Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.
O du belobtes Volck! du Zierde dieser Zeit, Du, du verdienst mit Recht die Unvergeßlichkeit; Du wirst der Deutschen Schimpf an welschen Zungen rächen, Und den geschwollnen Muth der stoltzen Frantzen brechen, Die voller Sprödigkeit auf unsre Sprache sehn, Und Deutscher Lieder Thon als rauh und grob verschmähn. Du weist den Vorwurf wohl am besten abzuweltzen, Wenn Reim und Einfall hinckt, so hebst du sie auf Steltzen, Das Deutsche gantz allein beleidigt dein Gehör, Ein fremdes Wort erhebt der Zeilen Anmuth sehr. Die Mutter-Sprache scheint zu knarren und zu zischen, Drum denckstu mit Bedacht was sanftes einzumischen. Berühmte Heldenthat, die unsern Ruhm erhöht! Ein Deutscher ist gelehrt, der euer Deutsch versteht, Wie Canitz allbereit vor langer Zeit geschrieben; Denn wer euch lesen will, muß neue Regeln üben, Und grüblen, was der Sinn des hohen Dichters sey. Ein Kluger lacht euch aus, und sagt wohl gar dabey, Daß Lieder solcher Art der blöden Welt zum Schrecken, Wie Mißgeburten sonst, des Himmels Zorn entdecken. Wie glücklich sind wir doch, daß Franckreich es nicht hört! Sonst dächt es in der That, durch stoltzen Witz bethört, Ein Deutscher könne nichts, als sudeln, raspeln, flicken, Und müsse Mund und Reim in fremde Falten rücken. Der bunten Sprache kommt ihr bunter Einfall gleich. Jhr fruchtbares Gehirn ist an Erfindung reich. Claus Narr hat klüger Zeug zu seiner Zeit geträumet, Als dieß verwirrte Volck bey allen Sinnen reimet. Sie quälen sich fast todt, um aufgeweckt zu seyn, Wem fiele von sich selbst ein lustig Schertz-Wort ein? Umsonst sieht man sie offt den wüsten Kopf zerkratzen, Bevor der matte Kiel ein Dutzend glatte Batzen Zum Dichter-Lohn erwirbt. O theure Poesie, Wie groß ist dein Gewinn vor die gehabte Müh! Wer wollte nicht davor in späte Nächte sitzen, Und wie ein Krancker pflegt, am kalten Ofen schwitzen? Kein Wunder, wenn hernach der bettel-arme Geist Das erste, was er trifft, in lahme Reime schleußt. Kein Schuster-Junge darf auf ihrer Straße laufen, Kein Wächter einen Rausch in Merseburger saufen, Kein G g 3
O du belobtes Volck! du Zierde dieſer Zeit, Du, du verdienſt mit Recht die Unvergeßlichkeit; Du wirſt der Deutſchen Schimpf an welſchen Zungen raͤchen, Und den geſchwollnen Muth der ſtoltzen Frantzen brechen, Die voller Sproͤdigkeit auf unſre Sprache ſehn, Und Deutſcher Lieder Thon als rauh und grob verſchmaͤhn. Du weiſt den Vorwurf wohl am beſten abzuweltzen, Wenn Reim und Einfall hinckt, ſo hebſt du ſie auf Steltzen, Das Deutſche gantz allein beleidigt dein Gehoͤr, Ein fremdes Wort erhebt der Zeilen Anmuth ſehr. Die Mutter-Sprache ſcheint zu knarren und zu ziſchen, Drum denckſtu mit Bedacht was ſanftes einzumiſchen. Beruͤhmte Heldenthat, die unſern Ruhm erhoͤht! Ein Deutſcher iſt gelehrt, der euer Deutſch verſteht, Wie Canitz allbereit vor langer Zeit geſchrieben; Denn wer euch leſen will, muß neue Regeln uͤben, Und gruͤblen, was der Sinn des hohen Dichters ſey. Ein Kluger lacht euch aus, und ſagt wohl gar dabey, Daß Lieder ſolcher Art der bloͤden Welt zum Schrecken, Wie Mißgeburten ſonſt, des Himmels Zorn entdecken. Wie gluͤcklich ſind wir doch, daß Franckreich es nicht hoͤrt! Sonſt daͤcht es in der That, durch ſtoltzen Witz bethoͤrt, Ein Deutſcher koͤnne nichts, als ſudeln, raſpeln, flicken, Und muͤſſe Mund und Reim in fremde Falten ruͤcken. Der bunten Sprache kommt ihr bunter Einfall gleich. Jhr fruchtbares Gehirn iſt an Erfindung reich. Claus Narr hat kluͤger Zeug zu ſeiner Zeit getraͤumet, Als dieß verwirrte Volck bey allen Sinnen reimet. Sie quaͤlen ſich faſt todt, um aufgeweckt zu ſeyn, Wem fiele von ſich ſelbſt ein luſtig Schertz-Wort ein? Umſonſt ſieht man ſie offt den wuͤſten Kopf zerkratzen, Bevor der matte Kiel ein Dutzend glatte Batzen Zum Dichter-Lohn erwirbt. O theure Poeſie, Wie groß iſt dein Gewinn vor die gehabte Muͤh! Wer wollte nicht davor in ſpaͤte Naͤchte ſitzen, Und wie ein Krancker pflegt, am kalten Ofen ſchwitzen? Kein Wunder, wenn hernach der bettel-arme Geiſt Das erſte, was er trifft, in lahme Reime ſchleußt. Kein Schuſter-Junge darf auf ihrer Straße laufen, Kein Waͤchter einen Rauſch in Merſeburger ſaufen, Kein G g 3
