem Dichter gab, Das geht wie ein Geſpraͤch im Reich der Todten ab. Man zahlet doppelt Geld, man ſtuͤrmt des Druckers Thuͤren, Und in der gantzen Stadt iſt kaum ein Haus zu ſpuͤren, Wo Jungfer, Mann und Frau nicht Speis und Tranck vergiſt, Bis ſolche Stachelſchrifft erſt durchgeleſen iſt. Jemehr die Laſter nun vor Scham und Zorn erroͤthen: Jemehr erhebt man dich im Chore der Poeten.
Genug, du Schwaͤtzerin, des Plauderns iſt zu viel. Vergebens ſchmuͤckeſt du dein ſcharfes Seytenſpiel. Geſetzt, man laͤſe nicht die ſtoltzen Helden-Lieder, So iſt ihr Jnhalt doch den Thoren nicht zuwieder. Wo nicht ein Criticus ein ſcharfes Urtheil faͤllt, Wenn bald ein leerer Schwulſt das gantze Werck verſtellt, Wenn hier das Feuer fehlt, und dort ein Phoͤbus ſtehet, Wenn da ein praͤchtig Nichts den Verß zum Schein erhoͤhet,
Und
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Des II Theils VI Capitel
Wodurch der Dichter Mund die Thoͤrichten verlacht;
So waͤren auch in mir die Triebe nicht erwacht,
Die mich zum ſchelten ziehn. Was klagſt du? hoͤr ich ſprechen:
Was ſucheſt du ſo ſehr die Neigungen zu ſchwaͤchen,
Die ich in dir erweckt? Ein Stachelverß nuͤtzt ſehr:
Ein Dichter, der da ſchertzt, erbauet zehnmahl mehr,
Als wenn ein Stagirit die Lehre guter Sitten,
Voll Ernſt und Gruͤndlichkeit, der Kunſt nach, zugeſchnitten.
Mein Handwerck iſt erlaubt, ſein Werth ſteht ewig feſt,
Seit dem ſo mancher Kiel die Schutz-Schrifft leſen laͤßt,
Die er vor mich gemacht. Ja, lobe nur die Helden,
Zermartre Geiſt und Kiel, der ſpaͤten Welt zu melden,
Was Carl, Auguſt, Eugen und Peters Fauſt gethan.
Wer ſieht ein Helden-Lob mit halben Augen an?
Die Blaͤtter ſchwitzen noch von ihren Drucker-Preſſen,
So iſt dein Verß bereits geleſen und vergeſſen.
Als neulich unſer Chor einmahl zuſammen kam,
Und Phoͤbus, wie er pflegt, des Abends Abſcheid nahm,
Bemuͤhte ſich Mercur, lief hin und hohlte Lichte,
Die wickelte Marcolph in ein gedruckt Gedichte.
Erſt ward ers nicht gewahr, hernach erſchrack er ſehr,
Wir Muſen insgeſamt erſtaunten noch vielmehr,
Und weil der Jdiot das halbe Blat zerriſſen,
So laß man auch den Reſt, den Jnhalt recht zu wiſſen.
Calliope errieths, denn wie es klar erſchien,
So wars ein Helden-Lied vom Friedens-Schluß in Wien.
Was duͤnckt dich nun davon? O, ſchreibe doch Satiren!
Die laͤßt man nicht ſo leicht zum Kraͤmer-Laden fuͤhren.
Denn zeigt ein Blatt den Trieb, den ich dem Dichter gab,
Das geht wie ein Geſpraͤch im Reich der Todten ab.
Man zahlet doppelt Geld, man ſtuͤrmt des Druckers Thuͤren,
Und in der gantzen Stadt iſt kaum ein Haus zu ſpuͤren,
Wo Jungfer, Mann und Frau nicht Speis und Tranck vergiſt,
Bis ſolche Stachelſchrifft erſt durchgeleſen iſt.
Jemehr die Laſter nun vor Scham und Zorn erroͤthen:
Jemehr erhebt man dich im Chore der Poeten.
Genug, du Schwaͤtzerin, des Plauderns iſt zu viel.
Vergebens ſchmuͤckeſt du dein ſcharfes Seytenſpiel.
Geſetzt, man laͤſe nicht die ſtoltzen Helden-Lieder,
So iſt ihr Jnhalt doch den Thoren nicht zuwieder.
Wo nicht ein Criticus ein ſcharfes Urtheil faͤllt,
Wenn bald ein leerer Schwulſt das gantze Werck verſtellt,
Wenn hier das Feuer fehlt, und dort ein Phoͤbus ſtehet,
Wenn da ein praͤchtig Nichts den Verß zum Schein erhoͤhet,
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/506>, abgerufen am 22.11.2024.
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