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <lg type="poem"> <lg n="47"> <l> <pb facs="#f0497" n="469"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von Satiren.</hi> </fw> </l><lb/> <l>Der eine ſticht auf den, und der auf dieſen loß,</l><lb/> <l>Wer andre nackend ſchilt, der geht doch ſelber bloß,</l><lb/> <l>Man tadelt, was man thut, und lobt wohl gar zuweilen</l><lb/> <l>Auch Stuͤmper, wenn ſie nur ein ſchmeichlend Lob ertheilen.</l> </lg><lb/> <lg n="48"> <l>O du belobtes Volck! du Zierde dieſer Zeit,</l><lb/> <l>Du, du verdienſt mit Recht die Unvergeßlichkeit;</l><lb/> <l>Du wirſt der Deutſchen Schimpf an welſchen Zungen raͤchen,</l><lb/> <l>Und den geſchwollnen Muth der ſtoltzen Frantzen brechen,</l><lb/> <l>Die voller Sproͤdigkeit auf unſre Sprache ſehn,</l><lb/> <l>Und Deutſcher Lieder Thon als rauh und grob verſchmaͤhn.</l><lb/> <l>Du weiſt den Vorwurf wohl am beſten abzuweltzen,</l><lb/> <l>Wenn Reim und Einfall hinckt, ſo hebſt du ſie auf Steltzen,</l><lb/> <l>Das Deutſche gantz allein beleidigt dein Gehoͤr,</l><lb/> <l>Ein fremdes Wort erhebt der Zeilen Anmuth ſehr.</l><lb/> <l>Die Mutter-Sprache ſcheint zu knarren und zu ziſchen,</l><lb/> <l>Drum denckſtu mit Bedacht was ſanftes einzumiſchen.</l><lb/> <l>Beruͤhmte Heldenthat, die unſern Ruhm erhoͤht!</l><lb/> <l>Ein Deutſcher iſt gelehrt, der euer Deutſch verſteht,</l><lb/> <l>Wie Canitz allbereit vor langer Zeit geſchrieben;</l><lb/> <l>Denn wer euch leſen will, muß neue Regeln uͤben,</l><lb/> <l>Und gruͤblen, was der Sinn des hohen Dichters ſey.</l><lb/> <l>Ein Kluger lacht euch aus, und ſagt wohl gar dabey,</l><lb/> <l>Daß Lieder ſolcher Art der bloͤden Welt zum Schrecken,</l><lb/> <l>Wie Mißgeburten ſonſt, des Himmels Zorn entdecken.</l><lb/> <l>Wie gluͤcklich ſind wir doch, daß Franckreich es nicht hoͤrt!</l><lb/> <l>Sonſt daͤcht es in der That, durch ſtoltzen Witz bethoͤrt,</l><lb/> <l>Ein Deutſcher koͤnne nichts, als ſudeln, raſpeln, flicken,</l><lb/> <l>Und muͤſſe Mund und Reim in fremde Falten ruͤcken.</l> </lg><lb/> <lg n="49"> <l>Der bunten Sprache kommt ihr bunter Einfall gleich.</l><lb/> <l>Jhr fruchtbares Gehirn iſt an Erfindung reich.</l><lb/> <l>Claus Narr hat kluͤger Zeug zu ſeiner Zeit getraͤumet,</l><lb/> <l>Als dieß verwirrte Volck bey allen Sinnen reimet.</l><lb/> <l>Sie quaͤlen ſich faſt todt, um aufgeweckt zu ſeyn,</l><lb/> <l>Wem fiele von ſich ſelbſt ein luſtig Schertz-Wort ein?</l><lb/> <l>Umſonſt ſieht man ſie offt den wuͤſten Kopf zerkratzen,</l><lb/> <l>Bevor der matte Kiel ein Dutzend glatte Batzen</l><lb/> <l>Zum Dichter-Lohn erwirbt. O theure Poeſie,</l><lb/> <l>Wie groß iſt dein Gewinn vor die gehabte Muͤh!</l><lb/> <l>Wer wollte nicht davor in ſpaͤte Naͤchte ſitzen,</l><lb/> <l>Und wie ein Krancker pflegt, am kalten Ofen ſchwitzen?</l><lb/> <l>Kein Wunder, wenn hernach der bettel-arme Geiſt</l><lb/> <l>Das erſte, was er trifft, in lahme Reime ſchleußt.</l><lb/> <l>Kein Schuſter-Junge darf auf ihrer Straße laufen,</l><lb/> <l>Kein Waͤchter einen Rauſch in Merſeburger ſaufen,<lb/> <fw place="bottom" type="sig">G g 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Kein</fw><lb/></l> </lg> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [469/0497]
Von Satiren.
Der eine ſticht auf den, und der auf dieſen loß,
Wer andre nackend ſchilt, der geht doch ſelber bloß,
Man tadelt, was man thut, und lobt wohl gar zuweilen
Auch Stuͤmper, wenn ſie nur ein ſchmeichlend Lob ertheilen.
O du belobtes Volck! du Zierde dieſer Zeit,
Du, du verdienſt mit Recht die Unvergeßlichkeit;
Du wirſt der Deutſchen Schimpf an welſchen Zungen raͤchen,
Und den geſchwollnen Muth der ſtoltzen Frantzen brechen,
Die voller Sproͤdigkeit auf unſre Sprache ſehn,
Und Deutſcher Lieder Thon als rauh und grob verſchmaͤhn.
Du weiſt den Vorwurf wohl am beſten abzuweltzen,
Wenn Reim und Einfall hinckt, ſo hebſt du ſie auf Steltzen,
Das Deutſche gantz allein beleidigt dein Gehoͤr,
Ein fremdes Wort erhebt der Zeilen Anmuth ſehr.
Die Mutter-Sprache ſcheint zu knarren und zu ziſchen,
Drum denckſtu mit Bedacht was ſanftes einzumiſchen.
Beruͤhmte Heldenthat, die unſern Ruhm erhoͤht!
Ein Deutſcher iſt gelehrt, der euer Deutſch verſteht,
Wie Canitz allbereit vor langer Zeit geſchrieben;
Denn wer euch leſen will, muß neue Regeln uͤben,
Und gruͤblen, was der Sinn des hohen Dichters ſey.
Ein Kluger lacht euch aus, und ſagt wohl gar dabey,
Daß Lieder ſolcher Art der bloͤden Welt zum Schrecken,
Wie Mißgeburten ſonſt, des Himmels Zorn entdecken.
Wie gluͤcklich ſind wir doch, daß Franckreich es nicht hoͤrt!
Sonſt daͤcht es in der That, durch ſtoltzen Witz bethoͤrt,
Ein Deutſcher koͤnne nichts, als ſudeln, raſpeln, flicken,
Und muͤſſe Mund und Reim in fremde Falten ruͤcken.
Der bunten Sprache kommt ihr bunter Einfall gleich.
Jhr fruchtbares Gehirn iſt an Erfindung reich.
Claus Narr hat kluͤger Zeug zu ſeiner Zeit getraͤumet,
Als dieß verwirrte Volck bey allen Sinnen reimet.
Sie quaͤlen ſich faſt todt, um aufgeweckt zu ſeyn,
Wem fiele von ſich ſelbſt ein luſtig Schertz-Wort ein?
Umſonſt ſieht man ſie offt den wuͤſten Kopf zerkratzen,
Bevor der matte Kiel ein Dutzend glatte Batzen
Zum Dichter-Lohn erwirbt. O theure Poeſie,
Wie groß iſt dein Gewinn vor die gehabte Muͤh!
Wer wollte nicht davor in ſpaͤte Naͤchte ſitzen,
Und wie ein Krancker pflegt, am kalten Ofen ſchwitzen?
Kein Wunder, wenn hernach der bettel-arme Geiſt
Das erſte, was er trifft, in lahme Reime ſchleußt.
Kein Schuſter-Junge darf auf ihrer Straße laufen,
Kein Waͤchter einen Rauſch in Merſeburger ſaufen,
Kein
G g 3
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |